Kapitel 128 - Love

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Lilly

Am Montagmorgen stand ich frisch geduscht im Bad und putzte meine Zähne. Meine Eltern waren unten und machten sich fertig. Gleich würden wir zu meiner alten Schule fahren, um mit meinem Schulleiter zu sprechen. Ich spülte mir den Mund aus und starrte dann mein Gesicht im Spiegel an. Ich sah müde aus, aber dennoch wie ein ganz anderer Mensch wie noch vor vier Monaten. Schnell föhnte ich mir die Haare und zog mir eine Jeans und Pulli an. Die Treppenstufen knackten ein wenig als ich sie motiviert hinunter sprang. Meine Eltern deckten gerade den Tisch für's Frühstück. Ich half ihnen mit dem Rest und gemeinsam aßen wir.
>>Bist du sicher, dass du das willst?<< fragte meine Mum und nippte an ihrem Kaffee.
>>Ja, ganz sicher<< antwortete ich und biss von meinem Brot ab. Sie nickte und sah meinen Dad an, der ihr ebenfalls zu nickte. 
>>Okay, wollen wir dann los?<<
fragte mein Dad mit Blick auf mein Frühstück.
>>Ja klar, ich nehme das Essen einfach für die Fahrt mit<< 
>>Na dann<< machte er und stand auf. Ich flitzte nach oben, zog meine Schuhe an und schnappte mir meine Unterlagen aus der Klinik. Mein Dad war schon im Auto und startete den Motor, meine Mum stand unten an der Tür und wartete auf mich. Ich steckte noch mein Essen ein und hüpfte dann ins Auto. Ich wusste nicht mal wieso, aber ich war dermaßen motiviert wieder zur Schule zu gehen.  Ich hatte die Fahrt zur Schule immer länger in Erinnerung gehabt als sie eigentlich war. Innerhalb von zehn Minuten fuhren wir auch schon auf den Parkplatz und stiegen aus. Ich atmete tief ein und stieg aus. Meine Hände zitterten als wir uns in den Wartebereich am Sekretariat setzten und plötzlich hatte ich Angst, dass jemand an uns vorbei laufen könnte, der mich kannte. Ich hatte bis jetzt nur Milla erzählt, dass ich wieder da war. Davon, dass ich wieder zur Schule wollte, hatte ich gar nichts erzählt. Nur Matt wurde wahrscheinlich noch wissen, dass ich zurück war. 
>>Miss Matthews?<<
fragte der Schulleiter, der plötzlich die Tür zu seinem Büro geöffnet hatte. Ich ging mit meinen Eltern zusammen. Er schüttelte mir fest, aber freundlich die Hand und bat uns, uns doch zu setzen. 
>>So, dann erzählen Sie doch mal. Wie kann ich weiter helfen?<< 
Meine Mum wollte antworten, doch ich kam ihr zuvor.
>>Ich möchte wieder zur Schule gehen<<
Mein Schulleiter zog leicht die Luft ein und er musterte mich genau.
>>Lilly, Sie waren lange nicht da und müssten eine Menge aufholen<<
>>Das weiß ich. Das schaffe ich<< sagte ich so überzeugend, dass er in diesem Punkt nicht weiter diskutieren würde. 
>>Ich würde Ihnen empfehlen, das Jahr noch mal zu wiederholen. In einer neuen Klasse<<
>>Warum? Ich muss nur vier Wochen aufholen und meine Noten sind eigentlich gut genug gewesen.<< 
>>Davon habe ich auch gar nicht geredet<< setzte er vorsichtig an.
Mir entglitt mein freundlicher Gesichtsausdruck und ich ließ mich etwas in den Stuhl zurück fallen. 
>>Sie denken, ich schaffe das nicht, oder? Mit den anderen? << 
>>Lilly!<< flüsterte mein Dad energisch und wollte mich zurück halten.
>>Nein, Dad. Ich verstehe schon. Er möchte nicht die Verantwortung für ein Mädchen übernehmen, das in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden ist. Er denkt, ich bin zu schwach<<
Ich verschränkte die Arme und sah meinen Schulleiter herausfordernd an. Er räusperte sich, sichtlich beschämt und kramte in meiner Akte herum. 
>>Es tut mir sehr leid, falls ich sie gekränkt habe, Miss Matthews<< 
Er zog den Mund zu einem dünnen Strich und ordnete einen Stapel Blätter erneut. 
>>Sind sie sicher, dass Sie den verpassten Schulstoff aufholen können? Zumindest die wichtigsten Grundlagen?<< fragte er mich und sah mich noch ein mal prüfend an. 
>>Definitiv<< kam es kühl und bestimmt über meine Lippen. 
>>Haben Sie vielleicht eine Kopie von Ihrer Einweisung in die Klinik?<<
>>Ja, sicher.<< Ich suchte die Kopie aus meiner Handtasche und schob sie über den Tisch.
>>Gut, dann würde ich sagen, werde ich Sie noch für diese Woche vom Unterricht frei stellen<<
Er reichte mir den Stapel Papiere, den er noch vor zwei Minuten geordnet hatte.
>>Ihr erster Schultag wird dann am Montag um 8 Uhr anfangen, wie gewohnt in Ihrer alten Klasse. Versuchen Sie bis dahin bitte so viel wie möglich von dem Unterrichtsstoff aufzuholen.<<
Ich nahm den Stapel an und stopfte ihn in meine Tasche. Meine Eltern schauten mich sprachlos an als ich aufstand und dem Schulleiter zum Abschied die Hand gab. 
>>Vielen Dank<< sagte ich mit einem festen Händedruck. 
>>Gern, Miss Matthews<< verabschiedete er sich und geleitete uns auf den Flur. Ich winkte der Sekretärin an der Rezeption und machte mich wieder auf den Weg zum Auto. 
>>Wow..<< kam es nur von meiner Mum und sie sah mich etwas erstaunt an. 
>>Entschuldigt, falls das irgendwie zu krass war eben, aber ich lasse mich nicht mehr so blöd behandeln<< zuckte ich mit den Schultern und stieg ins Auto ein.
>>Gut so<< lächelte mein Dad und auch meine Mum fuhr ein wenig runter.
Zuhause angekommen sortierte ich als erstes den Stapel in meine Schulfächer und heftete sie in die entsprechenden Ordner. Ich zog mich um und ging nach unten in die Küche, um mir etwas von dem Auflauf von gestern warm zu machen. Dann setzte ich mich an den Tisch und fing an zu essen. Meine Mum schaute vom Wohnzimmer zu mir rüber.
>>Warum isst du denn da hinten? Guck doch mit uns fernsehen<< 
>>Nein, ich esse nicht mehr vor dem Fernseher, Mum<<
>>Was?<< fragte sie verdattert und kam zu mir an den Tisch. 
>>Das habe ich in der Therapie gelernt. Wenn ich esse, dann konzentriere ich mich nur darauf. Alles andere lenkt mich nur ab. Ich will lieber ganz genau sehen und fühlen, was ich esse. Damit ich mit bekomme, wie gut mir das tut. Und das ich es brauche.<<
Beim letzten Satz brach meine Stimme ein kleines bisschen. Das hatte ich noch nie gesagt. Ich brauche das Essen, um zu leben. Sonst hatte ich mich gegen diesen Gedanken immer gewährt. Und es war ein langer Weg gewesen, dies zu akzeptieren. Meine Mum lächelte, stand auf, machte sich auch Auflauf warm und setzte sich zu mir. Kurz stoppte ich und sah sie an. Es fühlte sich gut an, dass meine Mum bei mir war. Sie zeigte mir, dass sie mich unterstützte. Seitdem sich meine Eltern getrennt hatten, hatte ich diese Beziehung zu ihr verloren. Und ich hoffte wirklich sehr, dass sich das wieder einrenken würde. Wir aßen langsam und schweigend. Es war keine unangenehme Stille. Es war schön, so leise. Ich konnte mein Essen bewusst zu mir nehmen, ohne dass ich ausrastete. 
>>Ich bin gespannt, wie meine Therapie laufen wird<< sagte ich dann plötzlich und aß die letzte Gabel.
>>Bist du nervös deswegen?<< fragte sie und machte ihre Gabel wieder voll.
>>Ein bisschen. Es wird auf jeden Fall anders in der Klinik, an Doktor Andrews hatte ich mich ja gewöhnt.<< 
Sie nickte und musterte ihr Essen. Ich wusste, dass sie nicht genau wusste, was sie darauf antworten soll. Natürlich, nicht nur für mich war es schwierig so krank zu sein. Für meine Eltern musste es noch um einiges schwieriger sein, ihrer einzigen Tochter dabei zu zu gucken, wie sie so viel durch machen musste. Ich hatte ihnen noch nicht mal erzählt, was meine Diagnose war. Ich wollte den Blick der beiden nicht sehen, wenn ihnen bewusst werden würde was diese Krankheit für mein Leben bedeuten würde. Ich wusste nicht, wie ich es ihnen sagen sollte. Ich wusste nicht mal, ob ich das überhaupt konnte. Ich könnte jetzt schon wieder los heulen, wenn ich daran dachte, wie mir das Borderline immer einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte und auch immer wieder machen wird. Bei allem, mein ganzes Leben lang. Mein Blick wanderte zur Uhr. Vierzehn Uhr. Ich schob den Teller von mir und sah meine Mum kurz an. Ertappt, als hätte ich ihre Gedanken gelesen, sah sie mich mit großen Augen an.
>>Ich werde gleich mal baden gehen, ich hab irgendwie Rückenschmerzen.<< gab ich ihr nur Bescheid, stand auf und stellte meinen Teller in die Spülmaschine. 
>>Okay, Schatz<< sagte sie geistesabwesend und aß ihr essen weiter. Plötzlich fühlte ich mich schlecht, dass ich sie hier so sitzen ließ.
>>Mum?<< 
Überrascht hob sie den Kopf.
>>Ich liebe dich<< kam es leise aus mir heraus und schnurstracks ging ich nach oben. Ich konnte nur noch sehen, dass sie lächelte, während sie kaute.

Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt