Obscura

By 00elem00

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Fünf Elemente. Eine Schule. So heißt es zumindest. Was kaum einer weiß: Auf dieser Welt gibt es so viel mehr... More

Prolog - Einige Jahre zuvor ✅
Kapitel 1 - 16 Jahre später ✅
Kapitel 1.2 - 16 Jahre später ✅
Kapitel 2 - Der Angriff ✅
Kapitel 2.2 - Der Angriff ✅
Kapitel 3.2 - Der Brief und die Wahrheit? ✅
Kapitel 4 - Neuanfänge ✅
Kapitel 4.2 - Neuanfänge ✅
Kapitel 5 - Eine grüne Ankunft ✅
Kapitel 6 - Außenseiterin und dunkle Überraschungen ✅
Kapitel 6.2 - Außenseiterin und dunkle Überraschungen ✅
Kapitel 7 - Das Element "Geist" ✅
Kapitel 7.2 - Das Element "Geist" ✅
Kapitel 8 - Von Jägern, Hass und Brüdern ✅
Kapitel 8.2 - Von Jägern, Hass und Brüdern ✅
Kapitel 9 - Elementtraining ✅
Kapitel 9.2 - Elementtraining ✅
Kapitel 10 - Schwarz wie die Nacht ✅
Kapitel 10.2 - Schwarz wie die Nacht ✅
Kapitel 11 - Schock ✅
Kapitel 12 - Danach ✅
Kapitel 13 - Abstand ✅
Kapitel 15 - Damon Firelights Geschichte ✅
Kapitel 16 - Die Beichte ✅
Kapitel 16.2 - Die Beichte ✅
Kapitel 17 - Mondnacht ✅
Kapitel 17.2 - Mondnacht ✅
Kapitel 18 - Ich hasse dich nicht ✅
Kapitel 18.2 - Ich hasse dich nicht ✅
Kapitel 19 - Schreie, Tod und Tränen ✅
Kapitel 19.2 - Schreie, Tod und Tränen ✅
Kapitel 22 - Familie ✅
Kapitel 22.2 - Familie ✅
Kapitel 23 - Vater und Kontrolle ✅
Kapitel 23.2 - Vater und Kontrolle ✅
Kapitel 24 - Als der Wald verstummte ✅
Kapitel 24.2 - Als der Wald verstummte
Kapitel 25 - Tagebuch eines Jägers
Kapitel 25.2 - Tagebuch eines Jägers
Kapitel 26 - Catch me if you can
Kapitel 26.2 - Catch me if you can
Kapitel 27 - Hass und Kälte
Kapitel 27.2 - Hass und Kälte
Kapitel 28 - Lune James
Kapitel 28.2 - Lune James
Kapitel 29 - Das Darkstone Internat
Kapitel 29.2 - Das Darkstone Internat
Kapitel 30 - Desdemona MacKenzie
Kapitel 30.2 - Desdemona MacKenzie
Kapitel 31 - Der Großkotz
Kapitel 31.2 - Der Großkotz
Kapitel 32 - Kräuter und wie man sie anwendet
Kapitel 32.2 - Kräuter und wie man sie anwendet
Kapitel 33 - Aufgeflogen?
Kapitel 33.2 - Aufgeflogen?
Kapitel 34 - Von Wut und Schuldgefühlen
Kapitel 34.2 - Von Wut und Schuldgefühlen
Kapitel 35 - Team Mi...-Lune
Kapitel 35.2 - Team Mi...-Lune
Kapitel 36 - Die Feinde unter uns
Kapitel 36.2 - Die Feinde unter uns
Kapitel 37 - Familiengeheimnisse und bevorstehende Bedrohung
Kapitel 37.2 - Familiengeheimnisse und bevorstehende Bedrohungen
Kapitel 38 - Ariadne Glacials Geschichte
Kapitel 38.2 - Ariadne Glacials Geschichte
Kapitel 39 - Die eisige Katze
Kapitel 39.2 - Die eisige Katze
Kapitel 40 - Der Plan
Kapitel 41 - Newcastle Airport
Kapitel 42 - Die Großstadtmetropole London
Kapitel 43 - Besuch bei den Glacials
Kapitel 44 - Verfolgungsjagd
Kapitel 45 - Das Glacial Trio
Kapitel 45.2 - Das Glacial Trio
Kapitel 46 - Zurück zum Darkstone Castle
Kapitel 46.2 - Zurück zum Darkstone Castle
Kapitel 47 - In den Kellergewölben
Kapitel 47.2 - In den Kellergewölben
Kapitel 48 - Die Katze im Turm
Kapitel 48.2 - Die Katze im Turm
Kapitel 49 - Richtig und Falsch
Kapitel 49.2 - Richtig und Falsch
Kapitel 50 - Zurück in die Kerker
Kapitel 50.2 - Zurück in die Kerker
Kapitel 51 - Wie Liam die Wahrheit erfuhr
Kapitel 51.2 - Wie Liam die Wahrheit erfuhr
Kapitel 52 - Zurück Zuhause
Kapitel 52.2 - Zurück Zuhause
Kapitel 53 - Wiedersehen
Kapitel 53.2 - Wiedersehen
Kapitel 54 - Nicht allein
Kapitel 54.2 - Nicht allein
Kapitel 55 - Ein neuer Schüler
Kapitel 55.2 - Ein neuer Schüler
Kapitel 56 - Nawin und Desdemona
Kapitel 56.2 - Nawin und Desdemona
Kapitel 57 - Zimmer 93
Kapitel 57.2 - Zimmer 93
Kapitel 58 - Kellererinnerungen
Kapitel 58.2 - Kellererinnerungen
Kapitel 59 - Nachtluft
Kapitel 59.2 - Nachtluft
Kapitel 60 - Desdemonas Rede
Kapitel 60.2 - Desdemonas Rede
Kapitel 61 - Ariadnes Plan
Kapitel 61.2 - Ariadnes Plan
Kapitel 62 - Mikas Plan
Kapitel 62.2 - Mikas Plan
Kapitel 63 - Mitternacht
Kapitel 63.2 - Mitternacht
Kapitel 64 - Sechs kleine Schafe
Kapitel 64.2 - Sechs kleine Schafe
Kapitel 65 - Der Kampf im Wald
Kapitel 65.2 - Der Kampf im Wald
Kapitel 66 - Das Verhör
Kapitel 66.2 - Das Verhör
Kapitel 66.3 - Das Verhör
Kapitel 67 - Damons Erinnerungen
Kapitel 67.2 - Damons Erinnerungen
Kapitel 68 - Auge in Auge
Kapitel 68.2 - Auge in Auge
Kapitel 69 - Der Plan
Kapitel 69.2 - Der Plan
Kapitel 70 - Vorbereitungen
Kapitel 70.2 - Vorbereitungen
Kapitel 71 - Mission: Saimon
Kapitel 71.2 - Mission: Saimon
Kapitel 71.3 - Mission: Saimon
Kapitel 71.4 - Mission: Saimon
Kapitel 72 - Das Haus der Klahans
Kapitel 72.2 - Das Haus der Klahans
Kapitel 73 - Von Jägern und Ghosts
Kapitel 73.2 - Von Jägern und Ghosts
Kapitel 74 - Saimon
Kapitel 74.2 - Saimon
Kapitel 74.3 - Saimon
Kapitel 75 - Verlangen nach Antworten
Kapitel 75.2 - Verlangen nach Antworten
Kapitel 76 - Beste Freunde
Kapitel 76.2 - Beste Freunde
Kapitel 77 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 77.2 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 77.3 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 77.4 - Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 78 - Der Sturm
Kapitel 78.2 - Der Sturm
Kapitel 78.3 - Der Sturm
Kapitel 78.4 - Der Sturm
Kapitel 78.5 - Der Sturm
Kapitel 78.6 - Der Sturm
Kapitel 79 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Kapitel 79.2 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Kapitel 79.3 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Kapitel 79.4 - Die Leere danach und die endgültige Aufklärung
Epilog
Danksagung und Schlusswort

Kapitel 3 - Der Brief und die Wahrheit? ✅

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By 00elem00

Am nächsten Tag wurde ich tatsächlich entlassen. Die Verbrennungen waren schon viel besser verheilt, als Doktor Wilson erwartet hatte. Dies brachte mir einen nachdenklichen Blick des Arztes ein und auch ich war misstrauisch. Obwohl ich keine Ahnung von Medizin hatte, wusste ich, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Nicht stimmen konnte.

Die Fahrt nach Hause verlief schweigsam. Anfangs hatte meine Mutter noch versucht, die Erinnerungen aus mir herauszuquetschen. Natürlich zerrte das an meinen Nerven, doch ich verstand auch ihre Sorge. Sie hatte Angst. Sie konnte sich nicht erklären, wie es so weit kommen konnte. Aber anschließend hatte sie es aufgegeben, nachdem sie eingesehen hatte, dass sie so nicht weiterkommen würde. Allerdings hatte sich für mich bloß die Schonfrist verlängert.

Als wir zu Hause waren, verschwand ich sofort auf mein Zimmer, ohne ein Wort zu sagen. Ich wollte meine Ruhe. Außerdem musste ich überlegen, wie ich ihr das Geschehen erklären konnte, ohne als verrückt abgestempelt zu werden.

Traurig sah meine Mutter mir hinterher. Sie wusste, dass etwas nicht mit mir stimmte und ich ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Merkwürdigerweise schien meine Mutter irgendeine böse Vorahnung zu haben. Gerade das machte mir Angst. Sie konnte unmöglich wissen, was passiert war. Oder gar darüber Bescheid wissen, dass es manche Menschen gab, die das Feuer zu sich rufen konnten. Außerdem machte es mich misstrauisch. Auch, wenn ich bezweifelte, dass sie mit dem Jungen unter einer Decke steckte.

Entkräftet schmiss ich mich auf mein Bett und vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Über so etwas wollte ich eigentlich gar nicht mehr nachdenken. Wollte es vergessen.
Alles hatte sich für mich verändert. Scheinbar. Nichts sah ich mehr, wie vor den Geschehnissen im Wald. Es war nicht normal, dass ein Mensch Feuer 'heraufbeschwören' konnte. So etwas gab es gar nicht. Konnte es nicht geben. Warum konnte er so was? War er ein Einzelfall? Oder gab es mehrere? Schluckend durchfuhr mich ein Zittern. Wenn es wirklich mehrere gab, waren wir dem Untergang geweiht! Was würde diese Leute davon abhalten, gewöhnliche Menschen wie mich und meine Mitschüler zu versklaven? Oder die Weltherrschaft an sich zu reißen? Wir wären ihnen doch vollkommen unterlegen! Theoretisch konnten sie tun und lassen, was sie wollten. Wer sollte sie aufhalten?

Noch ehe ich mir weiterhin Gedanken machen konnte, ertönte die Stimme meiner Mutter. Sie konnte es einfach nicht lassen. Vor nicht einmal einer Minute hatte ich ihr klar gemacht, dass ich mich an nichts mehr erinnern könnte und sie gebeten, mich erst einmal in Ruhe zu lassen. Konnte sie nicht akzeptieren, dass ich Zeit für mich brauchte?
Ihre Sorge verstand ich. Welches Elternteil wollte nicht wissen, warum die Tochter verletzt im Wald gefunden worden war? Trotzdem konnte ihre Fragerei warten.

»Mika? Im Briefkasten ist was für dich dabei!«, rief meine Mom. Irritiert runzelte ich meine Stirn. Ein Brief? Wer sollte mir einen Brief schicken? Ich bekam nie Briefe. Weder hatte ich irgendwelche Freunde, noch irgendwelche Verwandten von denen ich wusste, außer meiner Mutter. Außerdem wusste ich gar nichts über meine leiblichen Eltern. Hanne enthielt mir keine Informationen vor. Das wusste ich. Sie wusste selbst nicht, woher ich kam. Meine Eltern hatten sich anscheinend nicht zu mir bekennen wollen. Vielleicht hatten sie somit verhindern wollen, dass ich sie eines Tages aufsuchte. Mittlerweile war es mir aber egal. Damals nicht. Aber heute. Sie hatten mich abgegeben. Sie gehörten nicht zu meinem Leben. Hanne dagegen schon. Ihr verdankte ich so viel. Sie war meine Mutter.

Neugierig wandte ich mich aus dem Bett und ging zu meiner Mutter runter. Die Treppe knarzte bei jedem Schritt. Am liebsten wäre ich schneller gegangen, doch ich wollte mir meine Aufregung nicht anmerken lassen. Wenn es jetzt doch kein wichtiger Brief wäre, wäre es ziemlich peinlich.

»Hier.«, sagte Hanne und gab mir einen Briefumschlag. Auch sie wirkte neugierig. Ihr war bewusst, dass ich nie Post bekam. Sie erwartete, dass ich den Brief vor ihren Augen öffnete. Aber da hatte sie die Rechnung ohne mich gemacht. Erst einmal wollte ich mir in Ruhe ansehen, was ich da bekommen hatte. Danach könnte ich es ihr erzählen.

»Danke.«, murmelte ich und verschwand wieder in meinem Zimmer. Hinter mir schloss ich die Tür und setzte mich auf mein Bett. Eigentlich wollte ich den Umschlag sofort aufreißen und die Zeilen lesen, doch ich hielt mich zurück. Stumm betrachtete ich den Briefumschlag. Es war kein gewöhnlicher weißer Briefumschlag, wie man ihn normalerweise bekam. Ein rundes Logo prangte in der Mitte. Ein Kreis, der in vier Farben unterteilt war. Oben links war er weiß, unten links war er blau, oben rechts war er rot und unten rechts war er grün. Der Umschlag war mit dunkel violettem Wachs versiegelt. Auf dem Umschlag stand mein Vorname und meine Adresse. Stirnrunzelnd öffnete ich ihn und zog ein Blatt Papier heraus. Knisternd entfaltete ich es.

Sehr geehrte Mika Keaton,

hiermit laden wir Sie herzlichst auf das Elementar Internat ein.

Vielleicht haben Sie es schon gemerkt, dass Sie keine gewöhnliche Sterbliche sind. Sie haben Fähigkeiten. Manche von Ihnen wissen es seit ihrer Geburt. Andere erfahren es erst durch diesen Brief.

Schulstart ist am 08. August. Wir bitten Sie aber, schon einen Tag früher da zu sein. Bitte packen Sie alles ein, was Sie benötigen. In dem Umschlag finden Sie noch einen beigelegten Bogen Papier, in dem Sie eine Flugkarte für einen unserer Privatjets und Ort und Zeit finden können.

Bitte lassen Sie uns rechtzeitig wissen, ob wir mit Ihrer Ankunft rechnen können. Genaueres können wir Ihnen bei Ihrer Ankunft erklären.

Mit freundlichen Grüßen,

Schulleitung,

A. J.

Sollte das ein schlechter Scherz sein? Schnaubend warf ich das Papier beiseite. Keine normal Sterbliche, aber sicher! Hielten die mich für so naiv? Das Unerhörte war eigentlich, dass ich genau jetzt diesen Brief bekam. Jetzt, nachdem ich im Krankenhaus gelegen hatte und glaubte, dass es Menschen gab, die Feuer heraufbeschwören konnten! Das Ganze war doch alles ein gewaltiger Witz! Gehörte der Angriff auch dazu? Hatte sich irgendein krankes Hirn das ausgedacht? Über ein wenig Werbung hätte ich mich definitiv mehr gefreut! Das hier war einfach nur abartig.

Wütend wollte ich den Brief schon zerreißen, als ich plötzlich innehielt. Moment. Einmal tief durchatmen. Überlegen. Zögernd betrachtete ich die geschriebenen Zeilen. Was, wenn das kein übler Scherz war? Wenn mein Angreifer nicht dazugehörte? Wenn das alles nur ein ärgerlicher Zufall war?

Nein. Über so etwas sollte ich mir nicht mal Gedanken machen. Es war schlicht und einfach nicht möglich. Vermutlich hatte ich mir das eingebildet. Nicht alles, aber einen gewissen Teil.

Aber dieser Junge ... Konnte ich mir wirklich so etwas einbilden? Meine Finger schwebten über der Brandwunde auf meiner rechten Gesichtshälfte. Die Wunde war real. Wieso nicht auch der Junge? Wieso nicht auch das Feuer? Er hatte es wirklich getan. Das konnte einfach kein Scherz sein. Aber was hatte dieses Elementar Internat damit zu tun? Und vor allem; wie sollte ich das alles meiner Mutter erklären?

Natürlich klopfte es im passendsten Moment an meine Tür. Hektisch wollte ich schon nach einem Versteck für den Brief suchen, bis mir klar wurde, dass das rein gar nichts brachte. Sie wusste, dass ich ihn hatte. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass ich ihn ihr überlassen würde. Vielleicht könnte ich irgendeine Geschichte zusammen spinnen, von dem, was möglicher Weise in dem Brief stehen könnte. Die Frage war bloß, ob sie mir das abkaufen würde. Wahrscheinlich nicht.

»Kann ich reinkommen?«, ertönte wie erwartet die Stimme meiner Mutter. Sie klang vorsichtig.

»Klar.«, sagte ich und die Tür öffnete sich. Wie sollte ich ihr das nur erklären? Am besten wäre es wohl, wir täten es beide als Hirngespinst ab. Als wäre nichts Außergewöhnliches gewesen. Als würde es keinen ernst gemeinten Brief über ein Elementar Internat geben.

»Von wem ist der Brief? Es stand kein Absender drauf.«, sagte Hanne. Dennoch ließ mich etwas innehalten. Irgendwie war mir, als wüsste sie ganz genau, von wem der Brief war. Sie hatte das Logo gesehen. Kannte sie es? Vielleicht könnte sie mir tatsächlich helfen, Licht ins Dunkle zu bringen.

»Am besten, du liest es selber.«, sagte ich deshalb nur und reichte ihr den Brief. Hanne nahm ihn und versank auch schon in dem Geschriebenen. Gespannt beobachtete ich sie dabei. Doch ihre Miene verriet nichts. Sie wirkte einfach nur konzentriert. Mehr nicht.
Kurz darauf blickte sie auf und sah mich aus unergründlichen Augen an. Wusste sie etwas, was ich nicht wusste?

»Mom?«, fragte ich zögerlich. Wenn sie etwas wusste, sollte sie es mir sagen. Sonst würde ich noch verrückt werden. Ich brauchte endlich Antworten auf die merkwürdigen Sachen, die geschahen. Und sie musste mir einfach helfen können! Sie musste! Sonst wüsste ich nicht, was ich tun sollte.

»Was ist wirklich im Wald passiert?«, fragte sie leise und sah mich mit Augen, die wirkten, als könnten sie tief in mein Innerstes blicken, an. Sie wusste etwas. Nicht nur etwas. Vermutlich alles. Und das machte mir Angst. Wollte ich es überhaupt wissen? Was war so wichtig oder gar seltsam, dass sie es mir all die Jahre über verschwiegen hatte?

»Also ... Ich erinneremich nicht.« Ich wusste nicht, warum ich sie anlog. Sie schien es sowieso schon zu wissen. Wieso also leugnete ich es? Sie konnte mir Antworten geben. Sie konnte es mir erklären. Womöglich konnte sie mir sogar erklären, weshalb der Junge das Feuer herbeirufen konnte und weshalb er mich hatte töten wollen.

»Lüge mich bitte nicht an.«, sagte meine Mutter. Ihre Stimme war ganz weich. Aus sanften Augen sah sie mich an. Vertrauten Augen. Sie würde mir helfen. Helfen zu verstehen.
»Ich ...«, brachte ich hervor und sah sie verzweifelt an. Wie zur Hölle sollte ich das erklären? Auch wenn es so schien, als wüsste sie Bescheid. Ich konnte mich genauso gut irren. Außerdem klang es für mich selbst absolut verrückt. Wie konnte ich ernsthaft von so etwas berichten, wenn es sich in meinen Ohren so unglaublich anhörte?

»Erzähl mir die Wahrheit.«, forderte meine Mutter sanft. Das ließ sich so einfach sagen.

Ich wusste, es hatte keinen Sinn sie weiterhin anzulügen. Zumal ich nicht einmal wusste, weshalb ich sie anlog. Das wollte ich noch nicht einmal.
»Nachdem wir uns getrennt haben, bin ich in den Bus gestiegen. Ich wollte zum Stadtwald. Zum Fluss, weißt du?«, begann ich leise und stockend. Jetzt kam erst der schwere Teil. »Irgendwie hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. An meiner Haltestelle bin ich dann ausgestiegen und in den Wald gelaufen.« Vorsichtig blinzelte ich ihr zu. Noch zeigte sich keine Regung in ihrem Gesicht. Aufmerksam hörte sie zu. Ich schluckte. »Mom, ich wurde verfolgt! Er hatte mich eingeholt und wollte wissen, wo meine Eltern sind. Ich habe ihm mehrmals gesagt, dass ich nicht die Person bin, die er sucht, aber er wollte mir nicht glauben!« Verzweifelt sah ich meine Mutter an. Sie musste mir glauben! Sie musste! Doch noch immer zeigte sich keine Regung und das machte mich wahnsinnig! Was würde ich nur tun, wenn sie mir nicht glaubte? »Er konnte Feuer heraufbeschwören, Mom! - Bitte glaube mir das! Ich lüge nicht! - Er hat sich nicht einmal verbrannt! - Bitte, Mom! - Und dann hat er mich geschlagen!« Meine Erzählung war immer schneller geworden. Hektisch atmete ich ein und aus. Verzweifelt starrte ich meine Mutter aus großen Augen an. Obwohl ich es verhindern wollte, liefen wir Tränen über das Gesicht. »Bitte glaube mir! Bitte! Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber ich schwöre dir, dass ich die Wahrheit erzähle!« Meine Finger hatten sich in meine Bettdecke gekrallt und ich zitterte am ganzen Leib. Jetzt, wo ich das, was geschehen war, aussprach, kam alles wieder hoch. Auf einmal fühlte es sich wirklich an. Es war nicht bloß ein Hirngespinst.

Hanne hatte zugehört ohne einen Ton zu sagen. Sie wirkte sehr ernst. Das war sie sonst nie. Irgendwie machte mir das Angst. So kannte ich sie nicht.

»Ich hab dir auch nicht immer die Wahrheit erzählt.«, sagte meine Mutter plötzlich. Verwundert sah ich sie an. Was meinte sie? Sie wirkte schuldbewusst und verlegen. Das kurbelte meine Angst nur noch weiter an. Sie durfte mich jetzt nicht im Stich lassen!

»Man kann nicht immer die Wahrheit sagen.«, sagte ich leise. Meine Stimme zitterte. Es war vollkommen in Ordnung, Geheimnisse zu haben. Es war nicht verwunderlich, dass meine Mutter auch welche vor mir hatte.

»Ich hätte es aber tun sollen.«, seufzte Hanne. Sie wirkte traurig, aber auch ernst und entschlossen. Sie schloss die Augen und holte tief Luft, öffnete sie wieder und erwiderte fest meinen Blick. Angespannt wartete ich darauf, dass sie fortfuhr.

»Wie du weißt, weiß ich nicht, wer deine leiblichen Eltern sind.«, sagte meine Mutter langsam. Ich nickte. Klar, das wusste ich. Damals hatte ich eine Phase, in der ich unbedingt herausfinden wollte, wer meine richtigen Eltern waren. Also hatte ich Hanne nach ihren Namen gefragt. Jedoch hatte sie mir darauf keine Antwort geben können. »Was das angeht, habe ich dich nicht angelogen. Aber etwas war anders, als ich es dir erzählt habe. Ich habe dich nicht adoptiert, nachdem Stephen gestorben war. Eigentlich hatte ich niemals vorgehabt, ein Kind zu adoptieren. Schon gar nicht nach Stephens Tod.« Tränen schimmerten in ihren Augen. Wie immer, wenn sie an ihren verstorbenen Mann dachte. Obwohl es schon so lange her war, nahm es sie immer noch mit.

Verwundert runzelte ich meine Stirn. »Du wolltest mich gar nicht adoptieren?« Ich wusste nun wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte. Mir fiel nichts ein. Wenn sie mich doch eigentlich gar nicht haben wollte, weshalb hatte sie mich trotzdem aufgenommen? Das verstand ich nicht. Natürlich wusste ich, dass Hanne mich liebte. Sie wollte mich. Mittlerweile.

»Nein, wollte ich nicht.«, bestätigte sie und schüttelte lächelnd ihren Kopf, als sie versunken in ihren Erinnerungen wohl an die Zeit dachte, in der ich zu ihr kam. Soweit ich wusste, war ich noch nicht einmal ein Jahr alt gewesen, als sie mich bei sich aufnahm. »Es war Dezember.«, erzählte sie. »Und es war Nacht. Etwas hatte mich aufgeweckt und da ich nun einmal wach war, wollte ich mir in der Küche ein Glas Wasser holen. Allerdings stand auf einmal ein Korb auf dem Wohnzimmertisch, von dem ich mir sicher war, dass ich ihn dort nicht hingestellt hatte. Außerdem besaß ich nicht einmal einen Korb.« Sie nahm meine Hand in ihre Hände und strich sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken. Gebannt hörte ich ihr zu. »Als ich nachschauen wollte, was in dem Korb drin war, bekam ich erst einmal einen gewaltigen Schreck: Etwas darin hat sich nämlich bewegt. Als ich mich wieder gefasst hatte, traute ich mich, die Decke beiseite zu nehmen und ich erblickte dich.«

Nun war ich vollkommen irritiert. »Mich?«, wiederholte ich. »Wie kann das sein? Wer hat den Korb und mich in dein Wohnzimmer gestellt? Wie ist er überhaupt ins Haus gekommen?« Das Ganze war ziemlich merkwürdig. Weshalb sollten meine Eltern bei Hanne einbrechen, nur um mich dort abzusetzen? Das ergab überhaupt keinen Sinn! Gab es für so etwas nicht die Babyklappe?

»Das kann ich dir leider nicht sagen.«, sagte Hanne und seufzte. »Bis heute weiß ich es nicht und ich glaube, ich werde es auch nie erfahren. - Auf jeden Fall habe ich dich in dem Korb liegen sehen und du kannst dir vorstellen, dass ich überhaupt nicht wusste, was gerade los war. Ein fremdes Baby, das plötzlich in meinem Haus war?« Sie lachte kopfschüttelnd. »Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte ich den Brief, der an die Seite des Korbes gerutscht war.«

Hellhörig horchte ich auf. »Ein Brief? Jemand hat einen Brief mitgegeben?« Waren es wirklich meine Eltern gewesen, die mich zu Hanne gebracht hatten? Und wieso Hanne? Oder war es nur Zufall?

Meine Mutter nickte. »Ja, ein Brief. Willst du ihn lesen?« Ich konnte nur nicken. Meiner Stimme traute ich in diesem Moment nicht. Es gab tatsächlich etwas, das womöglich von meinen Eltern war. Vielleicht ein Hinweis? Obwohl es mich schon seit Jahren nicht mehr beschäftigte, wer meine Eltern gewesen waren, verspürte ich doch nun tatsächlich Neugier. Ich wollte es wissen. Ich wollte es unbedingt wissen!

»Warte kurz.«, sagte meine Mutter und stand auf. Schnell verließ sie das Zimmer und ließ mich allein. Das war alles sehr merkwürdig. Der Angriff im Wald, die Einladung in das vermeintliche Internat. Und jetzt auch noch die Umstände, unter denen Hanne mich aufgenommen hatte. Vermutlich übertrieb ich nur, aber was, wenn das alles irgendwie miteinander zusammenhing? Bestimmt interpretierte ich da zu viel hinein.

Es dauerte nicht lange, da kehrte Hanne zurück. In ihren Händen befand sich ein zusammengefalteter Zettel. Aber kein Briefumschlag. »Hier.« Sie reichte ihn mir. Vorsichtig nahm ich ihn ihr ab. Das hier war vielleicht der einzige Hinweis auf meine Eltern. Stand dort auch der Grund, weshalb sie mich verlassen hatten? Gab es überhaupt einen Grund? Mein Herz klopfte aufgeregt.

Es war ein seltsames Gefühl, diesen Brief nun, nach all den Jahren, in meinen Händen zu halten. Etwas, das zu meinen Eltern gehörte. Ich traute mich beinahe gar nicht, ihn zu öffnen. Obwohl ich unbedingt wissen wollte, was drin stand, fürchtete ich mich vor den Worten.

Es Knisterte, als ich den Brief auseinander faltete. Zuerst fiel mein Blick auf eine fein säuberliche, leicht schräge Schrift. War das die Handschrift meiner Mutter? Oder meines Vaters? Zögerlich begann ich zu lesen.

Es tut mir Leid, Sie damit zu überraschen. Vermutlich fragen Sie sich, was ein kleines Kind in einem Korb in ihrem Wohnzimmer macht.
Ihr Name ist Mika und sie ist heute auf den Tag genau zwei Monate alt. Wir können sie nicht bei uns behalten, da sie bei uns nicht sicher wäre. In unserer jetzigen Situation sind wir nicht in der Lage, sie aufzuziehen. Ich bitte Sie, Mika wie Ihre eigene Tochter aufzuziehen. Ich vertraue sie Ihnen an, da ich weiß, dass Sie wie Ich ein Elementar sind.

Wortlos starrte ich die Zeilen vor mir an. Da war dieses Wort wieder. Elementar. Meine richtige Mutter war ein Elementar? Und der andere Brief, den ich heute bekommen hatte, da ging es doch über ein Elementar Internat. Es gab also tatsächlich einen Zusammenhang.
»Mom, was ist ein Elementar?«, wollte ich wissen. Am liebsten wollte ich die Zeit zurückdrehen. Ich wäre niemals in den Wald gelaufen und vielleicht wäre das alles nicht so gekommen, wie es nun leider war. Es war mir, als würde sich von jetzt an alles ändern. Und damit hatte dieses fremde Wort etwas zu tun. Elementar. All die Geschehnisse hingen mit diesem einen Wort zusammen. Nur wie?

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