Kapitel 69 - Der Plan

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Das Klopfen seines Herzens war ohrenbetäubend laut. Sein Blut raste verlockend schnell in seinen Adern. Damon unterdrückte es, vor mir zurück zu weichen. Für ihn schien der Raum auf einmal unvorstellbar eng.

"So bist du nicht.", flüsterte er vor sich hin. "Das bist nicht du."
"Ach, bin ich nicht?", knurrte ich. "Dann hör ganz genau zu! Mein Name ist Mika Lunar-Eclipse. Ich bin die Schwester von Will Lunar-Eclipse und wurde als Baby einer Frau überlassen, bei der es sich nicht um meine Mutter handelte." Damon schloss mit einer gequälten Miene seine Augen und senkte seinen Kopf. Doch ich sprach weiter. "Ich wurde versteckt, damit ich nicht in die Hände der Jäger fiel und diese mich nicht töteten. Meine Eltern haben mich niemals aufwachsen sehen. Und ich wusste lange nichts von meiner wahren Herkunft. - Soll ich weiter machen?"

"Nein!", rief Damon. "Hör auf damit!"

Ich ignorierte ihn und fuhr fort. "Eines Tages wurde ich von einem Jungen verfolgt, der mich vollkommen unvorbereitet in die Welt der Elementary rein katapultierte und ich mich für einen Augenblick selbst für verrückt hielt."

"Lass das!", rief Damon. Die Fesseln um seine Handgelenke fingen langsam an zu zerfließen.

"Ich kam auf das Elementary Internat. Dort entdeckte ich einige meiner Fähigkeiten und ein Drittel von dem, was ich bin. Ich lernte meinen Bruder kennen und auch einen Jäger.", erzählte ich weiter, während Damon mich stumm anflehte, endlich leise zu sein. "Er verriet mich als ich ihn gebraucht habe." Ich kam noch bis zu der Stelle, an der ich Damon in meiner Heimatstadt wieder traf. Als ich aus Hannes Haus rannte, mit den anderen Elementary auf meinen Fersen.

"Verdammt! Hör auf damit, Mika!", rief Damon. Nun stand ihm der Zorn ins Gesicht geschrieben. "Hör auf, mir meine ganzen Fehler vor Augen zu führen!" Das geschmolzene Metall der Fesseln tropfte auf den Boden. Der Stuhl stand in Flammen. Damon sprang auf und hastete zur Tür. Doch so weit kam er gar nicht. Ohne mich groß zu Bewegen, ließ ich Damon in seiner Bewegung erstarren.

"Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich dich einfach so gehen lasse? Oder dass du so einfach an mir vorbei kommst?", fragte ich und ging auf Damon zu. Ich stellte mich vor ihn und sah ihm in die Augen. "Unterschätzt du mich etwa? Gerade du solltest wissen, dass man mich nicht unterschätzen sollte." Ich lächelte freudlos. "Du enttäuscht mich, Damon.", fügte ich noch hinzu. "Von dir hätte ich das am Wenigsten erwartet." Mit einer einzelnen Handbewegung ließ ich das Feuer schrumpfen, bis es schließlich fort war. "Setz dich.", sagte ich und meine Macht zwang Damon dazu, sich vor mich auf den Boden zu setzen. Ich ließ mich ebenfalls zurück auf meinen Platz sinken.

Böse funkelte er mich an. Es passte Damon überhaupt nicht, dass ich die vollkommene Macht über ihn hatte und er rein gar nichts dagegen unternehmen konnte. "Gut.", sagte ich. "Reden wir weiter. Wir sind noch nicht fertig." Noch lange nicht.

"Erzähl mir von euren Plänen. Ich will alles hören.", befahl ich. Damon presste seine Lippen fest aufeinander. Funkelte mich verbissen aus seinen schwarzen Löchern heraus an. "Ich bin kein Verräter.", presste er gezwungen hervor.
"Bist du wohl. Also los. Ich will Informationen haben.", beharrte ich stählern. "Meinetwegen, spiele dieses Spiel so lange weiter, wie du meinst. Ich habe Zeit. Ich kann warten. Und glaube mir. Ich werde an mein Ziel kommen. Auf diese, oder auf eine andere Art."
Damon rümpfte seine Nase. "Ich bin kein Verräter.", wiederholte er. "Ich verrate doch meine Familie nicht."
Mein Blick verfinsterte sich. "Deine Familie ist tot.", sprach ich trocken aus. "Und die Jäger sind ganz bestimmt nicht deine Familie."
Damon zuckte unter meinen harten Worten zusammen. Kurz sah er verletzt aus, doch schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle. "Aber du bist es auch nicht!", rief er wütend aus. "Also sag du mir nicht, wen ich verraten soll und wen nicht!"
Emotionslos sah ich ihn an. "Du lenkst schon wieder vom eigentlichen Thema ab.", wies ich darauf hin. Damon sprach nicht, sondern war damit beschäftigt, mich mit seinen Blicken zu töten.
"Du willst nicht reden.", stellte ich tonlos fest. "Und du wirst auch nicht reden. Ich habe gehofft, du wüsstest, was für dich am Besten ist. Da habe ich mich wohl geirrt." Ich stand auf und ging auf ihn zu. Damon spannte seine Muskeln an. Wollte gegen mich kämpfen, wollte fliehen. Allerdings ließ ich ihn nicht. Vergebens versuchte er sich von meinem Zwang zu befreien.
"Ich habe dir drei andere Optionen vorgestellt, wie ich dennoch an meine Informationen komme, Damon.", sagte ich. "Ich lasse dir die Wahl. Welche von den dreien wählst du?"
"Mein Leben!", zischte er mir zu. Mit so viel Hass in der Stimme, die mich beinahe umhaute. "Ich wähle mein verdammtes Leben! Lass mich gehen, Mika! Lass mich gehen und ich schwöre dir, dass ich niemandem von dir erzählen werde!"
Ich lächelte leicht. "Schade. Schade, dass ich dir leider nicht vertrauen kann." Auch, wenn ich es gerne würde. Ich kniete mich vor Damon hin, legte meine beiden Hände an seinen Kopf. "Weißt du, ich habe vielleicht sogar noch eine vierte Option. Die würde ich gerne ausprobieren.", informierte ich ihn.

Mein Blick kreuzte dem seinen. Schlagartig hielt ich seine Augen gefangen. Damon war nicht mehr in der Lage, wegzusehen oder seine Augen zu schließen. Mit all seiner verbliebenen Energie versuchte Damon meinem Willen zu entkommen. Umso besser für mich. Je mehr Energie er darauf verschwendete, desto leichter würde es mir fallen, ihn dazu zu bringen, mir meine Fragen zu beantworten.

Ich sah fest in seine Augen. Spürte, wie meine aufleuchteten. Spürte die Energie, die bis in meine Fingerspitzen floss. Damon schien es wohl auch zu spüren, denn er erstarrte und seine Versuche, seine Augen von meinen zu lösen, hörten auf. Er atmete scharf ein. "Nein.", murmelte er. "Nicht." Allerdings wusste er ganz genau, dass sein leises Flehen nutzlos war.

"Wie viele Informationen haben die Jäger schon über das Internat und seine Bewohner?", stellte ich meine erste Frage.
Ich spürte Damons Widerstreben. Spürte seinen Drang zu schweigen. Doch ich war stärker. "Alles.", presste er hervor. "Sie wissen alles. Wir haben euch schon viel zu lange beobachtet."
"Siehst du? So einfach kann es gehen.", meinte ich und konzentrierte mich wieder auf mein Vorhaben. "Wann greift ihr uns an? Und wie?"
Damon presste seine Lippen fest aufeinander. Ich konnte ihm seine Anspannung ansehen. Er wandte sich. Aber das brachte ihm nicht. Die Antwort entschlüpfte seinen Lippen, noch ehe er sich davon abhalten konnte. "Die Jäger kommen in drei Tagen. Sie werden das Internat von allen Seiten angreifen. Von außen. Von innen. Sie werden euch alle vernichten."
In drei Tagen schon! Verdammt! Was hätten wir nur gemacht, wenn wir uns nicht dazu entschieden hätten, die Jäger im Wald anzugreifen? Wir wären vollkommen unvorbereitet überrannt worden!
"Wie viele werden kommen?", wollte ich mit Nachdruck wissen. "Damon! Wie viel?!"
"Alle.", war seine Antwort. Ein einziges Wort, das mich erstarren ließ.
"Alle?", hauchte ich. "Was heißt 'alle'?!"
Damon atmete schwer. Seine Bemühungen, den Plan der Jäger vor mir zu verbergen, strengten ihn mehr an, als er es wohl erwartet hatte. "Keine Ahnung. Wir sind viele. Sehr viele. Und sie alle werden kommen. Es wird der erste, finale Schlag sein."
"Du hast etwas davon gesagt, dass wir auch von innen angegriffen werden. Wer? Wer ist ein Verräter?", rief ich und blickte eindringlich in Damons Augen. Konnten wir das schaffen? Konnten wir all dem standhalten?
Noch angestrengter als zuvor, versuchte Damon seinen Mund zu halten. "Damon!", rief ich. "Wer?!" Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. Er begann vor Anstrengung zu zittern. Seine Lippen bebten. Und dann sprach er es schließlich aus. Den Namen.
"Nawin Klahan."

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