Kapitel 61.2 - Ariadnes Plan

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"Ich muss mal kurz was klären.", sagte ich, schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Ich spürte die Blicke meiner Freunde in meinem Rücken als ich, wie Ariadne zuvor, die Halle verließ. Hinter mir schloss ich die Tür und sah mich suchend um. Von Ariadne war nichts zu sehen. Wo war sie denn hin? Ich dachte, sie wollte mit mir reden. Da konnte sie doch auch auf mich warten! Genervt, da ich sie jetzt auch noch suchen musste, obwohl ich lieber mit den anderen weiter in der Halle essen wollte, schlug ich den Weg in den linken Gang ein. Es klang komisch zu sagen, dass ich Ariadnes Witterung aufnahm, aber genauso war es. Das gehörte wohl zu den vampirischen Fähigkeiten. Ich kam mir vor wie ein Hund, als ich ihrem Geruch folgte, der mir eisig kalt in die Nase stieg. Würde ich nicht so immun gegen Kälte sein, würde es schon weh tun.

Ein paar Abbiegungen später hatte ich eine unscheinbare Tür erreicht, an der weder ein Name, noch eine Nummer stand. Also konnte es weder das Zimmer eines Schülers, noch ein Klassenraum sein. Unsicher stand ich vor der Tür und überlegte, ob es ratsam war, dort hinein zu gehen. Ach, was dachte ich da? Das war doch bloß Ariadne. Bloß Ariadne, die Jägerin. Oder Ex-Jägerin. Ich wusste nicht so genau was sie denn eigentlich war. Aber eigentlich konnte mir das auch egal sein. Sie hatte mich schon einmal gefürchtet. Zwar nur kurz, aber immerhin. Entschlossen griff ich nach der Türklinke, wo meine Hand für eine Weile verharrte. Doch schließlich drückte ich die Klinke herunter und die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarzen. Zum Vorschein kam eine Art Gerümpel Kammer. Einst mochte das hier wohl ein Gemeinschaftsraum gewesen sein, doch heute war davon kaum noch etwas zu sehen. Die einst so edlen Sofa waren verstaub und auf ihnen türmten sich die verschiedensten Dinge. Von normalen Alltagsgegenständen, über kaputte Stühle, bis hin zu defekten Küchengeräten war hier alles vorhanden. Nun fielen mir auch die zerbrochenen Bilderrahmen ins Auge. Aus manchen waren einige Bilder entfernt worden, die zerrissen im Raum verteilt lagen. Sie zeigten wohl Lady Darkstones Vorfahren. Manche dieser Bilder waren auch noch nicht allzu alt. Sie waren in Farbe und auf einem glaubte ich eine jüngere, unbeschwerte Desdemona zu erkennen, die bei einer Gruppe von Menschen stand. Das musste wohl ihre Familie sein. Vielleicht sollte ich ihr diesen Ort einmal zeigen.
Hinten in der Ecke, neben dem unbenutzten Kamin, stand eine altertümliche, große Uhr, deren Zeiger bereits vor langer Zeit stehen geblieben waren. Auch hier hatte sich der Staub bereits seit Jahren niedergelassen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es hier einmal wirklich schön und gemütlich ausgesehen haben musste.
"Du hast lange gebraucht.", riss mich Ariadnes einschneidende Stimme aus meiner Musterung. Ich hatte überhaupt nicht darauf geachtet, dass sie sich ja auch hier befand. Doch kaum hatte Ariadne meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, schon war ich genervt. So lange hatte ich doch überhaupt nicht gebraucht! Außerdem hatte Ariadne sich auch nicht vor mir verstecken müssen. Sie hätte auf mich warten und mich anschließend hier her führen können. Doch ich hielt meinen Mund. Es würde mich nicht weiter bringen, wenn ich Ariadne auf mich wütend machen würde.
"Was willst du?", fragte ich also. Ariadne strich mit ihrer Hand über eine alte, verstaubte Kommode, die aussah als käme sie aus einem längst verstrichenen Jahrhundert. "Ich wollte mit dir meinen - unseren - Plan besprechen.", sagte sie und lächelte eisig. Ihre stechend blauen Augen schienen meine zu durchdringen. Es war mehr als unangenehm. Dennoch hielt ich ihrem Blick Stand. Ariadne brach unseren Blickkontakt, als sie anfing im Zimmer umherzulaufen und beiläufig die verschiedenen Gegenstände betrachtete. Dabei kam sie mir vor wie ein Raubtier, das seine Beute umkreiste. "Wir können nicht ewig warten.", stellte Ariadne klar. "Irgendwann werden die Jäger hier einfallen." Abrupt blieb sie stehen und drehte sich zu mir um. Ihr stechender Blick schien mich zu durchleuchten. "Wir müssen also recht bald handeln.", fuhr Ariadne, ohne jegliche Emotionen in ihrer Stimme, fort. "Aus erster Hand weiß ich zufällig, dass sich eine Gruppe von Jägern hier ganz in der Nähe aufhält." Sie setzte sich wieder in Bewegung. Pah, das hätte ich ihr auch sagen können. Aus erster Hand, ja klar. Sie war ihre eigene Informantin. "Ich weiß, wo sie ihr Lager aufgeschlagen haben. Ebenso weiß ich, um welche Jäger es sich handelt. Ich kenne sie persönlich. Ihre Stärken, wie auch ihre Schwachstellen." Mit einem merkwürdigen Grinsen hob sie eines der zerrissenen Fotos vom Boden auf und betrachtete es eingehend. Argwöhnisch ließ ich Ariadne nicht aus den Augen. Währenddessen sprach sie weiter. "Am besten wäre es, wenn wir direkt in ihrer Mitte zuschlagen. Dort, wo sie es am wenigsten erwarten würden. Nachts, wenn sie schlafen. Es gibt nur ein, zwei Wachen. Doch die sollten leicht auszuschalten sein." Ausschalten. Mir wurde schlecht. Sie wollte das wirklich durchziehen. Aber es musste doch noch einen anderen Weg geben! "Ich würde sagen, wir ziehen das heute Nacht durch." Es klang weniger wie ein Vorschlag und mehr wie ein Befehl. Ariadne legte die beiden Fotohälften zurück und begann weiter im Raum herum zu schleichen. Sie betrachtete alles ganz genau. "Ich könnte dir das ein oder andere Messer anbieten, wenn du willst.", sagte Ariadne. "Das wäre vielleicht besser, da sie dann noch nicht sofort wissen, dass du dabei bist." Natürlich. Würden sie es wissen, würden es schnell auch alle anderen Jäger wissen. Und dann würde ich selbst im Schloss nicht mal mehr win wenig sicher sein. Ariadne drehte sich fragend zu mir um. "Du kannst doch mit dem Messer umgehen, oder?" Ich konnte sie nur anstarren. Was erwartete Ariadne denn bitte von mir? Dass ich eine Profikillerin war? Sie seufzte. "Deinem Gesichtsausdruck zu urteilen nach, tippe ich auf ein nein." Nachdenklich verschränkte sie ihre Arme vor ihrer Brust. "Okay, lassen wir das mit dem Messer." Ariadne kam nun auf mich zu und blieb vor mir stehen. "Die Wachen werden nur wenige Meter vom Lager entfernt positioniert sein. Wir müssen sie leise überwältigen. Sonst werden die anderen wach und uns bleib nicht mehr der Vorteil des Überraschungsmoments.", stellte Ariadne klar. "Außer den Wachen gibt es noch sieben andere Jäger hier. Einen von ihnen solltest du kennen." Sie sah mich an als würde sie auf irgendeine Reaktion hoffen. Doch es kam keine. Als sie das bemerkte, sprach sie weiter als sei nichts gewesen. "Wir müssen schnell sein. Und leise. Die Jäger dürfen keine Möglichkeit haben Verstärkung zu holen oder andere Jäger zu informieren." Das war doch klar. Dachte Ariadne, dass ich überhaupt keine Ahnung hätte? Ich hatte genug Actionfilme gesehen. Ich wusste wie so etwas ablief. Nun gut, Filme waren nun kein Vergleich zur Realität, aber ein gewisses Grundwissen vermittelten sie schon.
Skeptisch musterte die Eis Elementary mich. "Du bist doch noch dabei, oder?" Ich dachte über Desdemonas Worte nach. Tatenlos herum sitzen und warten bis irgendeine Seite gewann würde uns nicht weiter bringen. Wir mussten es selbst in die Hand nehmen. Entschlossen sah ich Ariadne an. Leider würde sie sich mit meiner Methode anfreunden müssen, wenn sie mich dabei haben wollte. "Ja, ich bin nach wie vor dabei.", sagte ich mit einer Stimme, die keinen Widerstand akzeptieren würde. "Aber wir machen es auf meine Art."

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