Kapitel 68 - Auge in Auge

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Ich erstarrte. Nein. Bitte nicht. Wie hatte ich nur so dumm sein können?! Ich hatte nicht daran gedacht. Doch dass dieses eigentlich wichtige Detail mich jetzt auffliegen ließ ... Wieso hatte ich das nicht beachtet?

Ich konnte Damon schlucken sehen. Er wusste es. Natürlich. Er war doch nicht blöd. Nicht so blöd, wie ich es jetzt gewesen war. Warum war es ihm nicht schon früher aufgefallen?

Ich sagte kein Wort. Klopfte mein Herz? Ich wusste es nicht. Nervös senkte ich meinen Blick. Wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Dennoch spürte ich seinen Blick nur zu deutlich auf mir. Auch er schwieg. Betrachtete mich stumm. Es war totenstill. Auf einmal kam mir der Kerker dunklerer vor. So bedrückend. So unheilvoll. Ich wollte hier raus. Ich musste hier raus. Unbedingt. Ich konnte Damon nicht in die Augen sehen. Es ging nicht. Es war unmöglich.

"Mika.", sagte er leise. Ein raues, ungläubiges Lachen erfüllte für einen kurzen Moment den kleinen Raum. "Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen?" Damon schüttelte seinen Kopf. "Ich hätte es mir eigentlich denken können." Ich presste meine Lippen fest aufeinander, sodass sie zu einer schmalen Linie wurden.

"Na komm schon, Mika. Zeige mir deine richtige Gestalt. Du bist doch sowieso schon aufgeflogen.", sagte er und ich spürte seinen auffordernden Blick. Ich schluckte. Wenn ich doch jetzt nur weit, weit weg sein könnte ... Eigentlich konnte ich das, aber da ich darin noch ziemlich unerfahren war, wollte ich es nicht riskieren. Wer konnte wissen, wo ich landen konnte? Womöglich sogar im Versteck der Jäger. Na ganz toll.

Langsam bemerkte ich, wie sich mein Aussehen änderte. Ich wurde wieder zu Mika. Gut. Jetzt nicht nachgeben. Ich durfte ihm nicht zeigen, wie viel Macht er über mich hatte. Ich durfte mich nicht unterkriegen lassen! Ich war stark. Ich war mächtig. Von Damon durfte ich mich nicht verunsichern lassen. Und das würde ich auch nicht. Nicht mehr.

Ich holte einmal tief Luft und hob meinen Kopf. War Auge in Auge mit Damon. Wir sahen einander an. Wortlos versuchten wir den jeweils anderen zu lesen. Vielleicht konkurrierten wir auch ein wenig. Testeten aus, wer zuerst nachgeben würde. Was er allerdings nicht wusste, war, dass ich nicht mehr vorhatte aufzugeben. Diese Zeiten waren vorbei. Endgültig. Vor ihm stand eine neue, viel stärkere Mika. Ich glaubte, das bemerkte er jetzt auch. Denn er war es, der zuerst wegsah und somit unseren Blickkontakt brach.

Ein triumphierendes Grinsen legte sich auf meine Lippen. Und ich entschied mich dazu, gar nicht erst auf meinen Fehler einzugehen und darauf, dass er mich erkannt hatte. Ich war schließlich nicht ohne Grund hier. Mein Gesicht wurde zu Stein. Ich trat einen Schritt vor und verschränkte unnachgiebig meine Arme vor meiner Brust. "Du weißt, weshalb ich hier bin.", sagte ich mit einer solch eisernen Stimme, die mich beinahe selbst erschreckte. "Ich will Informationen, Damon. Und ich werde das hier so lange durchziehen, wie ich muss."

Erstaunen breitete sich in seinem Gesicht aus. Damit hatte er nicht gerechnet. Definitiv nicht. Es war neu für ihn. Er öffnete seinen Mund, setzte zum Sprechen an und schloss ihn kurz darauf wieder. Er konnte mich bloß anstarren.

"Das hier wird natürlich erheblich länger dauern, wenn du nicht mit mir kooperierst. Und wahrscheinlich auch schmerzhafter.", fuhr ich fort. "Ich glaube nicht, dass du eine genaue Vorstellung hast, wie weit ich tatsächlich gehen kann." Ich machte eine kurze Pause. Wartete darauf, ob Damon vielleicht etwas zu sagen hatte. Hatte er nicht. "Wenn du nicht mit mir kooperierst, bleiben mir genau zwei Optionen. Kannst du dir vorstellen, welche das sind? Ein kennst du bereits. Es würde lange dauern, aber irgendwann würde ich die richtige Erinnerung finden." Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich irgendwann angefangen hatte, wie ein Löwe um Damon herum zu gehen. Mein Blick war fest auf ihn gerichtet. Er war meine Beute. Er war mir unterlegen. Er würde sich mir beugen müssen.
"Hast du irgendeine Ahnung davon, was meine zweite Option wäre? Ob sie effektiver ist, als in deinem Kopf einzudringen? Ich weiß es nicht. Aber vielleicht erzählst du mir eure Pläne dann sogar freiwillig."

 Ich konnte Damons Herzschlag hören. Es raste wild. Er hatte Angst. Er fürchtete mich und meine Kräfte. Doch er würde das nicht zugeben. Niemals. Dazu war er zu stolz und stur.
Damons Gesichtsausdruck veränderte sich. Verbissen starrte er mich an.
"Ist das noch die Mika, die ich kenne?", presste er schließlich hervor. Während er das sagte beobachtete er mich ganz genau. Wartete auf eine Reaktion. Ich gab ihm keine, die ihm Hoffnung machen könnte. "Ist das noch der Damon, den ich kannte?", erwiderte ich. "Außerdem. Wie kannst du dir sicher sein, mich je gekannt zu haben? Du hast doch keine Ahnung von mir." Damons Augen weiteten sich leicht. Ich konnte den Schreck in ihnen sehen. Er hatte diese Antwort nicht erwartet. Ich sah ihm an, dass er hoffte, in mir noch die alte Mika vorzufinden. Doch das würde er nicht. Die alte Mika war verschwunden. Schon lange.

"Du würdest mir nicht wehtun.", sagte Damon. Doch es klang mehr nach einem Flehen. "Das könntest du nicht."
Vor ihm blieb ich stehen, sah auf ihn herab. Sein Herz pochte. Er bemühte sich gleichmäßig zu atmen. "Bist du dir da auch wirklich sicher? An deiner Stelle würde ich nicht zu sehr darauf vertrauen.", zerschmetterte ich seine Hoffnungen. Sein Herz setzte kurz aus, ehe es noch heftiger zu schlagen begann. Damon war ganz blass geworden.

"Mika ...", flüsterte er. "Bitte. Tu es nicht. Du bist kein gefühlloses Monster! Wenn du mich verletzt, würdest du dir selbst nicht mehr verzeihen können!" Damon riss an seinen Fesseln. Doch diese hielten Stand.
Kalt sah ich auf ihn herab, hockte mich vor ihn hin und sah ihm fest in die Augen. "Damon.", sagte ich. "Du siehst mich doch schon als gefühlloses Monster. Und selbst wenn ich mir nicht mehr verzeihen könnte. Ich tue es für ein größeres Wohl als meines." Ich erhob mich wieder, positionierte meine Hände rechts und links auf seinen Armlehnen und beugte mich zu ihm herunter. Damon verfolgte mit den Augen jeder meiner Bewegungen.
"Du hast doch schon längst entschieden, dass ich ein Monster bin.", zischte ich ihm zu. Meine Augen blitzten kurz auf und Damon zuckte zusammen. "Sieh mich an und sag mir die Wahrheit. Fürchtest du mich?" Ich fletschte meine Zähne, knurrte. Geschockt starrte Damon auf meine Eckzähne, als zu allen Übels auch noch meine Augen zu glühen anfingen und dunkle Schatten auf meine Wangen warfen.

Damon wollte vor mir zurück weichen, seine Muskeln spannten sich an. Wäre er nicht gefesselt würde er mich wohl angreifen. Jetzt wünschte er sich wahrscheinlich, dass er mich damals getötet hätte, als er noch die Chance dazu hatte. Es versetzte mir einen kleinen Stich, doch ich ignorierte ihn. Es war vorbei. Falls es jemals angefangen hatte. Mittlerweile wusste ich, dass ich für Damon vermutlich ein wenig mehr als nur Freundschaft empfunden hatte. Sonst würde ich nicht immer so auf ihn reagieren. Allerdings war es von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

Ich schloss meinen Mund wieder und meine Augen verloren ihr Glühen. Ich richtete mich wieder auf und trat einen Schritt zurück. "Du brauchst nicht zu antworten, Damon. Ich kenne die Antwort bereits. Deine Reaktion hat dich verraten.", sagte ich. "Eigentlich auch schon deine Worte. Du bist do überzeugt davon, dass ich dir weh tun werde. Obwohl ich dir gesagt habe, dass ich zwei Optionen habe. Und dass ich diese gar nicht erst anwenden muss, wenn du mir freiwillig alles erzählst. Doch du ... " Ich schüttelte meinen Kopf. "Du bist so davon überzeugt, dass ich dir weh tun werde." Ich betrachtete ihn kurz. Seine Brust hob und senkte sich schnell. Das Blut pochte wild in seinen Adern. Sein Herz raste noch immer.
"Soll ich ehrlich zu dir sein?", fragte ich. Damon antwortete nicht. Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Die Temperatur in der Zelle stieg. Sein Körper wurde immer heißer. Er versuchte seine Fesseln zu schmelzen und den Stuhl zu verbrennen.  Doch selbst wenn er es schaffen würde. An mir würde er nicht vorbei kommen. Nie wieder würde ich schwach sein. Also ließ ich ihn machen.
"Mittlerweile glaube ich, dass du das Monster bist. Und nicht ich.", bemerkte ich gleichgültig.

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