Kapitel 23.2 - Vater und Kontrolle ✅

15.1K 948 50
                                    

»Komm schon! Du kannst das!«, rief Eric. Er wirkte streng und war unerbittlich.

Schweiß tropfte mir von der Stirn. »Ich versuch es doch!«, keuchte ich, die Hände auf die Knie gestemmt. Es mochte auf andere wahrscheinlich einfach wirken, doch das war es ganz und gar nicht. Und es war anstrengend. Verdammt anstrengend. Ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte einfach nur eine Pause. Wir waren schon seit Stunden dran und hatten noch keine einzige Pause gemacht.

»Ich versuch es doch, gibt's nicht! Ebenso, ich kann nicht mehr! Komm schon! So etwas sagst du die ganze Zeit über schon! Und ich sage dir; so wird das nichts! Du willst doch, dass du dich selber kontrollieren kannst, oder?« Am liebsten wäre ich einfach umgedreht und hätte ihn stehenlassen.

»Ja.«, gab ich missmutig von mir.

»Und du willst doch, dass du auf deinem blinden Auge wieder sehen kannst?«

»Ja.«, wiederholte ich schlecht gelaunt. Ich hatte schon so eine Ahnung, was gleich kommen würde. Und es gefiel mir gar nicht. Als er mir seine Hilfe angeboten hatte, hatte ich Hoffnung mir gemacht. Nun aber war sie gnadenlos niedergestampft worden.

»Dann versuch es nicht nur! Mach es!«, sagte er. Seine Stimme knallte wie eine Peitsche. »Auch wenn du nicht mehr kannst: Mach weiter! Sonst wird das nie etwas, mit so wenig Motivation! Deine Kräfte lassen sich nicht ohne Anstrengungen von dir kontrollieren.« Da war aber jemand motiviert. Vor wenigen Stunden noch hatte ich viel Blut und mein Bewusstsein verloren. Wenn ich jetzt nachdachte, hätte ich doch besser weiter schlafen sollen.

Hätte ich nicht selbst mitbekommen, wie mein Vater noch vor wenigen Stunden geweint hatte und ich ihn nicht kennen würde (tat ich ohnehin nicht wirklich), würde ich sagen, der sei innerlich ein Stein. Hart und unnachgiebig. Aber ich war nicht aus Stein. Ich brauchte eine Pause.

Ohne Vorwarnung drang er wieder in meinen Geist ein und es schien so, als würde er mich erdrücken. Keuchend zuckte ich zusammen. Eric versuchte die ganze Zeit zwei Varianten. Das hier war eine davon. Es war, als würde mich eine unsichtbare Kraft hinunterziehen und mir ein unglaubliches Gewicht auf die Schultern legen. Es war so kräftezehrend und zermürbend. Er machte mich ohne Gnade nieder, erlaubte mir keine Verschnaufpause.

Erneut keuchte ich, als er noch einmal eine Schippe drauflegte und spürte, wie mir der Schweiß die Stirn und den Nacken hinunter rann. Widerlich. Machte er so weiter, würde ich zusammenbrechen. All die anfängliche Freude darüber, ihn kennenlernen zu können und dass er mir helfen wollte, war verschwunden. Stattdessen hatte sich Bitterkeit und Widerwillen in mir breit gemacht, verschlang jedes positives Gefühl gefräßig.

»Eric, lass das Kind doch eine Pause machen!«, ertönte da die Stimme meiner Großmutter, die einige Meter von uns entfernt an der Glasschiebetür an der halbrunden Glaswand der Villa stand, die in den Garten führte, wenn man das hier überhaupt noch einen Garten nennen konnte. Es war eher ein gewaltiger Park. Insgesamt war alles hier sehr groß. Das Haus, wie sie es nannten, das kein Haus, sondern eine Villa war, der Garten, der kein Garten, sondern ein Park war. Sogar einen Springbrunnen gab es hier. Obwohl, nein. Ich hatte den Springbrunnen im "Vorgarten" des "Hauses" vergessen. Wenn sie hier sehen könnten, wie ich vorher bei meiner Adoptivmutter gelebt hatte, würden sie doch glatt sagen, ich hätte in einer Hütte gewohnt.

»Cecile, das ist wichtig! Eine Pause können wir uns nicht leisten!«, widersprach Eric meiner Großmutter. »Außerdem ist das auf diese Weise gutes Training!«

Cecile Validas, die Mutter meiner Mutter, schüttelte nur seufzend den Kopf. »Sie ist doch nur ein Kind. Gib ihr eine Pause. Ihr trainiert seit Stunden. Guck sie dir doch an!«

Mein Vater sah meine Großmutter mit einem Blick an, der förmlich zu sagen schien, dass sie sich da gefälligst heraushalten sollte und sich nicht einzumischen hatte. Er hatte einen Blick wie Stahl.

ObscuraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt