Kapitel 178 - An der Grenze.

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Lilly

Es wurde über mich geredet. Ständig. Und niemand versuchte es zu verstecken. Ich war nur froh, dass ich nicht mehr angegangen wurde. Ich hatte das Gefühl, diesmal hätte ein kleiner Schubs gereicht und ich wäre niemals wieder aufgestanden. Ich hätte einfach nicht mehr gekonnt. Der Freitag kam trotzdem schneller als ich gedacht hatte. Die Zeugnisse waren ausgeteilt worden. Meins hatte ich mir nicht einmal angesehen. Wozu auch? Ich wusste, dass ich schlecht war. Caleb war nur am Montag da gewesen. Danach war er nicht mehr zur Schule gekommen. Ich hoffte inständig, dass es am Montag sein letzter Versuch gewesen war mich zum Reden zu bringen. Ich hoffte, dass er es aufgegeben hatte. Auch wenn er das nie tat. Er gab mich niemals auf. Und gerade das war das schlimme. Meine Fingerspitzen strichen über die kalte Glastür hinter mir. Kraftlos atmete ich aus, so als hätte ich gerade irgendetwas gemeistert. Einen Marathon etwa. Dabei war es einfach nur der Alltag, mein Leben. Ich blieb stehen, erstarrte. ein Gequältes Lachen entfuhr meiner Kehle. Chris stand am anderen Ende des Flurs. Ich schüttelte den Kopf. Flehte stumm, als würde er dann gehen. Alles war wie damals. Alles tat weh.
>>Lilly...<< fing er an, einfühlsam. 
>>Nein, bitte nicht.<< flüsterte ich zurück. Er nickte, war ganz ruhig. 
>>Komm her.<< 
Mehr brauchte es nicht.
Ich gab auf, ließ mich fallen. In seine Arme. Die falschen. 
>>Ich weiß, du schaffst es nicht. Es ist okay<< sagte er leise an mein Ohr. Er hielt mich ein Stück von sich weg, nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich fest an. 
>>Gib auf.<< 
Es war nicht drohend, nicht boshaft oder drängend. Eher sprach er genau das aus, was mir auf der Zunge lag. Das schrille Läuten der Schulglocke dröhnte in meinem Schädel. Grob ließ er mich los, schulterte seinen Rucksack und lief nach draußen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Meine Augenlider flatterten, mir war schlecht. 
>>Gib auf.<< hallte es in mir wieder.

Zuhause legte ich mein Zeugnis auf den Küchentisch und lief direkt nach oben. Meine Eltern arbeiteten, also interessierte es eh erstmal niemanden. Kreischend zuckte ich zurück und knallte gegen meine Zimmertür. Milla saß auf meinem Bett. 
>>Was zum Teufel..?<< begann ich, doch sie schnitt mir sofort das Wort ab. 
>>Nein, du hörst mir jetzt einmal zu, nur dieses eine Mal!<< machte sie klar und ich war still. Sie stand auf und stellte sich mir entgegen. 
>>Was ist los mit dir?<< fragte sie sanfter. 
>>Ich weiß nicht, was du meinst.<< schnürte ich das Gespräch ab und ging an ihr vorbei zum Fenster. Sie fasste mich an der Schulter und drehte mich zu sich herum. 
>>Rede, Lilly! Ich hab das Gefühl als würde ich dich verlieren und ich habe absolut keinen Plan, wie ich dir helfen kann. Ich kann dich nicht festhalten. Du bist schon längst so weit weg von mir.<< sagte sie. Sie klang verzweifelt.
>>Du bist so weit weg. Mehr als jemals zuvor. Und ich weiß nicht, ob du überhaupt nochmal zurück kommen willst.<< sprach sie aus. 
>>Das ist Blödsinn<< nuschelte ich schwach. 
>>Lilly, ich sehe es dir an!<< 
Ich war an der Grenze. Noch ein Wort und ich würde vor ihr zusammen brechen.
Noch ein Wort und ich würde diese Mauer, zwischen ihr und mir, noch ein Stück höher ziehen.
>>Lilly...<< fing auch sie an.
Ich entschied mich für die Mauer. So war es besser für sie. Mein Gesicht versteinerte, ich wurde kalt. 
>>Milla, weißt du was? Verpiss dich einfach. Merkst du denn nicht, dass ich dich satt habe? Verschwinde einfach und hör auf so eine Scheiße zu reden. Das war's.<< presste ich schweren Herzens über die Lippen. Ihre Augen weiteten sich, ich hatte sie verletzt. 
>>Das meinst du nicht ernst.<< versuchte sie zurück zu rudern. Gemeinsame Erinnerungen rasten vor meinem inneren Auge vorbei. Ich wollte Milla nie verlieren. Ich wollte ihr nie weh tun. An manchen Tagwn war sie mein einziger Halt gewesen. Der einzige Mensch, der ein Wort mit mir gewechselt hatte. Aber es war zu spät. Es musste sein.
>>Doch, das tue ich und das habe ich immer. Und jetzt geh, ich will dich nicht mehr sehen.<<
Sie schluckte, Tränen standen in ihren Augen. Traurig sah sie weg, dann nahm sie ihre Sachen und auch sie ging. Ich brachte alle dazu, mich zu verlassen. Stumm nickte ich, akzeptierte die Situation. Auch, wenn ich am liebsten sofort wieder zu Milla raus gelaufen wäre. Es tat mir so leid. Das hatte sie gar nicht verdient.

Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt