Kapitel 7 - Das Element "Geist" ✅

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Mit düsterer Zufriedenheit betrachtete ich das Geschehen. Ich war nicht länger hilflos. Und schon gar nicht, konnte ich gar nichts. Das hier, der Nebel, die Schreie, die der Nebel verursachte, waren der Beweis dafür, dass ich kein normaler Mensch war. Ich war ein Elementar. Das hier war mein Nebel. Das hier tat ich.

Die ganze Zeit über hatte ich geglaubt, dass sich meine Fähigkeiten darauf beschränkten, einfach nur die Sicht des Anderen zu übernehmen. Aber das hier, das war ein ganz anderes Niveau. Woher diese ganze Macht auf einmal kam, wollte ich gar nicht erst hinterfragen. Auch nicht, weshalb es mir so vorkam, als sei sie weggesperrt gewesen.

Das hier war ich. Ich konnte andere kontrollieren. Ich war für den Nebel zuständig. Erleichterung durchflutete mich. Überkam mich wie eine große Welle, die all meine Zweifel und Sorgen fortspülte. Eine große Last war von meinen Schultern gefallen. Niemand mehr würde daran zweifeln, dass ich hier her gehörte. Dass ich ein Elementar war. Endlich würde ich akzeptiert werden. Aber welches Element beherrschte ich?

Die Schmerzensschreie rissen mich ruckartig aus meiner Gedankenwelt.

»Mika! Mika! Bitte! Mach, dass es aufhört!«, schrie Claire und gleich darauf verschluckten ihre eigenen Schreie ihre Worte. Wimmernd und schreiend lag sie am Boden. Ein Schleier aus glänzenden Tränen überzog ihr Gesicht.

Zwar konnte ich sie nicht wirklich sehen, dafür aber konnte ich sie spüren. Mein Nebel war tiefschwarz und dicht. Vor mir am Boden lag Aiden. Schrie, keuchte, wandte sich vor Schmerzen. Finster blickte ich auf ihn herab. Wollte ich den Nebel überhaupt verschwinden lassen? Aiden leiden zu sehen erfüllte mich mit Genugtuung. Er hatte es genossen, mich zu demütigen. Er hatte das alles verdient. Aber Claire nicht.

Als sie wieder meinen Namen schrie, hatte ich mich entschieden. Mir war noch nicht ganz klar, wie ich den Nebel zurückrufen sollte, aber ich tat es einfach. Ich streckte die Arme aus und langsam zogen sich die schwarzen Schwaden zurück. Sie wurden von meinen Handflächen angezogen und verschwanden schließlich auch darin oder wurden eingesogen. Fasziniert betrachtete ich diesen Vorgang.

Als das Kampffeld wieder nebelfrei war, konnte ich die vielen Elementare sehen, die immer noch schwer atmend auf dem Feldboden lagen. Sobald ich Claire erblickte rannte ich auf sie zu. Mit geschlossenen Augen lag sie dort, Ihre Haut war blass und sie wirkte eher wie eine Leiche, bis auf, dass sie atmete.

»Claire!«, rief ich und nun öffnete sie langsam ihre Augen. Diese lagen lange auf mir. Aber kein Wort verließ ihre Lippen. Schweigend blickte sie mir entgegen. Ihre Miene war nicht zu lesen. Schweißperlen funkelten auf ihrer Stirn.

Um ihr beim Aufstehen zu helfen streckte ich ihr meine Hand entgegen. Doch sie sah mich einfach nur abweisend an. Der Ausdruck in ihren Augen ließ mich erschrocken zurückzucken. War das etwa Hass?

»Verschwinde! Lass mich in Ruhe!«, sagte sie mit einer Stimme kalt wie Eis. Vor meiner Hand wich sie zurück. Doch mir entging das Zittern in ihrer Stimme nicht. Ich konnte sie nur anstarren. Was sollte das? Ich sollte verschwinden? Ein schmerzhafter Stich machte sich in meinem Herzen bemerkbar. Claire war die einzige Freundin, die ich hatte. Und jetzt wies sie mich zurück. Natürlich konnte ich sie verstehen. Diesen Nebel hätte nur Aiden abbekommen dürfen. Nicht aber Claire. Sie hatte das nicht verdient. Und doch hatte ich es getan. Hatte keinen Unterschied gemacht zwischen Aiden und den Anderen. Ihre Abweisung schmerzte fürchterlich. Sie war die Einzige, die mich akzeptiert hatte.

Mein Blick wanderte zum Waldrand, wo ich Will gesehen hatte. Aber er war nicht mehr dort. Es war, als hätte ich ihn mir nur eingebildet. Als wäre er niemals hier gewesen.
Plötzlich spürte ich, wie ich von jemandem gestreift wurde. Sofort drehte ich mich um, aber da war keiner. Hatte ich mir das eingebildet?

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