Kapitel 28 - Lune James

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Mika

Während ich schluchzend durch den Wald rannte, wich mein Schmerz über seine Worte langsam der Wut. Ich bemerkte nicht, wie meine Augen wieder anfingen blutrot zu glühen. Ich unterdrückte einen Wutschrei. Wie konnte er nur?! Ich hatte mich ihm anvertraut! Ich hatte ihm mein Vertrauen geschenkt! Am liebsten wollte ich irgendetwas zertrümmern. Im Wald gab es dafür ja eigentlich viele Möglichkeiten. Doch ich musste mich zusammenreißen. Nie wieder würde ich so dermaßen die Kontrolle verlieren so wie damals.

Ich hatte einen Plan und den würde ich erst einmal verfolgen. Mit Damon konnte ich mich noch später beschäftigen. Und das würde ihm ganz und gar nicht gefallen. Warum sollte es auch? Es würde schließlich meine Rache sein.

Ich hörte auf zu rennen. Ich sollte damit beginnen, mir eine neue Identität zu schaffen.

Mika Lunar-Eclipse war eine gesuchte Mörderin. Niemand würde sie auf einer Schule aufnehmen.

Mika Lunar-Eclipse war bekanntlich eine Ghost Elementary, die garantiert versuchen würde, das zu verstecken.

Ich wusste, was ich zu tun hatte.

Lune James wurde geschaffen. Der Vorname bedeutete so ziemlich das Gleiche, wie "Mika" und "James" war der Mädchenname von Hannes Mutter, ehe diese Hannes Vater heiratete. Niemand würde Verdacht schöpfen.

Lune James war keine gesuchte Mörderin. Niemand würde sie für so etwas halten.

Lune James war eine Fire Elementary. Etwas, das Mika Lunar-Eclipse niemals freiwillig sein würde.

Zudem würde es vom Vorteil sein, wenn Lune anders als Mika aussehen würde. Wie sollte ich das nun jetzt anstellen? Ich konnte ja schlecht ohne Geld und überhaupt in einen Laden spazieren und mir Schminke für meine Narbe, Kontaktlinsen und Haarfärbemittel kaufen.

Seufzend ließ ich mich auf den Boden fallen. Das würde alles schwerer sein, als ich es mir vorgestellt hatte. Wie sollte ich das denn jetzt anstellen? Einen Moment lang schien mir alles unmöglich, bis ...

"Verdammt, ich bin ja eine Hexe!" Sofort erhob ich mich wieder. Vielleicht war das ja doch zu etwas gut. Wie stellte ich das jetzt an? Musste ich irgendwelche Zaubersprüche murmeln und dann sehen, was passierte? Oder reichte allein meine Vorstellungskraft, um das Gegenteil von Mika Lunar-Eclipse zu schaffen?

Ich schloss meine Augen, spürte wie ich ruhiger wurde. Begann mir langsam ein Bild von dem zusammenzustellen, wie ich mir meine neue Identität vorstellte. Spüren tat ich erst einmal nichts. Überhaupt nichts. Genervt wollte ich schon abbrechen, als ich dann doch spürte, wie etwas meinen kompletten Körper durchfuhr. Erst war es wie ein leises Prickeln im Hintergrund, doch es wurde stärker und rückte immer mehr in den Vordergrund. Es fühlte sich so an, als würden auf meinem ganzen Körper kleine Ameisen entlangkrabbeln und Samba tanzen.

Ob es nun angenehm war oder nichts, da war ich mir selbst nicht so sicher. Aber es zeigte mir, dass etwas geschah. Was es war, konnte ich weder wissen noch sehen. Ich tat das hier schließlich zum ersten mal, was auch immer ich hier gerade tat. Ich wusste, was ich versuchte. Aber was ich wirklich tat, wusste ich nicht.

Das Kribbeln wurde warm und immer wärmer, bis es später heiß wurde. Doch ich verbrannte mich nicht. Es störte mich nicht einmal, diese Hitze, die sich in meinem kompletten Körper ausbreitete, bis in den kleinsten und hintersten Winkel. Es war irgendwie eine angenehme Hitze. Im Winter hätte es mir geholfen, obwohl ich nicht so Kälteempfindlich war, wie manch anderer.

Der Wald in dem ich mich befand war nun nicht mehr wirklich. Es war, als würde ich schweben. Ganz weit weg von alle dem. Als wäre diese Welt unreal, als würde sie nicht existieren. Es war, als wäre ich zum ersten mal im Leben sorgenfrei. Nur die Wärme schien wichtig zu sein. Die Wärme, die mich in eine andere Welt katapultierte. Ich fühlte mich leicht.

Doch langsam verebbte das Gefühl der Leichtigkeit und auch verschwand nun langsam die wohlige Hitze. Ganz langsam verschwanden sie und alles andere kam wieder zurück. Sofort war ich wieder verbissen, wegen all dem, was passiert war.

Doch etwas war anders, das konnte ich nicht leugnen. Ich selbst fühlte mich anders. Das konnte ich schlecht übergehen. Es war wie das Unvermeidliche. Man konnte es nicht nicht fühlen.

Ich atmete einmal tief ein und aus, schloss dabei die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken. Es entspannte mich. Auch die Ruhe, die der Wald mir gab. Kein Vogelgezwitscher, kein Windzug, der die Baumkronen zum Rascheln brachte. Stille. Einfach nur Stille. Ich begrüßte es.

Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung, erkundete im Geiste die Umgebung nach einem See oder einem Fluss. Schnell fand ich einen kleinen Fluss und ging zielstrebig los. Die ganzen Wurzeln und Unebenheiten des Bodens störten mich nicht im Geringsten.

Ich hatte ein Ziel und das reichte mir. Dornen zerkratzten mir Arme und Beine, doch das störte mich nicht. Es war unwichtig. Es zählte nur mein Vorhaben, das ich sehr bald umsetzen würde.

Ein leises Rauschen ertönte in meinen Ohren. Ich lief schneller, warmes Blut lief mir aus den ganzen Kratzern, die die Dornen verursacht hatten. Die würde ich später behandeln. Das Rauchen wurde immer lauter und ich näherte mich dem Fluss, der in einem kleinen See mündete. Das Wasser des Sees war ruhig und klar. Nichts störte die ruhige, schöne Atmosphäre, die das Wasser umgab.

Ein leichter Windzug streifte mich, fuhr mir durch das lange Haar. Blätter rauschten leise im Hintergrund. Ein einzelner Regentropfen durchbrach die glatte Oberfläche des spiegelnden Sees. Nach dem Einen folgten Mehrere. Aus den Mehreren wurde ein Schauer. Tropfen platschten auf die Baumkronen, trommelten auf das Wasser und sickerten in den Waldboden, der sogleich matschig wurde.

Na super. Fehlte jetzt nur noch, dass es zu Gewittern anfing. Bei meinem Glück konnte ich mir da gut vorstellen.

Langsam schritt ich auf das Wasser zu. Durch den Regen erkannte ich erst einmal überhaupt nichts. Doch langsam, je länger ich auf das Wasser des Sees schaute, desto mehr konnte ich erkennen. Meine Haut war wie immer. Blass. Meine Kleidung war wie vorher. Rotes Oberteil, schwarze Hose und Schuhe. Doch meine Augen. Meine Augen waren nicht mehr sturmgrau. Sie waren in einem intensiven Giftgrün. Sie schienen mein Spiegelbild zu durchbohren. Sie wurden von wie immer schwarzen langen Wimpern umrandet. Es sah faszinierend aus. Mein Haar war nicht mehr tiefschwarz. Es war silberblond. Alles eine ziemlich interessante Kombination.

Doch etwas fiel mir besonders auf. Etwas, das ich mir eigentlich überhaupt nicht vorgestellt hatte. Wann hatte ich mich das letzte mal im Spiegel gesehen? Das war heute gewesen. Heute in Hannes Haus, in meinem ehemaligen Zimmer. Da sah ich noch nicht so aus. Wann war das passiert? Meine Narbe war immer noch da, doch beide Augen hatten jetzt die selbe Farbe. Das eine war nicht mehr sturmgrau und das andere nicht mehr lila. Doch meine Gesichtszüge.

Noch vor wenigen Wochen sah ich jünger aus, als ich es eigentlich war. Wann war das passiert? Wann war ich erwachsen geworden? Meine Gesichtszüge waren markanter, weniger kindlich, wie sie es noch vor wenigen Wochen gewesen waren. Wie viel hatte sich verändert, seit ich auf das Elementary Internat gegangen war?

Wann hatte ich mich so verändert? War das, als ich heute das erste mal etwas von meinem Vampirdasein gezeigt hatte? Als ich Hanne beschützen wollte? Mir fiel ein, dass Damon, als ich ihn umgerannt hatte, er mich erst einmal eine Weile angestarrt hatte, bis er mich erkannt hatte. Wie war das nur möglich? Das hatte ich nämlich gerade nicht verändert.

Nun machte es mir Angst.

Als ich meine Ghost Elementary Fähigkeiten entdeckte, hatte ich ziemlich oft die Kontrolle über mich verloren und es hatte blutig geändert.

Als ich meine Hexenfähigkeiten entdeckt hatte, war es mir gleichgültig geworden, Hauptsache ich erreichte meine Ziele. Ich konnte an Orten sein, an denen ich eigentlich überhaupt nicht war.

Nun, als ich auch den Teil Vampir annahm, der in mir steckte, waren mir Eckzähne gewachsen und meine Augen hatten sich blutrot verfärbt. Die Augen konnten allerdings wieder ihre "normale" Farbe annehmen, während die Eckzähne geblieben waren. Durch den Teil Vampir war ich irgendwie anders geworden. Ich glaubte, das hatte auch Damon bemerkt. Die vampirische Seite an mir machte mir Angst.

Was würde noch passieren?

Doch erst einmal brauchte das nicht meine Sorge zu sein. Noch nicht, aber irgendwann.

Erst einmal würde ich als Lune James untertauchen.

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