Kapitel 78.4 - Der Sturm

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Desdemona brauchte ganz offensichtlich keine Hilfe. Sie konnte sich gut selbst verteidigen.

Ein kurzes Erdbeben brachte mich ins Wanken. Ich suchte nach der Quelle. Überraschender Weise fand ich Will vor, der gegen vier Elementary kämpfte, deren Element eindeutig Erde war. Überraschend war nicht, dass Will gegen die Elementary kämpfte. Sondern, dass er wohl tatsächlich die Kontrolle verloren hatte. Stirnrunzelnd nahm ich das hin. Auch, wenn ich nicht so einfach glauben konnte, dass Will einfach so seine Kontrolle verloren oder aufgegeben hatte. Da auch mein Bruder super alleine klar kam, schwenkte mein Blick weiter. Jedoch nur zwei Meter. Meine Augen klebten an einer Leiche. Eigentlich nicht verwunderlich. Schließlich war das hier ein Kampf zwischen zwei, seit Jahrhunderten, verfeindeten Fronten.

Entsetzen überkam mich. Ungläubig starrte ich auf die Leiche. Nein. Das durfte nicht sein. Bitte nicht. Sie konnte nicht ... Sie war doch so ... Wie?
Mein Körper war wie erstarrt. Keiner meiner Muskeln schien mir gehorchen zu wollen. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass meine Großmutter ihr Leben gelassen hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Genau vor so etwas hatte ich Angst gehabt. Ich hatte meine Familie doch gerade erst gefunden. Und jetzt war meine Großmutter tot. Ich würde niemals mehr die Chance haben, sie richtig kennen zu lernen. Steif, wie ein Roboter, bewegte ich mich langsam auf Cecile zu. Ihre Augen waren offen, starrten ins Leere. Ihre eine Hand lag noch ausgestreckt am Boden. Wenige Meter von Will entfernt. Die beiden mussten zusammen gegen die Jäger gekämpft haben.

Will ließ sich von nichts und niemandem aufhalten. Er mähte alle Jäger nieder, die ihm in die Quere kamen. Selbst von dem ein oder anderen Feuerball ließ er sich nicht stören. Er wich kurz aus und schickte den Absender in die Hölle. Will war zu einem Orkan geworden. Ein Orkan, in dessen Nähe ich mich lieber nicht wiederfinden wollte. Langsam zog ich mich von ihm und Cecile zurück. Meine Tränen schluckte ich hinunter. So schwer es mir auch fiel, ich durfte mich nicht ablenken lassen. Es konnte meinen Tod bedeuten.

Erst jetzt wurde ich mir auch wieder meiner brennenden Schmerzen bewusst. Doch auch sie musste ich beiseite schieben. Ich durfte mich von nichts einschränken lassen. Von nichts.
Später durfte ich in Ruhe trauern. Vorausgesetzt, es würde ein Später geben. Im Moment musste ich mich auf mein eigenes Leben konzentrieren. Ich wusste nicht, was mich so denken ließ. Vielleicht hatte mein momentaner Monster-Zustand doch noch Einfluss auf mich, meine Gefühle und mein Denken. Doch im Augenblick war ich ziemlich froh darüber. Es erlaubte mir, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Ein Jäger schoss eine Feuersalve in meine Richtung, doch ich ließ sie ersticken und ein kurzer Blick in seine Augen ließ ihn wie eine Marionette zusammenklappen. Er stand nicht wieder auf.

Mein Blick fiel auf Liam, der ebenso wie ein paar der Schüler und Eltern die Kontrolle verloren hatte. Ich entdeckte tiefe Wunden an seinem Körper. Vielleicht nahm er sie gar nicht wahr. Jedenfalls wirkte es nicht so, als würden sie ihn einschränken.

Ich entdeckte Theodor, der immer wieder Blitze vom Himmel schickte. Mittlerweile hatte er seine Schuhe und Socken ausgezogen, obwohl es Winter war. Allerdings störte ihn das recht wenig. Jedoch musste er sich deswegen nicht mehr bücken, um die Stromkabel mit seinen Händen anzufassen. Er musste nur kurz mit seinem Fuß auf einen der vielen Kabel treten und die Jäger fielen wie Dominosteine.
Ab und an zuckte ein Blitz aus seinen Händen, der zugleich mehrere Jäger grillte.

Ich war viel zu sehr vom Geschehen abgelenkt, dass ich gar nicht bemerkte, wie sich eine kleine Gruppe von Jägern leise zu mir schlich. Der, der mir am nächsten war, hielt ein Messer bereit.

"MIKA, PASS AUF!", ertönte auf einmal der warnende Schrei meiner Mutter. Rhea stürmte in meine Richtung und noch ehe ich mich umgedreht hatte, sank der Jäger, der mir am nächsten stand auf den Boden. Tot. Erschrocken drehte ich mich um. Seite an Seite kämpften meine Mutter und ich gegen die Jägergruppe, die immer größer wurde. Plötzlich brach der Boden unter meinen Füßen und ich konnte mich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, ehe eine kochend heiße Fontaine aus Wasser aus dem Boden schoss. Sie hätte mich in die Luft gerissen und verbrannt, hätte ich nicht aufgepasst.

Meine Mutter wehrte einen Angreifer mit brennenden Pistolenkugeln ab. "Alles gut bei dir?", wollte sie wissen, während sie dem Jäger seine eigene Pistolenkugel durch den Kopf jagte.
"Ja.", meinte ich sarkastisch. "Bis auf einer Stichwunde und zwei Verbrennungen ist alles gut." Meine Mutter schaffte es doch tatsächlich zu lachen. "Wenn's sonst nichts ist." Auf meine Lippen legte sich nun auch ein leichtes Lächeln. Ich sah ihr an, dass sie sich um mich sorgte. Doch da sie sehen konnte, dass mich meine Wunden momentan nicht all zu sehr einschränkten, nahm es ihr einen Teil der Sorge.

Sie selbst hatte einige Verbrennungen an ihren Armen und ihren Händen. Außerdem hatte irgendetwas ihren Kopf getroffen, denn dort waren ihre Haare nass und verklebt. Aber ansonsten schien es ihr gut zu gehen.

Zusammen hielten wir eine weitere Fontaine zurück. Dieses mal kam sie jedoch aus den Händen einer düster dreinblickenden Jägerin. Meine Mutter warf mir kur einen Blick zu, der überrascht an meinen Augen hängen blieb. "Deine Augen sind komplett schwarz.", bemerkte sie erstaunt. "Trotzdem scheinst du mir nicht die Kontrolle verloren zu haben."

"Will hat dir doch von gestern Abend erzählt.", merkte ich an. Rhea nickte und warf drei Jäger mit einer knappen Handbewegung beiseite. "Stimmt.", sagte sie. "Er hat da was erwähnt." Sie schnitt das Thema nicht wieder an. "Bisher schlagen sich alle ganz gut.", sagte sie stattdessen. Ein schlechtes Gefühl überkam mich. Wie konnte ich ihr verschweigen, dass ihre Mutter tot war?

"Alles gut?", fragte mich meine Mutter, die mich aufmerksam betrachtete. "Du siehst so schuldbewusst aus."
Ich schüttelte meinen Kopf. "Es ist nichts. " Obwohl meine Mutter nicht so aussah, als würde sie mir das abkaufen, beließ sie es dabei.

Durch die plötzlich aufkommende Hitze konzentrierten wir uns wieder auf die Feinde, die uns umzingelten. Tänzelnd wich meine Mutter einer Feuersalve aus und tötete ihren Gegner im Handumdrehen. Sie tat all dies mit so einer unglaublichen Leichtigkeit. Als würde sie so etwas ständig machen. Allerdings hatte sie leider auch jahrelange Übung.

Wieder einmal durch die geübten Bewegungen und Vorangehensweisen meiner Mutter abgelenkt, bemerkte ich die Flammen zu spät, die glühend heiß auf mich zuschossen. "Mika, Vorsicht!", rief meine Mutter und warf sich ohne mit der Wimper zu zucken zwischen die Flammen und mich.

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