Kapitel 52 - Zurück Zuhause

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Orientierungslos sah ich mich um. Ich befand mich in einem Garten. Oder war es doch eher ein Park? Ich konnte sogar einen Springbrunnen sehen. Es kam mir alles so bekannt vor. Besonders das große Anwesen.
Neben mir vernahm ich auf einmal ein Stöhnen. Alarmiert drehte ich mich um und erblickte ein Mädchen mit dunkelbraunen Haaren und schwarzen Strähnen. Sie setzte sich fluchend auf und rieb sich den Kopf.
"Desdemona?!", rief ich überrascht aus. "Was machst du denn hier?"
Desdemona nahm ihre Hand von ihrem Kopf und sah mich an. "Was denkst du denn, was ich hier mache? Ich habe mich noch an dir fest gehalten, kurz bevor du dich in Luft aufgelöst hast!" Sie wandte sich von mir ab und begann sich umzusehen. "Wo sind wir hier? Meine Güte, die müssen aber viel Geld haben!" Staunend besah sie sich das Anwesen und den großen Park ähnlichen Garten.
Ich schluckte. Ich wusste genau, wo wir waren. Und ich würde vermutlich Ärger bekommen. Desdemona drehte sich zu mir. "Du scheinst mehr zu können, als du selbst weißt.", stellte sie fest. Ich nickte nur. Hätte ich gewusst, dass ich plötzlich verschwinden und im selben Moment wo anders wieder auftauchen konnte ... Das hätte mir in so einigen Situationen sehr geholfen. "Also. Wo sind wir hier?", fragte sie erneut. "Weißt du es?"
"Ich weiß es.", murmelte ich und schaute mich vorsichtig um. Niemand war zu sehen. Sie waren im Moment vermutlich im Haus.
"Und?", harkte Desdemona nach. Neugierig versuchte sie in das Haus zu spähen.
Ich seufzte. "Das ist das Grundstück meiner Familie."
Für einen kurzen Augenblick war es still. Ich glaubte beinahe, dass Desdemona nichts mehr dazu sagen würde, doch ich hatte mich geirrt. Kurz darauf ertönte ein entgeistertes "Was?!". Und sie starrte mich an. Ich zuckte entschuldigend mit meinen Schultern. "Ich weiß doch auch nicht, wie wir hier her gekommen sind.", sagte ich.
Desdemona schüttelte entgeistert ihren Kopf und stemmte ihre Hände in ihre Hüfte. "Das meine ich doch auch gar nicht!", sagte sie. "Wieso hast du mir nicht gesagt, dass deine Familie so ein großes Haus hat? Und erst der Garten!"
Wieder zuckte ich mit meinen Schultern. "Ist das wichtig?"
Desdemona blickte zu Boden. "Nein.", sagte sie. "Eigentlich nicht." Sie stand auf und reichte mir ihre Hand. "Komm." Sie zog mich hoch und nun standen wir beide nebeneinander und blickten in Richtung Haus. "Wir können uns später noch mit der Frage beschäftigen, wie wir hier her gekommen sind.", meinte Desdemona. "Lass uns doch mal sehen, ob jemand da ist!" Sie grinste mich an. "Du willst mir doch sicher deine Familie vorstellen." Desdemona zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Allerdings konnte ich über ihren Scherz nicht lachen. "Desdemona ... Ich bin einfach abgehauen. Ich kann jetzt nicht einfach vor ihrer Tür stehen und so tun, als ob nichts gewesen wäre.", sagte ich leise und mied es, sie anzusehen. Von ihr vernahm ich ein Seufzen. "Mika, du bist echt kompliziert.", brummte sie und packte meine Hand.
Sofort sah ich auf. "Was soll das?"
Sie schnaubte. "Na, nach was sieht es denn aus?", fragte sie spöttisch grinsend. "Ich bringe dich zu deiner Familie und du bringst das wieder in Ordnung! Irgendwer muss dich ja schließlich dazu zwingen. Denn ansonsten sehen die dich vermutlich nie wieder, weil du dir zu viele Sorgen machst, dass sie dich jetzt hassen könnten. - Und streite es nicht ab!" Sie sah mich eindringlich an. "Ich weiß, wie du tickst." Ihr Griff um mein Handgelenk wurde fester und sie begann mich hinter sich her zu schleifen.
Ich wollte meinen Mund zum Protest öffnen, doch Desdemona kam mir zuvor. "Wag es erst gar nicht zu Protestieren!", befahl sie mir. Und irgendetwas in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Ich runzelte meine Stirn. Weshalb reagierte sie so? Ich musterte ihr Gesicht. Es war vollkommen ernst und ihre grünen Augen duldeten keinen Widerstand. Hatte es vielleicht etwas mit ihrer Familie zu tun? War irgendetwas geschehen? Sie verstand sich nicht gut mit ihrer Tante. Manchmal kam es mir so vor, als würde Desdemona Cassandra Darkstone hassen. Nun gut, was hieß hier manchmal? Vermutlich immer. Und Desdemona war nicht bereit, ihrer Tante zu verzeihen. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein. Doch was war es? Wollte Desdemona deshalb, dass ich es mir mit meiner Familie nicht versaute? Ich entschied mich dazu, nichts mehr zu sagen und akzeptierte mein Schicksal. Desdemona hatte recht, mit dem, was sie sagte. Ich wäre vermutlich nicht wieder her gekommen, aus Angst, dass mich die Menschen, die ich in mein Herz geschlossen hatte, hassten. Nun kam es mir albern vor. Das hier war meine Familie. Sie würden mich doch wohl nicht hassen. Oder? So viel zum Thema, dass ich vor meinen Problemen nicht mehr davon laufen wollte. Es war gut, dass Desdemona hier war.
Wir näherten uns der gläsernen Wohnzimmertür, die hinaus in den Garten führte. Ich spähte hinein. Ich konnte niemanden sehen. Weder meine Eltern, noch meine Großeltern Arthur und Cecile. Und Will befand sich vermutlich noch im Elementary Internat.
Doch Desdemona schien das egal zu sein. "Wenn sie da sein sollten, hören sie uns schon.", sagte sie und fing an, zu klopfen. Doch niemand kam. Sie fluchte kurz. "Na dann eben anders.", grummelte sie und fing an, mit ihrer freien Faust die Glastür zu massakrieren. Wenn jemand da war, würde man unsere Anwesenheit spätestens jetzt hören. Vor allem, da Desdemona anfing, zu rufen. "Hey! Hey ihr! Ich weiß, dass ihr da seid! Macht die verdammte Tür auf, oder ich werde sie eintreten!"
Meine Augen wurden groß. Das würde sie doch nicht wagen? Doch. Doch das würde sie. Ich kannte Desdemona gut genug, um zu wissen, dass sie es ernst meinte.
"Aber wir wissen doch gar nicht, ob sie da sind!", flüsterte ich ihr zu.
Sie grinste und zuckte mit ihren Schultern. "Ist doch egal. Wenn jemand da ist, soll er nur glauben, dass ich es wüsste.", sagte sie und ihr Grinsen wurde breiter. "Wenn jemand da ist, funktioniert das. Glaub mir." Also machte sie weiter. Es wunderte mich wirklich, dass in dem Glas noch keine Risse zu sehen waren.
"Verdammt, was ist denn hier los?", hörte ich plötzlich die wütende Stimme meines Vaters und ich entdeckte ihn, wie er im Wohnzimmer auftauchte. Er funkelte Desdemona wütend an, die ihn zufrieden angrinste und aufhörte, auf die Scheibe einzuschlagen. Doch dann fiel sein Blick auf mich und seine Wut verschwand schlagartig. Wie angewurzelt stand er da und starrte mich fassungslos an. "Mika.", formten seine Lippen und als er realisierte, dass ich wirklich hier stand, stürmte er zur Tür und riss sie auf. "Mika!", rief er. "Was? Wo? Wie? Wo kommst du auf einmal her? Wo warst du? Wieso bist du weggegangen?" Er war auf mich zugegangen und hatte mich fest in seine Arme geschlossen. "Dad ... Keine Luft!", japste ich und er ließ sofort locker und trat verlegen grinsend einen Schritt zurück. "Tut mir leid, Mika.", sagte er und dann schien ihm wieder Desdemona einzufallen. Stirnrunzelnd sah er sie an. "Und du bist?"
Grinsend trat Desdemona einen Schritt vor und reichte meinem Vater die Hand. "Desdemona MacKenzie, die beste Freundin Ihrer Tochter!", verkündete sie.
Mein Vater zog eine Augenbraue hoch. "Desdemona MacKenzie?" Er runzelte nachdenklich seine Stirn. "Bist du nicht das Mädchen, deren Familie an die Jäger verraten wurde?"

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