Kapitel 184 - keine Geschenke

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Lilly

*trigger Warnung*

An Heiligabend stand ich früh auf und machte mich fertig. Ich duschte und zog ein Kleid an. Ich machte Frühstück und aß mit meinen Eltern, nachdem sie aufgestanden waren. Zusammen wuschen wir das Geschirr ab und schauten dann einen Film im Fernsehen. 
>>Dein Vater und ich wollten mittags anfangen zu kochen, für heute Abend.<< 
Ich nickte.
>>Das ist gut, super. Ich hab sowieso noch was zu tun<< meinte ich und war froh, dass sie beschäftigt sein würden. 
>>Okay, dann rufen wir dich einfach, wenn das Essen fertig ist. Ist das auch okay?<< schlug sie vor und tauschte einen Blick mit meinem Dad aus. 
>>Ja, na klar. Das wäre toll. Braucht ihr beim Essen meine Hilfe?<< fragte ich und rang mir einen freudigen Gesichtsausdruck ab. Sie schüttelte den Kopf.
>>Nein, ich denke nicht. Das kriegen wir schon allein hin.<< 
Ich nickte wieder. Ich half meinem Dad noch die restlichen Kugeln an den Baum zu hängen und ging dann wieder nach hause. Keuchend setzte ich mich an den Schreibtisch und musste mich erst wieder fangen. Ich kapierte erst jetzt, was ich im Begriff war zu tun. Sanft streifte ich über die Briefumschläge, bevor ich sie alle beschriftete. Für jeden einen. Mum, Dad, Caleb, Milla, Matt, Nick und Chris. Auch für Chrissy. Zum ersten Mal war ich froh, dass Harvey nicht mehr bei mir war. Von ihm musste ich mich nicht verabschieden. Die Möglichkeit hatte ich nie bekommen. Ich fing mit dem Brief an meine Eltern an. Ich schrieb alles auf, wie dankbar ich ihnen für alles war und wie sehr ich sie liebte. Und vor allem, dass es nicht ihre Schuld war und sie sich keine Gedanken machen sollen. Der nächste war an Matt, dann an Milla. Immer so weiter. Calebs Brief schrieb ich als letztes. Er war durcheinander und emotional, ich schüttete mein Herz aus. Erinnerungen überfluteten mich. Seine Berührungen auf meiner Haut. Ich konnte sie spüren als wären sie nie weg gewesen. Zitternd klebte ich die Umschläge zu und stapelte sie aufeinander. Schließlich schlug ich mein Tagebuch auf und schrieb. Diese letzten paar Stunden fühlten sich eigenartig an, trotzdem war da keinerlei Last auf mir.
Es fühlte sich an, als hätte man mich endlich frei gegeben. Draußen war es dunkel als ich fertig war. Ich kämmte meine Haare ordentlich und zog mein Kleid zurecht. In der Küche konnte ich die Teller klappern hören. Der Geruch des Essens stieg die Treppe rauf. Ich schluckte. Meine Eltern würden umkommen vor Trauer.
Wie schlimm musste es ein, wenn sich die eigene Tochter an Weihnachten das Leben nahm. Aber wann hätte ich es sonst tun sollen? Wann wäre der richtige Zeitpunkt dafür? Das war es nie. Und ich konnte nicht länger warten. Ich hielt es nicht aus.
Ich lief runter und half meiner Familie beim Tischdecken. Auch meine Eltern beobachtete ich genau, merkte mir alles. Mein Dad küsste meine Mum zögerlich und wünschte ihr frohe Weihnachten. Ich wusste nicht, ob es das erste Mal gewesen war, dass sie sich wieder geküsst hatten. Aber für einen kurzen Moment war ich glücklich und speicherte mir dieses Bild ab. Das Essen war köstlich und tat mir gut. Wir redeten noch lange, über alles mögliche. Geschenke hatten wir uns dieses Jahr nicht geschenkt. In diesem Fall war ich froh darüber. Ich hatte mir lieber Zeit mit ihnen gewünscht. Wir räumten zusammen ab, es war spät geworden. 
>>Hey, vielleicht können wir ja morgen Schlittschuh laufen gehen<< schlug meine Mum mit riesen Vorfreude vor. Mein Vater brummte.
>>Was meint unsere Tochter denn dazu?<< fragte er mich und hoffte darauf, dass ich nein sagen würde.
>>Ich würde das schön finden.<< sagte ich und mochte es, wie die Augen meiner Mum glitzerten. Sie jubelte und packte die sauberen Teller in den Schrank. Mein Dad gab sich geschlagen. 
>>Na gut, dann schlaf erstmal schön. Dann gehen wir morgen Schlittschuh laufen.<< sagte Dad leicht mürrisch, zwinkerte mir aber zu.
>>Gute Nacht, Schätzchen<< rief Mum und war schon wieder im Wohnzimmer am herum wirbeln. 
>>Gute Nacht.<< sagte ich leise zurück und stockte an der Treppe.
>>Mum? Dad?<<
Mum streckte den Kopf nochmal zur Küche rein und Dad sah von seinem Wein auf.
>>Ich liebe euch.<< 
Schwer schluckte ich, drückte den aufkommenden Kloß in meinem Hals weg.
Meine Eltern sahen sich verwundert an und lächelten dann.
>>Wir lieben dich auch.<< 
Schnell lief ich nach oben. Andernfalls wäre ich bei ihnen geblieben.

Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt