Kapitel 130 - Changes

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Lilly

Schnaufend rannte ich die Wendeltreppe von meiner Therapeutin runter. Es war zehn vor 5 und ich musste noch drei Blocks zum Imbiss laufen. Die Sitzung verlief normal. Ein bisschen Small-Talk und wie mein Alltag in der Klinik verlaufen war. Ich hatte ihr von allen Personen in meinem Leben erzählt, nur bei Caleb hatte ich mich zurück gehalten. Dieses Thema würde noch früh genug wieder hoch kommen. Hätte ich doch nur gewusst wie früh.
Grummelnd stützte ich mich kurz am Türrahmen ab, bevor ich das Gebäude verließ. Okay, noch sieben Minuten Lilly! Sagte ich zu mir selbst und lief los. Der Wind wehte an meinem Pullover und ich war froh, dass ich kein Kleid angezogen hatte. Ich ließ meine Gedanken kreisen und schaute mir die Stadt an, in der ich hier zuhause war. Die letzte Ecke. Gleich könnte ich direkt auf den Imbiss und plötzlich war ich etwas nervös. Mit einem Ruck bog ich um die Hausecke und schaute über die sonnengeflutete Kreuzung auf den Curry-Imbiss auf der anderen Straßenecke. Mein Mund verzog sich automatisch zu einem breiten Grinsen als ich Milla auf der anderen Seite sah. Ich ging über die zwei Ampeln und rannte los als Milla mich entdeckte.
>>Lilly!<<
kreischte sie und rannte mir ebenfalls entgegen. Lachend fielen wir uns in die Arme und sie zerquetschte mich fast.
>>Ich hab dich so vermisst! Gott, hab ich dich vermisst!<<
sagte sie in unsere Umarmung hinein und wiegte mich hin und her.
>>Ich hab dich auch so vermisst!<< lachte ich an ihre Haare. Ein paar Sekunden verharrten wir noch so und sagten gar nichts, bis wir uns los ließen und uns das erste Mal richtig ansahen. Milla sah anders aus und doch immer noch so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ihr Haare waren immer noch ihre blonden Haare, auch wenn sie sie schulterlang abgeschnitten hatte. Und ihre Augen waren immer noch ihre blauen, großen Augen. Milla trat einen Schritt zurück und schaute mich an.
>>Du siehst so schön aus Lilly. Wow. So gesund und schön<<
sagte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. Ich konnte mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen und griff nach ihrer Hand als wir in den Imbiss gingen. Wir suchten uns einen kleinen Tisch in einer Ecke und bestellten beide Putencurry mit Reis und einer großen Cola. 
>>Wie läuft es mit dem Lernen?<< fragte Milla als sie sich die erste Gabel vor den Mund hielt und es kalt pustete. Ich kaute schnell meinen Reis und murmelte dann eine Antwort hervor.
>>Es läuft echt gut. Mathe habe ich fast fertig und der Rest sollte kein Problem sein<<
>>Bis wann musst du denn fertig sein? Oder eher gesagt, wann gehst du wieder zur Schule?<< 
>>Montag ist mein erster Schultag<< sagte ich und wartete ihre Reaktion ab.  Ein Grinsen schlich sich um ihren Mund, sie nickte und pickte eine weitere Gabel auf.
>>Was ist?<<
Ich stieß sie in die Seite und musste lachen. 
>>Nichts, es ist nur...<<
kam es nachdenklich von ihr, musste aber dennoch lächeln als sie mich erneut ansah. 
>>Du hast dich verändert<<
stellte sie fest.
>>Und ist das gut oder schlecht?<< fragte ich etwas ängstlich und schob meinen Reis auf dem Teller hin und her. 
>>Du bist so erholt, so gesund, so fröhlich. So kenne ich dich gar nicht. Es ist als würde eine ganz andere Person neben mir sitzen<<
fing sie an und ich schaute sie unsicher an. Sie drückte beruhigend meine Hand.
>>Ich freue mich darauf, diese Lilly kennen zu lernen<< 
sagte sie lächelnd und stopfte sich den Mund mit Curry voll. Erleichtert konnte auch ich lächeln. Ja, ich freute mich auch auf alles was noch vor uns lag. Plötzlich leuchtete mein Handy auf und fing an zu klingeln. Harvey. Oh mein Gott Harvey! Ich hatte ihn gestern angeschrieben und ihm versprochen, dass wir heute telefonieren würden.
Ich schluckte mein Essen runter und ging dann ran. 
>>Hi<< begrüßte ich ihn fröhlich.
>>Was machst du so, meine Schöne? Wie waren die ersten Tage?<< antwortete er auf seine typische Harvey-Weise.
>>Harvey, sorry, aber gerade passt es echt gar nicht. Ich bin mit Milla was essen. Aber ich rufe dich an, sobald ich zuhause bin. Versprochen!<< entschuldigte ich mich und sah in Millas interessiertes Gesicht. 
>>Klar, kein Stress. Lass es dir schmecken. Wir reden später. Hab dich lieb<<
sagte er und ich konnte sein fürsorgliches Lächeln hören.
>>Ich dich auch. Bis später<< verabschiedete ich mich und legte auf. Milla hatte die Augenbrauen fragend hoch gezogen und ich befürchtete, dass ihre Augen gleich ausfielen wenn sie sie weiter so aufriss. 
>>Harvey? Erzähl mir mehr<<
befahl sie und hatte diesen
,,Ich-denke-ich-weiß-was-passiert-ist-Blick'' drauf.
>>Okay, es ist nicht so, wie es sich angehört hat<<
stellte ich klar und hob unschuldig die Hände.
>>Ja, genau<<
kam es sarkastisch von ihr.
>>Nein, ehrlich. Ich hab Harvey an meinem ersten Tag in der Klinik kennen gelernt, genauso wie Chrissy. Wir sind alle echt gute Freunde geworden und sie haben mir geholfen so schnell gesund zu werden.<<
>>Nur Freunde also?<<
sagte Milla in einem seltsamen Ton und ich wusste auch, warum sie das so sagte.
>>Für mich gibt es niemand anderen als Caleb.<<
gab ich zu und sah auf meine Hände. 
>>Außerdem ist Harvey schwul<< lachte ich und sah wieder zu Milla. Peinliche Röte stieg ihr ins Gesicht.
>>Ohh. Also wirklich nur Freunde<< Kurz brachen wir in schallendes Gelächter aus und es dauerte eine Weile, bis wir uns wieder einkriegten.
>>Zu dem Thema Caleb nochmal-<< wollte Milla einlenken, doch ich brach ab.
>>Nein, ich will nicht darüber sprechen<<
sagte ich mit fester Stimme und sah ihr in die Augen.
>>Lilly, ich...ich weiß, dass er dir sehr weh getan hat. Der Brief an deinem Geburtstag.<<
fing sie vorsichtig an, sie wollte wirklich nicht aufgeben.
>>Bitte hör auf<<
hauchte ich schwach und atemlos, bei der Erinnerung an diese Tage und an das Gefühl als ich seinen Brief gelesen hatte. Der Tag, an dem er endgültig mit mir Schluss gemacht hat.
>>Ich weiß, dass du ihm geantwortet hast. Du musst wissen, die ganze Sache ist ihm auch nicht gerade leicht gefallen, vielleicht sogar noch schwerer als dir. Auch hier hat sich, in der Zeit wo du weg warst, viel verändert.<< 
Ich war stumm. Ich hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Ich hatte gewusst, dass ich früher oder später mit meinem alten Leben konfrontiert werden würde. Es war schwer, schmerzvoll und trotzdem wollte ich wissen, was hier passiert war. Und ehrlich gesagt konnte ich froh sein, dass Milla diejenige war, die es mir sagen würde. Ich war nicht allein. Also ließ ich sie reden.
Sie biss sich auf die Lippe und sah mich forschend an, abschätzend. Dann erzählte sie weiter.
>>Der Tag, an dem du eingewiesen worden bist, hat mich sehr fertig gemacht. Uns alle. Caleb hat sich zurück gezogen, sich zwei Wochen gar nicht mehr gemeldet. Dann hat er den Brief geschrieben und ihn Chris mit gegeben als wir zu deinem Geburtstag gekommen sind. Ich hab ihn nicht gelesen, aber ich kann mir ungefähr vorstellen was drin stand. Auch deine Antwort hab ich nicht gelesen, aber Caleb war fertig. Matt und ich haben ihn öfter besucht danach und er hat immer mehr dicht gemacht. Bis vor zwei oder drei Wochen, da ging es ihm dann etwas besser und wir haben mehr unternommen. Über dich reden wollte er trotzdem nicht. Naja und die Jungs, die haben in den Sommerferien einen Entzug gemacht. Nur wegen dir, du hast sie echt zum Nachdenken gebracht und ihnen geht es jetzt echt gut. Ich wollte dich schon viel eher in der Klinik besuchen. Ich war drauf und dran zu fahren als ich von deinen Eltern erfahren habe, wo du eingewiesen worden warst. Aber Matt konnte mich davon überzeugen, dass es das beste war dich erstmal in Ruhe zu lassen. Und ich bin froh, dass das meiste so gelaufen ist, weil es dir jetzt besser geht<< 
Schwer atmete sie aus, als wäre ihr eine Last von den Schultern gefallen. Chris hatte also nicht gelogen als er mir gesagt hatte, dass sie einen Entzug machen würden. Und sie hatten es wirklich geschafft.
Caleb hatte also genauso gelitten wie ich. Ich starrte an Milla vorbei.
>>Ich hatte einen Rückfall als ich Calebs Brief bekommen habe.<<
Schmerzend verzog Milla das Gesicht.
>>Oh Lilly...Das tut mir so leid<<
sagte sie und sah mich ehrlich an. 
>>Ich vermisse ihn<<
Milla schluckte.
>>Er vermisst dich auch, glaub mir. Er wollte dir nie weh tun<<
>>Warum hat er dann mit mir Schluss gemacht?<<
fragte ich wütender als es mir lieb war und versuchte die aufsteigenden Tränen zu ersticken. 
In Millas Blick konnte ich sehen, dass sie Mitleid hatte und dass es ihr wiklich leid tat, doch auch sie wusste nicht was sie sagen sollte. 
>>Er wollte dich nur schützen...<<
>>Wovor? Ich hab ihn gebraucht. Ich hätte ihn gebraucht als es mir so schlecht ging. Aber nein, er ist weg gelaufen. Das ist das, was er am besten kann<<
>>Er wollte dich nie allein lassen Lilly. Du weißt einfach nicht, was in seinem Leben los ist und was alles in seiner Vergangenheit los war<<
versuchte sie mich zu beruhigen.
>>Ach und du schon?<<
giftete ich sie an und bestürzt lehnte sie sich zurück. 
>>Nein, ich sag doch nur, dass man nie wissen kann was in einem Menschen vor sich geht. Lilly, diese ganze Zeit war auch für uns nicht leicht. Du hättest Caleb sehen sollen als der Krankenwagen auf den Schulhof fuhr. Matt musste ihn fest halten. Lilly, er dachte du stirbst<<
Ich war still, die Tränen versperrten mir die Sicht. 
>>Warum ist er nicht einfach zu meinem Geburtstag gekommen? Warum hat er nicht versucht alles zu klären? Wenn er mich so sehr liebt, dann wäre das ja wohl kein Problem gewesen.<<
>>Er hat dich verlassen, eben weil er dich so liebt. Er hat verstanden, dass es das beste für dich war, dich in Ruhe gesund werden zu lassen<< erklärte sie. 
>>Hör auf! Du weißt nicht, was das beste für mich ist<<
kam es zwischen zusammen gebissenen Zähnen aus meinem Mund. Ich stand auf, nahm meine Sachen, bezahlte und verließ den Imbiss.
Als ich um die nächste Straßenecke bog, tat es mir schon wieder leid.
Ich wusste, dass es nicht richtig war Milla so anzumachen und schon gar nicht, ihr für alles die Schuld zu geben. Sofort schrieb ich ihr eine Nachricht und sagte ihr, dass es mir leid tat.
Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Caleb hatte nur versucht das beste zu tun. Und ja, wahrscheinlich war es auch das beste, mich in dieser Zeit zu verlassen.
Aber die Art, wie er es getan hatte, hatte mein Herz gebrochen.
Und das war nicht mal eben mit einem ,,Es tut mir leid'' getan.

Please no promises - und alles wurde fakeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt