Kapitel 54.2 - Nicht allein

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Von der Gefahr aufzufliegen einmal abgesehen fand ich es wirklich gut, dass Will mit mir kommen wollte. Da ich ihn sowieso noch nicht lange kannte, war es eine gute Gelegenheit ihn besser kennen zu lernen. Ich wusste nicht einmal, was sein Lieblingsessen war, oder welche Farbe er am liebsten mochte. Es war mir egal, dass diese Dinge eigentlich eher nebensächlich waren, doch mir waren sie wichtig. 
Nur ließ mich das Gesicht meiner Mutter zweifeln, als ich zu ihr sah. Unsere Eltern hatten immerhin auch noch etwas zu sagen. Sie sah besorgt aus, während sie Will und mich musterte. "Ich weiß nicht ob das eine so gute Idee ist.", meinte sie leise und blickte nachdenklich aus den großen Fenstern hinaus in den Garten. "Das Darkstone Internat ist recht ... speziell." Speziell. So nannte sie das also. Irgendwie kränkte mich das und automatisch verschränkte ich meine Arme missbilligend vor meiner Brust. Dieses eine Wort, das sie sagte "speziell" erinnerte mich ein wenig daran, wie Ariadnes Eltern mit ihrer andersartigen Tochter umgegangen waren. Weil sie anders, speziell war, hatten sie sie ändern wollen. Und das konnte ich ihnen nicht verzeihen. Es war auch nicht schwer, weiterhin nachtragend zu sein, da beide unausstehliche Personen waren. Doch meine Mutter war nicht so. Ach, was dachte ich da? Ich kannte sie ja kaum. Auch, wenn ich es mir nicht vorstellen konnte, dass sie etwas gegen die "speziellen" Elementary hatte. Ich war schließlich nicht minder speziell. Auf keinen Fall.
"Ja und?", fragte ich. Meine Stimme klang schärfer, als ich es beabsichtigt hatte. Die Schärfe bemerkte auch meine Mutter und sie hob beschwichtigend ihre Hände. "So habe ich das nicht gemeint, Mika.", sagte sie und ihre Augen huschten entschuldigend zu Desdemona. Diese wank jedoch nur ab, als sie den Blick meiner Mutter bemerkte. "Ich weiß nur nicht, wie ich die Elementary im Darkstone Internat sonst nennen soll.", erklärte Mum, doch das beruhigte mich nicht. "Vielleicht solltest du sie einfach Elementary nennen.", schlug ich sarkastisch vor und sie seufzte. "Mika, ich meine es doch nicht böse. Das weißt du doch, nicht wahr?", fuhr sie fort. "Es ist nur so, dass sie anders sind, als das, was wir kennen. Und da kann es schon einmal vorkommen, dass man nicht weiß, wie man damit umgehen soll." Sie fuhr sich mit ihrer Hand durch das Haar, wirkte ein wenig verzweifelt, wusste nicht, wie sie mich wieder positiv stimmen konnte. Nun war ich es, die seufzte. "Wie wäre es, wenn du einfach normal damit umgehst? Sie sind nicht anders als andere Elementary. Wenn dann bin ich es, die anders ist." Daraufhin sagte sie nichts mehr. Sie nickte bloß schweigend. Es störte mich nicht, dass sie mir dann zustimmte, dass ich anders war. Denn es war die Wahrheit. Das war nicht zu leugnen. Selbst wenn sie es getan hätte, hätte es nichts gebessert. Denn ich war nun einmal anders. Ich wusste nicht, ob ich noch eine richtige Elementary war. Ich wusste es ehrlich nicht. Ich wusste nicht, was ich war.
Unsere Mutter tauschte einen kurzen Blick mit unserem Vater. Sie schienen sich für einen Moment gedanklich auszutauschen, dann sahen beide zu uns. "In Ordnung.", sagte Dad. "Will, du darfst mit gehen." Wills Augen weiteten sich überrascht. Er hatte anscheinend nicht damit gerechnet, dass sie zustimmen würden. Mum kam auf ihn zu und legte ihre Arme auf seine Schultern. "Wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn du dort zur Schule gehst.", stimmte sie zu. "Du wirst kein Außenseiter mehr sein." Seit Will offenbart hatte, dass er kein Heaven war, hatten die anderen Schüler ihn zu meiden begonnen. Es tat mir noch immer leid, denn es war eigentlich wegen mir gewesen, weshalb er seine Tarnung aufgegeben hatte.
"Danke!" Will strahlte unsere Eltern an. Er schien sich wirklich darüber zu freuen. Auch wenn Will schon Volljährig war, war es ihm wichtig, was unsere Eltern davon hielten. Obwohl ich glaubte, dass er trotzdem gehen würde, auch wenn sie dagegen gewesen wären. Will drehte sich zu mir um. "Warte kurz, ich gehe noch ein paar Sachen packen!" Er eilte aus dem Zimmer, an seinem Koffer vorbei und einen Augenblick später, hörte ich ihn die Treppen hoch poltern.
"Ich sage dem Elementary Internat bescheid, dass Will nicht wieder kommen wird.", ließ Dad uns wissen und verschwand ebenfalls aus dem Raum. Desdemona stand auf und sah zur Tür, durch die Will und mein Dad verschwunden sind. "Bekommt er wie du eine neue Identität?", fragte sie mich. Das war eine gute Frage. Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Eigentlich braucht er keine Neue." Immerhin hatte er nichts getan, weshalb er gesucht wurde. Und auch auf dem Elementary Internat hatte er keine andere Identität angenommen. Jedenfalls war sein Vorname der selbe gewesen. Wusste überhaupt jemand außer der Schulleitung seinen Nachnamen? Ich hatte nie darauf geachtet. Und wenn, wusste ich es nicht mehr.  Aber das war jetzt auch egal. "Also wird Will als Will zur Schule gehen.", Desdemona nickte nachdenklich. "Ich glaube das wäre besser." Sie warf mir einen Seitenblick zu. "Wir brauchen nicht noch jemanden, der ein Geheimnis wahren muss." Desdemona grinste mich frech an.
"Haha.", machte ich nur und schüttelte meinen Kopf. Doch sie hatte recht. Langsam wuchs mir das Ganze über den Kopf. Jetzt da Liam von mir wusste und zu allen Übels die eigentlich tote Claire bei ihm war, wusste ich nicht, wie lange mein Geheimnis noch geheim bleiben würde. 
"Bin wieder da!", ertönte da plötzlich wieder die Stimme meines Bruders. "Können wir los?" Statt nun mit zwei Koffern stand er nun mit drei Koffern im Türrahmen. "Du musst mir nur ein wenig beschreiben, wie die Umgebung des Darkstone Internats aussieht und wo genau das Schloss liegt.", sagte er. "Ach ja, so übrigens reist du richtig." Natürlich sprach er damit meine ungeplante Ankunft hier an. "Aber das können wir ja noch üben. Jetzt haben wir Zeit dazu." Will grinste. "Ach ja, kannst du einen meiner Koffer abnehmen, Mika?" Er deutete mit einem Kopfnicken auf den kleinsten seiner Koffer. Ich nickte. "Klar. Ich ging auf ihn zu und nahm den Koffer. "Jetzt haltet euch an mir fest.", befahl Will und bedeutete Desdemona ebenfalls her zu kommen. "Ich ahne was jetzt kommt.", meinte sie und verdrehte ihre Augen. Will lachte, als sie sich widerwillig an seinem Arm fest hielt. Ich tat es ihr gleich. Und wieder begann sich meine Umgebung zu verzerren und immer wieder blitzten Fetzen vom Darkstone Internat auf, ehe wir komplett aus unserer jetzigen Umgebung gerissen wurden.

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