Kapitel 94 - Numb

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Lillys Sicht. 

Ich starrte vor mich hin. Frau Robinson schaute mich ruhig an, in ihren Augen lag leichte Besorgnis. Doch ich bekam so gut wie gar nichts mit. Ich dachte nur noch an Caleb und wie er verschwunden war. Warum war er überhaupt damals gegangen? Wieso hatte er mich allein gelassen? Und warum war er zurück gekommen? Warum hatte er mich damals geküsst und mir gesagt, dass er mich liebt? Er kannte mich doch gar nicht richtig. Er wusste nur, dass ich eine Psychopathin war, die sich ritzte und nichts aß. Und auch noch Wahnvorstellungen hatte. Also warum hatte er sich in mich verliebt? Wie konnte er das? Ich meine, niemand kann jemanden lieben, der so ist wie ich. Oder?

>> Ich weiß noch als der erste Schnee fiel letztes Jahr. Als Alexa mir das Oberteil abriss und mich in den kalten Schnee gedrückt hat. Und nur Matt war da. Er war der einzige, der mir geholfen hat. Alle anderen haben mich gehasst<<

>>Was war mit Milla?<< 

Ich zuckte mit den Schultern. Meine Unterlippe zitterte und ich schluckte heftig gegen die Tränen an.

>>Ich glaube, sie hatte Angst sich als einzige gegen alle anderen zu stellen. Das kann ich gut verstehen.<<

>> Matt ist auch einer deiner Freunde? Du hast ihn vorher gar nicht erwähnt.<< 

>> Ja, er hat sich mit mir angefreundet als ich so allein war...und er hat...<< Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Ich meine, ja klar, er hatte sich mit mir angefreundet, weil er Kontakt zu Caleb hatte und der wollte, dass Matt auf mich aufpasste als Caleb selbst weg war. Aber wäre ich an Matt's Stelle gewesen, ich hätte mich nie getraut ein Mädchen zu verteidigen, dass von allen so sehr verachtet wurde und mir zudem auch noch komplett fremd war. Bewundernswert.

>>Das war sehr mutig von ihm<< sagte Frau Robinson und nickte mir bestätigend zu. Als könnte diese Frau meine Gedanken lesen, gruselig. 

Fast hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt als mir etwas durch den Kopf ging. 

>>Einmal hat Matt Chris verprügelt!<< platze ich hervor. 

>>Also Caleb hat ihn verprügelt<<

>>Was?<< Frau Robinson sah mich verwirrt an und ich konnte sehen, wie sie versuchte die Infos zu verarbeiten und zu sortieren. 

>>Als Caleb weg war, da kam mir Chris einmal zu nah. Allerdings nicht so wie die anderen Jungs. Er...<<

Ich überlegte. Eigentlich war es schon ziemlich krank gewesen, wie er damals gegenüber mir war. Oder war er vielleicht immer noch so, nur ich war zu blöd um es zu erkennen? 

>>Er war irgendwie ganz komisch, ich hatte große Angst vor ihm. <<

Mein Atem rasselte leicht,

>>Am nächsten Tag lag er dann im Krankenhaus und erst dachte ich Matt hätte ihn so zugerichtet, doch ich hab herausgefunden, dass es Caleb war<< 

>>Aber ich dachte Caleb war weg?<<

Ich rutschte aufgeregt auf meinem Sessel vor.

>>Ja, aber Matt hat ihm immer alles über mich erzählt. Und Matt hat mir dann irgendwann gesagt, dass Caleb immer noch an mich gedacht hat und eingeschritten ist, wenn so etwas wie mit Chris passiert ist<<

>>Also hast du dich mit Chris ausgesprochen? Ihr seit ja befreundet mittlerweile<<

>>Nein, wir haben nie darüber geredet...Unsere Freundschaft hat sich diesen Frühling entwickelt, als...ach egal<< 

Ich machte ihr deutlich, dass ich noch nicht darüber sprechen wollte. Und sie nickte.

>>Das heißt also Caleb war doch nie wirklich weg<< leitete sie das Gespräch wieder ein. 

>>Nein, obwohl es sich irgendwann so angefühlt hat, dass er niemals da gewesen war...<<

Tränen stiegen mir in die Augen, die ich verkrampft runter schluckte. Meine Finger fingen an zu zittern und ich vergrub sie in meinen Ärmeln. 

>>Kann ich bitte gehen? Ich kann nicht weiter reden<< sagte ich heiser und starrte zu Boden. 

>>Lilly, alles okay?<< fragte Frau Robinson vorsichtig und wollte zuerst eine Hand nach mir ausstrecken, die sie dann allerdings wieder zurück zog.

>>Kann ich bitte gehen?<< fragte ich und stand schon auf.

>>Ja, natürlich. Melde dich einfach, wenn du einen neuen Termin haben willst<<

Ohne etwas zu sagen, verließ ich den Raum und ging über den Flur. 

>>Lilly!<< Nick kam alamiert auf mich zu. Ich schaute ihn gar nicht an, sondern ließ mich einfach nach vorne kippen. Ich wusste, er würde mich halten. 

>>Ich bring'dich nach hause<< sagte er fest und ging an meiner Seite zu seinem Auto. Während der Fahrt warf er mir immer wieder besorgte Blicke zu. Ich hatte mich zwar etwas beruhigt, doch sagen konnte ich nichts. Gerade war mir einfach alles zu viel. Ich war dabei gewesen Frau Robinson das schlimmste, was ich je erlebt hatte zu erzählen, ohne, dass ich selbst je verarbeitet hatte. 

>>Ich kann heute nicht lernen.<< kam es aus meinem Mund.

>>Das habe ich auch gar nicht mehr erwartet<< sagte er und bog in unsere Auffahrt. 

Nick verfrachtete mich auf mein Bett und setzte sich nachdenklich ans andere Ende. Er sah mich an, irgendwie abwesend, als würde er über etwas nachdenken. Dann kaute er auf seiner Unterlippe herum und sah an mir vorbei. Ich hörte seinen Atem, der sich etwas beschleunigte. Dann ging sein Atem flach, er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Schließlich stand er auf, nahm sein Handy und verließ den Raum. Ich konnte ihn sprechen hören, nur wusste ich nicht was er sagte. Nach einer Weile kam er zurück und fing an meine Sachen , die auf dem Boden zerstreut waren zu sortieren. Mein Kopf war so durcheinander, dass ich nicht mehr denken konnte. Also beobachtete ich ihn einfach und ließ meine Gedanken kreisen, ohne ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war als es dann an der Haustür klingelte.

>>Na endlich<< sagte Nick leise und ging nach unten. Ich hörte die Haustür und dann die Treppe. Nick stand wieder im Türrahmen, hinter ihm eine weitere Person, die ich nicht sehen konnte. Nick sah mich erst an, dann raufte er sich die Haare und trat zur Seite, sodass ich hinter ihn sehen konnte. Mein Atem stockte, als ich seine leuchtenden blauen Augen und die schwarzen Haare sah. 

>>Ich hab Caleb für dich her geholt. Ich glaube ihr habt in letzter Zeit viel zu wenig zusammen gemacht...Ich gehe dann jetzt. << 

Mit großen Augen schaute ich erst Caleb an, dann Nick. Nick nickte mir nur zu und lächelte.

>>Keine Angst, ich werde den anderen schon nichts sagen, wir sehen uns dann morgen<< 

Ich lächelte schnell, bevor Nick die Tür schloss und das Haus verließ. Caleb hielt etwas Abstand zu  mir. Nicht, weil er oder ich es so wollte. Sondern weil uns in letzter Zeit wirklich so einiges getrennt hatte...Flehend schaute ich ihn an. Ich wollte nicht so weit von ihm entfernt sein. Mir fiel auf, wie sehr ich ihn die ganze Zeit vermisst hatte. Wie sehr er mir gefehlt hatte und wie ich einfach nicht ich selbst ohne ihn war. Immer passierte irgendeine Scheiße, wenn er weg war. Ich konnte mir ohne ihn einfach nicht trauen. Man sah ja, was daraus geworden war...Ich streckte die Hand nach ihm aus, doch er nahm sie nicht an. Ich wusste, ich hatte ihn verletzt. Schon wieder. Ich hatte ihn ausgeschlossen. Schon wieder. Und er liebte mich so sehr, dass er trotzdem sofort her gekommen war.  Ich stand auf und schloss den Abstand zwischen uns. Sanft drückte ich meine Lippen auf seine und krallte meine Finger in sein T-Shirt. Ich spürte, wie er seine Hände an meine Wangen legte und den Kuss vorsichtig, aber sehnsüchtig erwiderte. 



Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt