126. Untergrund

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Dartagno hatte den Schlaf aufgegeben. Jede Nacht seines Lebens gehörte dem Es.

Ein lang schon tot geglaubter Serienkiller machte Jagd auf das Berliner Partyvolk. Sie hatten sich darüber beschwert, dass Dartagno nicht vegan lebte, hatten ihm seine Handynummer entrissen und texteten ihm Anfragen, warum er nicht aufgetaucht war. Warum er sich nicht bei Lisa und Elke zurückgemeldet hatte.

Dann tauchte immer die Fratze des Alten auf, uralt, mit einem grausigen Grinsen in der Fresse. Übersäht von Falten, herausstehenden, haarigen Mutter-malen. Glatzköpfig. Und dann begann er das Partyvolk zu foltern. Der ganze Partykomplex der Studentenfachschaft war vermint. Das Wasser in den Fontänen war Gift. Dartagno wurde von einem weiblichen Wesen verfolgt, das nur aus einem schwarz brennenden Kopf bestand, mit einem medusahaften Haarschopf, deren Strähnen sich in pechschwarzem Rauch um sie herum auflösten. Sie hatte eine Tintennadel verhext, die Dartagno einen verfluchten Satz, dessen Worte er nicht ausmachen konnte - sie schienen lateinisch, jedoch in arabischen Buchstaben verfasst – langsam quer über seine Brust, unter schwarzer Glut, zackig hineinstach.

Dartagno blieb cool, verstand was passierte, und zupfte die Feder samt Stiel aus der Nadel. Die Nadel blieb stecken. Er bemerkte auch dies und entfernte die Nadel, bevor sie das letzte, sein Schicksal besiegelnde Wort in seine Brust hatte stechen können.

»Na? Hast du vom Wasser getrunken?«

»Nein.«

»Aber sie! Lisa hat es getrunken!«

Lisa hatte kein Gesicht mehr. An dessen Stelle war nur noch ein glatter, ihren Mund, ihre Augen und ihre Nase bedeckender Hautlappen getreten. Ihre darunterliegenden Gesichtsfunktionen schienen sich krampfhaft davon befreien zu wollen. Sie konnte so nicht atmen, dachte Dartagno.

Patrick versuchte derweil Social Media Fotos mit ihr zusammen zu schießen, so, als ob sie immer noch dieselbe, wunderschöne Trophäe wäre, wie eh und je. Patrick zeichnete dabei einen verzweifelten, angestrengten Ausdruck im Gesicht, den er mit einem breiten, aufgesetzten Grinsen kaschierte.

Dartagno lag nackt zwischen zwei, ebenfalls nackten Lesben, die begannen ihn näher an sich heranzuziehen, als man auf dem Gang hinter ihnen etwas donnernd heranrollen fühlte. Sie versuchten vergeblich seinen Schwanz zu stimulieren. Irgendein Macho kam vorbei, der nur die zwei nackten Frauen auf dem Boden sehen wollte. Er warf Dartagno eine Decke über den Leib, um ihn für seine lüsternen Blicke unsichtbar zu machen.

Das Donnern war ein Kinderwagen mit zwei am Lutscher lutschenden Babys darin gewesen. Jetzt kehrte die Fratze des Alten wieder. Er nahm ihnen ihre menschliche Gestalt, amputierte Gliedmaßen und ersetzte sie durch glatte Stümpfe, mit denen sie trotzdem noch versuchten weiter zu feiern, so zu tun, als ob es den Alten gar nicht gäbe.

Dartagno wollte eigentlich nur zu diesem Barbereich, der ihn mit seinem neonblauen Licht lockte, aber dann wurde er schon wieder abgelenkt, von den Bedürfnissen der Anderen. Sie zogen ihn weg um ihm zu erklären, wie schön doch ihre Wohnung eingerichtet war und ob er den Künstler dieses teuren Gemäldes wohl kannte?

Zwischendrin immer wieder Visionen von Fratzen. Die Wohnung, so wie sie sie sahen. Die Wohnung, so wie er sie sah. War er noch in dem Komplex, durch den der Killer jagte? War das nur eine Nebenstory? Manchmal trug der Alte eine schwarze Kapuze, während er um jede Ecke schlich. Eine Keule mit Nägeln, eine eiserne Jungfrau in Miniaturausgabe in seinen Pranken.

Das Partyvolk lief schreiend vor ihm her. Dartagno war oft verwirrt, weil er nicht zuordnen konnte, ob sie aus Terror oder aus Lust schrien. Er war irgendwie da drin, aber nicht so, als ob er der Gejagte wäre, sondern so, als ob ihm dieses Wesen versuchen würde irgendetwas zu zeigen. 

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Where stories live. Discover now