Kapitel 38 - Ariadne Glacials Geschichte

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Wir liefen durch die Gänge des Schlosses. Immer mal wieder begegneten uns Schüler, doch wir ignorierten sie. Wir mussten zu Ariadne und hinzu kam, dass wir uns auch noch überlegen mussten, wie wir denn anfangen sollten.

"Vielleicht sollten wir erst ab und zu mal mit ihr reden. Im Unterricht oder beim Essen.", schlug ich vor.

Doch Desdemona schüttelte abwertend den Kopf. "Nein. Das dauert viel zu lange. Wir wissen nicht, wie viel Zeit und noch bleibt. Am besten bringen wir das so schnell wie möglich hinter uns!"

"Warte mal!" Ich brachte sie zum Stehenbleiben.

"Was?" Sie wirkte genervt. Ich deutete auf die Akte. Fragend sah sie mich an.

Ich verdrehte die Augen. "Wir sollten erst einmal etwas über Ariadne in Erfahrung bringen!"

Gemeinsam gingen wir in unser Zimmer und legten die Akte auf den Tisch, während wir beide uns setzten.

"Gut. Fangen wir an." Desdemona schlug die Akte auf.

"Okay." Die erste Seite zeigte eine kurze Zusammenfassung von Ariadnes Daten. "Ariadne hat am 7. Januar Geburtstag, ist also im Moment 17 Jahre alt. Sie ist eine Eis Elementary, eine Abspaltung der Wasser Elementary. Alle aus ihrer Familie sind Wasser Elementary."

"Also muss sie sich doch ziemlich wie die Außenseiterin der Familie fühlen, oder nicht? Da sie etwas kann, dass keiner in ihrer Familie kann." Desdemona blätterte die Seite um.

Ich besah mir die Seite. "Sie geht wie wir in die zweite Stufe, aber das wussten wir ja bereits. Ihre Eltern sind Harvey und Erin Glacial. Ariadne hat noch drei ältere Geschwister. Einen Bruder und zwei Schwestern. Dylan, Grace und Imogen Glacial. Das sind Drillinge. Alle bereits zwanzig Jahre alt." Ich legte die Akte beiseite. "Woher weiß deine Tante das alles? Das sind nicht die gewöhnlichen schulischen Daten."

"Hm." Desdemona ließ sich die Namen der Familie durch den Kopf gehen. "Als ich klein war, hat sie immer etwas zu erzählen gehabt, wenn sie da war. Sie hat von Freunden aus ihrer Schulzeit gesprochen und von deren Kindern. Immer hatte sie Geschichten von Harvey und Erin und der Schulzeit erzählt. Irgendwann hat sie mir von deren Kindern erzählt und auch, dass sie eine Tochter in meinem Alter hatten. Aber deren Namen hat sie mir nie gesagt."

"Kann es sein, dass diese Freunde, Ariadnes Eltern sind?"

Desdemona nickte langsam. "Ja, das kann sein. Doch soweit ich weiß, hat Cassandra keinen Kontakt mehr zu ihnen, da irgendwann mal etwas vorgefallen war. Doch was das war, hat sie mir nie erzählt."

Wir widmeten uns wieder der Akte. Ariadne hatte es wohl schon immer schwer gehabt in der Familie. Ihre Eltern wollten aus allen ihrer Kinder große Geschäftsleute machen, die eines Tages sehr erfolgreich werden sollten. Doch Ariadne war schon immer der sture Kopf in der Familie gewesen. Ihre Geschwister hatten immer zusammengehalten und versucht, Ariadne zu helfen, doch es hatte nichts gebracht. Als Ariadne älter wurde, wollte sie die Hilfe ihrer Geschwister nicht mehr und lehnte diese ab. Sie verschloss sich allen.

Ihre Eltern waren immer sehr hart mit ihr umgegangen, vor allen ihr Vater, da Ariadne andere Vorstellungen und Träume hatte. Während sich ihre älteren Geschwister dem Willen des Vaters beugten, rebellierte Ariadne.

Als Ariadne bemerkte, dass sie anders war, suchte sie das Gespräch zu ihren Geschwistern. Diese aber waren keine große Hilfe und waren ganz entsetzt, als sie bemerkten, dass Ariadne keine Wasser Elementary, wie der Rest der Familie war. Ihre Familie war eine stolze, starke Familie, bestehend aus ausschließlich Wasser Elementary.

Der Vater erfuhr davon und versuchte der Welt zu verbergen, dass seine jüngste Tochter keine Wasser Elementary war. Er sah es als Schande an und verstieß seine jüngste Tochter. Doch durch Dylan, Grace und Imogen, die ihre Mutter anflehten, durfte Ariadne bleiben.

Die Mutter versuchte den Schein um Ariadnes Element zu wahren und gab ihr Unterricht, doch es kam immer nur gefrorenes Wasser von Ariadne.

Erneut verschloss sie sich gänzlich und verfiel in ihre eigene kleine Welt, in der sie auf alles und jeden einen gewaltigen Hass hegte. Sie stieß jeden ab, der versuchte, sich ihr zu nähern und kam irgendwann nicht mehr aus ihrem Zimmer heraus. Mit zwölf Jahren verließ Ariadne im Schutze der Nacht das Haus ihrer Eltern und kehrte nicht wieder zurück.

Der Vater erwähnte seine jüngste Tochter nie wieder und die Mutter schwieg. Die Drillinge konnten das ihren Eltern nicht verzeihen und verließen ihre Eltern, um sich irgendwo ein Leben, unabhängig ihrer Eltern, aufzubauen.

Ariadne wurde nicht gefunden.

Desdemona schnaubte wütend, als wir beide zu Ende gelesen hatten. "Das Miststück ist zu den Jägern gegangen!"

"Aber wieso?" Nachdenklich blickte ich aus dem Fenster. "Wieso ist sie ausgerechnet zu den Jägern gegangen? Um sich an ihren Eltern zu rächen?" Ich schüttelte meinen Kopf. "Sie muss doch einen Grund gehabt haben."

"Vielleicht hasst sie einfach kleine Ghosts." Desdemona wuschelte mir durch die nun wieder silberblonden Haare.

"Lass das!" Ich schlug ihre Hand weg. Sie lachte. Ich ignorierte sie. Sie schmollte.

Warum war Ariadne Glacial zu den Jägern gegangen? Sie hätte überall hingehen können. Warum ausgerechnet zu den Jägern? Gaben diese ihr einfach nur eine Unterkunft oder den Respekt, den sie niemals von ihren Eltern bekommen hatte?

Irgendwie konnte ich Ariadne verstehen. Sie und ihre kalte, verschlossene Art. Und ihre Angst. Angst davor, nicht stark genug zu sein, dass jemand anderes stärker als sie war. Sie wollte nie wieder so behandelt werden, wie von ihren Eltern, denn sie war nicht stark genug gewesen, um von ihnen akzeptiert zu werden.

Desdemona spielte mit einem Bleistift und malte Linien auf den Tisch. "Vielleicht würde sie wieder zu Verstand kommen, wenn wir sie vor die Haustür ihrer Geschwister werfen würden."

Ich überlegte. "Das ist gar nicht mal so eine schlechte Idee. Vielleicht hilft das wirklich." Ich wandte mich ihr zu. "Denkst du, ihre Geschwister könnten ihr helfen?"

Desdemona zuckte mit den Schultern. "Weiß ich doch nicht. Ja oder nein, ist doch egal. Sie wäre so wütend, dass sie uns beide in kleine Stückchen hacken würde. Dann wären wir nur noch Hackfleisch. Magst du Nudeln mit Hacksouce?"

Verstört sah ich Desdemona an. "Ist das gerade dein Ernst?" Diese zuckte nur mit den Schultern und schnipste den Bleistift vom Tisch. Die Miene brach, als er auf dem Boden aufkam. Desdemona beachtete den Stift nicht weiter. Ihre Aufmerksamkeit lag auf der Akte.

"Hier, sieh mal." Sie deutete auf ein Datum.

24. Januar 2015 Ariadne taucht wie aus dem Nichts in meinem Schloss auf.

"Deine Tante hat Ariadne sofort erkannt, als sie hier auftauchte."

Desdemona nickte. In Gedankenverloren strich sie über die Notizen ihrer Tante. "Vielleicht hat sie deshalb den Kontakt zu Harvey und Erin Glacial abgebrochen, damals. Weil Ariadne wegen dem Verhalten ihrer Eltern verschwunden ist."

"Komm.", sagte ich, "Wir müssen ihre Geschwister finden."

Zweifelnd sah Desdemona mich an. "Und du denkst, wir können sie finden? Und Cassandra würde uns alleine nach dort draußen lassen? Mensch, Mika, du bist vielleicht die meist gesuchte Elementary im Land!" Sie schüttelte ihren Kopf. "Cassandra wird nicht dein Leben riskieren, um Ariadnes zu retten!"

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