Kapitel 9.2 - Elementtraining ✅

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Will und ich saßen an dem Tisch, an dem wir am vorherigen Tag schon gesessen hatten.
Lustlos stocherte ich mit meiner Gabel in meinem Rührei herum. Ich hatte gar keinen Hunger. Außerdem spürte ich die Blicke der anderen.
Zwar starrten sie nicht mehr so auffällig, aber sie taten es, wenn sie dachten, dass keiner von uns beiden es bemerken würden. Aber da lagen sie falsch.
Ich spürte ihre Blicke förmlich. Sie alle zusammen kamen mir wie ein Damoklesschwert vor, das drohend über meinem Kopf hing und nur auf den richtigen Augenblick wartete.

»Iss etwas.«, sagte Will.
Ich stocherte noch ein wenig in meinem Rührei, dann schob ich mir die Gabel in den Mund.
»Das Salz fehlt.«, brummte ich schlecht gelaunt.
Will seufzte bloß und schüttelte den Kopf über mein Verhalten. Wortlos schob er mir einen kleinen Salzstreuer zu. Natürlich wirkte selbst dieser mickrige Salzstreuer wie alles an diesem Ort luxuriös.

»Ignoriere die anderen. Die brauchen dich nicht zu kümmern.«, meinte Will.
Als ich meinen Blick schweifen ließ, entdeckte ich den Jäger, Damon Firelight. Er saß am selben Tisch wie gestern. Er schaute ebenfalls in unsere Richtung. Allerdings nicht so wie Zoobesucher wie die anderen.

Nein, sein Blick war mehr verbissen, wütend und verzweifelt. Außerdem schien er nur so vor Hass zu triefen, wie eine minderwertige Pizza vor Fett.
Erkannte ich da etwa einen Hauch von Angst? Wahrscheinlich dachte er darüber nach, wie er Will und mich am besten töten könnte. Aber seine Worte wollten mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wussten noch andere von mir?

»Ich frage mich, warum sie alle so einen Wind um dich gemacht haben.«

Es mussten noch andere Jäger von meiner Existenz wissen. Irgendwer musste angeordnet haben, dass Damon mich suchte und angriff. Sie wollten wissen, wie viel ich wusste und wie stark ich war. Wollten mich testen und die Gefahr einstufen, die von mir ausging.
Damals im Wald hatte Damon noch geglaubt, dass ich schwach sei. Doch nun? Ich hatte meine Kräfte entdeckt und angefangen zu erlernen, wie man diese kontrollierte. Damals hatte ich vielleicht noch Glück gehabt und er hatte mich nachlässig gehen lassen. Bestimmt bereute er diesen Fehler jetzt.

»Was hast du heute alles?«, wollte Will von mir wissen. Ich schob eine weitere Gabel voller Rührei in meinen Mund, um nachzudenken. Mir schwirrten so viele Gedanken im Kopf umher. Da war mein Stundenplan das kleinere Übel.

»Heute ist Mittwoch, richtig?«, sagte ich gedankenversunken. »Ich habe Geschichte der Luftelementare, dann Elemente mit der W1, danach Lufttraining - Was mir überhaupt nichts nützt. Und als letztes habe ich Elementargeschichte mit der E1.«

Ich trank einen Schluck aus meinem Wasserglas. »Und du?«
Will grinste süffisant und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als sei er Herr dieses Schlosses.
»Bei mir entfällt heute der Unterricht.«, sagte er grinsend. Wie unfair!
»Wieso?«, fragte ich fassungslos.
Will zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hauptsache ich habe heute keine Schule.«, meinte er selbstgefällig.
Na danke aber auch. Grummelnd aß ich weiter. Er hatte heute frei und ich nicht. Er konnte allen aus dem Weg gehen und ich nicht.


Es war schlimmer, als ich es erwartet hatte. Nun stand ich vor dem Raum, in dem wir das erste Unterrichtsfach an diesem Tag hatten. Mein Herz raste und meine Hände zitterten, weshalb ich sie fest um meinen Oberkörper schlang.

Die Lehrerin war noch nicht da und ich musste nun mit meiner gesamten Klasse vor der Tür warten. Was daran jetzt so schlimm war? Alle hielten mindestens drei Meter von mir Abstand, taten so, als hätte ich irgendeine schreckliche, ansteckende Krankheit und ihre Blicke flackerten immer wieder kurz alarmiert und ängstlich zu mir. Es war, als würden sie erwarten, dass ich urplötzlich vorsprang und einem von ihnen an die Kehle ging.
Gerechtfertigter Weise musste ich gestehen, dass ich wohl auch vor mir Angst hätte, hätte ich mich auf dem Trainingsplatz aus ihren Augen gesehen. So gerne ich es wollte, ich konnte es nicht mehr ändern.

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