Kapitel 64.2 - Sechs kleine Schafe

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Je tiefer wir in den Wald eindrangen, desto deutlicher wurde das Knacken und Knistern eines Feuers. Zuerst hatte ich gedacht, dass ich mir das bloß eingebildet hatte, doch als die anderen es später dann auch hörten, war ich mir sicher, dass es bald losgehen sollte.
Als Ariadne schließlich langsamer und leiser wurde, taten wir es ihr sofort gleich. Immerhin hatte sie Erfahrungen in so etwas. Vorsichtig und leicht gebeugt schlich sie zwischen den Baumstämmen und dem Geäst vorbei. Sie war eine Raubkatze auf der Jagd. Ihre Augen hatten ihr Ziel bereits anvisiert und ließen nun nicht mehr davon ab.
Ich konnte die Anspannung in jedem einzelnen Gesicht erkennen. Allein Ariadnes Gesicht ließ nichts auf irgendeine Art von Anspannung, Angst oder Nervosität schließen. Sie war vollkommen in ihrem Element. Konzentrierte sich allein auf das, was sie erreichen wollte. Jeden anderen, vielleicht auch hinderlichen Gedanken, hatte sie in die hintersten Tiefen ihres Kopfes verbannt und hielt sie mit Hilfe einer eisernen Mauer zurück. Sie war wahrhaftig eine Jägerin. Und ich wusste, dass ich niemals so sein könnte wie sie.

Rot-Goldenes Licht tanzte, erhellte und verdunkelte zuckend den Wald um uns herum, so wie es gerade Lust hatte. Es ließ sich nicht kontrollieren. Es schien uns geradezu zu verspotten. Ungezügelt schoss es in die Höhe, loderte. Und plötzlich verstand ich die Feuer Elementary und ihre Liebe zum Feuer. Es war nicht bloß ihr Element. Es war eine Waffe und zugleich wunderschön. Es konnte Leben retten. Wenn es das denn wollte. Feuer Elementary mussten wohl viel Zeit mit dem Training verbringen. Denn eine so ungezügelte Macht musste erst unter Kontrolle gebracht werden.
Das Feuer tanzte, warf strahlende Funken ab und fuhr mit seinem unberechenbarem Tanz fort.

Um das Feuer herum saßen sechs Jäger. Vier Männer, zwei Frauen. Um sie herum, in Greifweite, lag die ein oder andere Waffe. Obwohl ich mich fragte, weshalb sie überhaupt noch Waffen brauchten, wenn sie doch ihr Element hatten, ahnte ich, wofür sie dennoch Waffen bei sich trugen.
Jeder von ihnen war dunkel gekleidet. Während einer der Männer schon aussah wie ein Serienkiller, hätte ich die eine Frau, hätte ich sie auf der Straße getroffen, niemals für eine Jägerin gehalten. Sie war klein, zierlich und hatte ein freundliches Gesicht.
Die Jäger unterhielten sich leise. So leise, dass es jemand mit einem normalen Gehör nicht verstehen konnte. Doch ich achtete überhaupt nicht auf das, was sie besprachen. Nein. Meine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem angezogen. Oder besser; jemandem. Als sei er ein Magnet, der mich dazu zwang, ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken. Etwas abseits der Gruppe entdeckte ich Damon. Abwesend starrte er in die Flammen, die er vermutlich selbst entfacht hatte. Auf seinem müden Gesicht kämpften Licht und Schatten.
Im Angesicht der Flammen schien sein Haar selbst wie Feuer. Es flackerte. Es rauchte.

Desdemona stieß mir mit ihrem Ellenbogen in die Seite, damit ich meine gesamte Konzentration nicht nur auf Damon legte. Schnell riss ich mich wieder zusammen. Immerhin hatten wir noch etwas anderes vor, als die Jäger bloß anzustarren.
Mit einem Handzeichen bedeutete Ariadne mit lautlos, die Jäger irgendwie abzulenken. Wortlos wandte ich mich von mir ab und dem flackerndem Feuer zu. Ich hatte schon einmal Feuer kontrolliert. Aber das war unterbewusst und in einer Notsituation geschehen. Würde das genau so einfach sein, wenn ich es dieses mal bewusst kontrollieren würde?
Ohne weiter nachzudenken konzentrierte ich mich voll und ganz auf die zitternden Flammen. Ich spürte die Wärme, spürte die Hitze. Spürte den Widerstand. Das Feuer beugte sich erzürnt, zischte wütend. Es versuchte sich mir zu entreißen. Versuchte meinen Geist von sich zu stoßen. Es bäumte sich zornig aus, räkelte sich, spie glühende Funken. 
Das Feuer war stark. Doch ich war stärker.
Die Jäger sprangen erschrocken auf, wichen unwillkürlich vor dem Feuer zurück, das um sich schlug und nach einem der Jäger schnappte. Nur Damon blieb ruhig. Vermutlich war er der einzige Feuer Elementary unter diesen Jägern. Er stand schon beinahe gelangweilt auf. Ich spürte wie er versuchte das Feuer wieder unter seine Kontrolle zu bringen, doch das ließ ich nicht zu. Das hatte er wohl nicht erwartet. Überrascht starrte er auf die wütenden Flammen. Unfähig seine Kollegen vor dem Feuer zu schützen.
"Jetzt tu doch endlich etwas!", rief die zierliche Frau und sprang einen Schritt zurück, als das Feuer erneut nach ihr leckte.
"Ja genau!", meckerte die andere, die etwas rockiger aussah. "Bring dein beschissenes Feuer wieder unter Kontrolle, Firelight! Oder bist du etwa doch nicht so mächtig, wie du von dir selbst behauptest?!" Sie duckte sich unter einigen fliegenden Funken hinweg. 
Ich konnte Damon seine Wut ansehen. Doch er sagte nichts. Versuchte sich nicht zu verteidigen. Strafte die Frau bloß mit einem zornigen Blick. In den Tiefen seiner schwarzen Augen loderte etwas. Aber der Funke erlosch so schnell, als dass ich es mich auch hätte einbilden können. Weshalb sagte er nichts? Er hatte doch noch nie Probleme damit gehabt, anderen seine Meinung zu geigen? Was war nur geschehen? Was hatte sich verändert?
Nun versuchte er es mit Gewalt. Damon und ich kämpften um die Kontrolle des Feuers. Aggressiv riss er es zu sich. Kurz darauf riss ich es zurück. "Was ...?", presste er hervor. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er zog konzentriert seine Augenbrauen zusammen.

Mittlerweile hatten Desdemona, Liam, Will, Theodor, Nawin und Ariadne sich unbemerkt um das Lager der Jäger herum verteilt. Ariadne suchte meinen Blick und nickte mir schließlich kurz zu. Ruckartig ließ ich das Feuer los, sodass Damon ein paar Schritte zurück taumelte. Angespannt richtete er sich gerade auf und unter leicht zusammen gekniffenen Augen inspizierte er aufmerksam seine Umgebung. Na super. Er war misstrauisch geworden.
"Was ist mit dir los, Firelight?", wollte einer der Männer wissen. "Alles in Ordnung?"
Die rockig gekleidete Frau wollte wohl gerade irgendeine unpassende Bemerkung ablassen, doch Damon ließ es nicht dazu kommen. "Sei still! Hier in der Nähe ist ein Ghost Elementary!", zischte er, ohne weiterhin seine Umgebung zu beobachten. Als sei das das Kommando gewesen, schoss ein Eispflock auf einen der Männer zu. Die zierliche Frau schrie erschrocken auf und die Jäger wichen alle entsetzt zurück. Sie nahmen sofort eine Kampfposition an, der ein oder andere griff nach einer Waffe. Aber Ariadne ließ ihnen kaum Zeit dazu, denn kaum hatte sie ihren Eispflock auf den Mann losgelassen, stürzte sie auch schon, mit erhobenen Messern, aus ihrem Versteck und setzte zum nächsten Angriff an.

ObscuraWhere stories live. Discover now