Kapitel 65.2 - Der Kampf im Wald

5.8K 542 31
                                    

Gewaltige Risse taten sich auf und breiteten sich aus wie Spinnenweben. Das Grollen war Ohrenbetäubend. Und Laurel würde noch lange nicht aufhören. Auf einmal wirkte sie mehr als gefährlich, obwohl sie so zierlich war. Allein ihr Gesichtsausdruck konnte einem Angst einflößen. Ich spürte die Macht, die von ihr ausging. Es war beängstigend.

Ariadne verlor das Gleichgewicht und stürzte. Aufgrund der bebenden Erde rollte sie immer näher an einen der großen Risse zu. Meine Augen weiteten sich. Nein! Das durfte nicht geschehen! Ariadne schien nicht einmal zu bemerken, in was für einer Gefahr sie sich befand. Zu allen Übels schaffte es Damon jetzt auch von meinem Bruder loszukommen und schubste ihn von sich weg. Dieser taumelte ebenfalls auf einen der Risse zu. Ob es Absicht von Damon war oder nicht wusste ich nicht, aber ich hatte gerade ganz andere Probleme. Mein Bruder würde in den Abgrund stürzen!

Wie vom Blitz getroffen ließ ich den Ast los, an den ich mich festgehalten hatte und rannte los. Es herrschte viel zu viel Chaos, als dass man mich bemerkt hätte. Jede Aufmerksamkeit lag auf Laurel oder man war mit sich selbst beschäftigt.
Als ich erkannte, dass ich nicht rechtzeitig ankommen würde, warf ich Will mit Hilfe meiner Kräfte zurück und er landete hektisch atmend auf der Erde. In seinen Augen stand das Entsetzen und er starrte den Riss an, in den er beinahe gefallen wäre. Ich blieb stehen und krallte mich an einen der Äste, während mein Blick nach wie vor auf Will lag.
Erst dann bemerkte ich Damon, der hinter meinem Bruder stand. Angst kam in mir auf. Er würde doch nicht ...? Als Damon meinen Bruder dann auch noch packte, überkam mich die Panik. Nein! Ich wollte ihn gerade mithilfe meiner Fähigkeiten fortstoßen, doch dann bemerkte ich, dass Damon Will von dem Riss wegzog und ihn nicht reinstieß. Erleichterung und Erstaunen überkam mich. Ich atmete einmal tief durch.
Will sah Damon verwirrt an. Keiner von beiden sprach und auch Damons Miene ließ sich nicht lesen.
"Damon, verdammt!", rief die Rockige. "Was tust du da?!" Damon ignorierte sie.
Plötzlich öffnete sich genau neben ihr ein Spalt im Boden, den niemand bemerkte. Die Jägerin rutschte auf einmal ab, sah noch einmal mit vor Entsetzen geweiteten Augen in die Runde, ehe sie schreiend fiel. Ihre Schreie waren noch lange zu hören. Laurel hatte die Kontrolle über ihr Element verloren. Entsetzt starrte sie dorthin, wo die andere Jägerin gerade eben noch gestanden hatte. Ruckartig ließ sie ihre Arme sinken, trat fluchtartig einen Schritt zurück. Alle starrten sie an.
"Laurel ...", flüsterte Ben. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. Panisch sah sich Laurel um. Die Erde wollte nicht aufhören zu beben. "Ich ... Ich habe keine Kontrolle mehr darüber!", rief sie in Panik und wich noch einen Schritt zurück.
"Stopp es!", schrie Damon. "Stopp es, Laurel!" Doch Laurel konnte nicht.

Urplötzlich schoss zuckend ein weißer Lichtstrahl in den Himmel. Er kam von der Stelle, an der Theodor stand. Meine Augen schossen zu Theodor. Sie weiteten sich. Theodor war kaum noch wieder zu erkennen. Er stand in zuckendem weißen Licht, das ich als Blitze identifizierte. Sein Körper erstrahlte hell, ebenso seine Augen. Langsam breitete er seine Arme aus, erhob seinen Kopf. Daraufhin schossen immer und immer mehr Blitze zuckend nach oben. Die Macht, die ich spürte, war unvergleichlich. Theodor brauchte sich gar nicht bewegen um irgendetwas zu tun. Er stand einfach auf einer Stelle und erledigte was er zu erledigen hatte. Und jetzt wusste ich auch worauf er gewartet hatte.

Obwohl die Blitze scheinbar unkontrolliert hin und her zuckten, schien Theodor sie genauestens zu kontrollieren. Ich hatte ja gewusst, dass er nicht schwach sein konnte, aber ich hätte niemals erwartet, dass seine Kraft so gewaltig war!

Seine eine Hand bewegte sich in Laurels Richtung. In seinen Augen zuckten die Blitze. Es geschah nun alles wie in Zeitlupe. Ein einzelner Blitz schlängelte sich zuckend von seiner Schulter bis hin zu seinen Fingerspitzen. Ich spürte die Hitze. Als der Strom Theodors Fingerspitzen erreichte, schoss er gefährlich zischend auf Lauren zu. Diese hatte nicht einmal Zeit ihre Augen entsetzt aufzureißen, da lag sie auch schon leblos am Boden. Schlagartig hörte die Erde auf zu beben.

Alles war still. Es war als sei die Zeit stehen geblieben. Niemand rührte sich. Entweder man starrte auf die leblose Laurel oder auf den hell erleuchteten Theodor, der im Moment die Sonne selbst war.

Nach und nach erlosch das Licht und Theodor zog sich wieder zurück in die Schatten des Waldes. Das war wohl der Startschuss. Wutentbrannt schrie Ben auf und stürzte sich auf die Person, die ihm am nächsten stand. Und das war Desdemona.

Der Kampf schien jetzt richtig zu beginnen. Ariadne erschuf ein Eismesser nach dem anderen und warf damit gezielt um sich. Jedes noch so kleine Anzeichen von  Unsicherheit war verschwunden.
Will und Nawin kümmerten sich mit Fäusten und Fähigkeiten darum, die anderen Männer zurückzudrängen und Liam eilte Desdemona zur Hilfe. Damon versuchte Will und Nawin mithilfe der anderen Männer auf Abstand zu halten, doch er konnte sein Feuer nicht einsetzen, da er sonst vermutlich auch einen seiner Jäger verbrannte.

Obwohl die Jäger jetzt in der Unterzahl waren, waren sie nicht klein zu kriegen. Der Tod ihrer beiden Jägerinnen schien ihnen Kraft zu geben. Sie wollten sie rächen. Unter allen Umständen. Einer zog wie aus dem Nichts ein Messer und stach damit nach Nawin. Nawin ließ sich den Schmerz nicht einmal anmerken. Vielleicht lag es auch am vielen Adrenalin und er merkte es nicht einmal.

Auf einmal drehte sich Ariadne zu mir. Es war bloß ein kurzer Augenblick, sodass ich es mich auch hätte einbilden können. Doch ich wusste, dass ich mir ihr leichtes Nicken nicht eingebildet hatte. Nach einem Wimpernschlag befand sie sich auch schon wieder mitten im Getümmel. Ihr Eis reflektierte das Licht des Mondes.

Ohne es überhaupt zu bemerkten legte ich meine Tarnung als Lune ab und betrat die Szene. Niemand schien mich zu beachten. Es war als würde mich niemand sehen können. Vielleicht war dem auch so. Vielleicht war ich unsichtbar. So wie Will es manchmal war. Mittlerweile war ich mir sicher, dass er das vorhin auch gewesen ist, als er plötzlich bei Damon gewesen war.

Obwohl ich es noch nie gemacht hatte, konzentrierte ich mich darauf, die Jäger in ihren Bewegungen erstarren zu lassen. Ich hatte das zuvor noch nicht geübt, aber ich hatte schon ganz andere Dinge hinbekommen, ohne vorher geübt zu haben. Also würde das hier jetzt keine all zu große Herausforderung sein.
Konzentriert dachte ich an das was ich erreichen wollte. Strengte mich an auch ja nur an mein Ziel zu denken. Verbannte alles andere aus meinem Hinterkopf. Das war wohl auch der Grund, weshalb meine Gestalt mitten im Getümmel auf einmal sichtbar wurde.
Und so erstarrten alle in meiner Umgebung. Doch nicht bloß die Jäger. Ach meine Freunde. Ich hob meinen Kopf. Sah mir an was ich getan hatte. Ich erblickte Ben, dessen Messer sich nicht unweit von Desdemonas Kehle befand. Ich sah ihren und Liams entsetzten Blick. Sah den irren Funken in Bens Augen.
Ariadne war gerade dabei ein weiteres Eismesser abzuwerfen. Ihre Augen hatten fest ihr Ziel anvisiert - Damon.
Und der? In seinem Blick stand nur zu deutlich das Entsetzen und der Schock. Er war gerade dabei sich zurück zu ziehen um Nawins Hieb auszuweichen, als er mich wohl entdeckt haben musste.

ObscuraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt