115. Sünde

1 0 0
                                    


~Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇--|✧|--Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇~


Dartagno saß, zusammen mit Nina, auf dem kalten Bordstein. Lautes Megafongeplärre umschloss sie, als sie einen Schluck nach dem anderen aus der gemeinsamen Whiskyflasche teilten. Dartagno hatte Nina im Chemieunterricht kennengelernt, als er noch zur Schule gegangen war. Das tat er mittlerweile nicht mehr.

Eine viel nützlichere Brutstätte fand er an genau diesen Orten hier. Sie befanden sich auf einer Demonstration für die politischen Rechte von Transsexuellen. Nina war nicht transsexuell, und er ebenso nicht. Sie hatten sich hier hin verirrt über die Freundin des aktuellen Stechers von Nina.

Damals im Chemieunterricht hatte Nina dem Lehrer immer wieder geantwortet mit »Pscht! So nicht, Kleiner!« was eigentlich nur eine Anspielung war auf ein sinnloses Internetvideo, in dem einige Jungs sich zu viele Substanzen gleichzeitig eingeschmissen hatten, und ihre Reise nach Amsterdam mit einer billigen Camcordervariante aus Urzeiten dokumentiert hatten. Die gesamte Serie war voller solcher Sprüche.

»Çüş, meen Jung! Abknatteeeeeerrnnn!« fand Dartagno am besten. Einer der Jungs verwendete diesen Satz in fast jedem Video, um seine sexuelle Frustration zum Ausdruck zu bringen, und sich folglich jedes Mal nach einem solchen Ausruf heftig den eigenen Sack zu kneifen. Dartagno mochte solche Dinge irgendwie, genauso wie Nina.

Er fand Nina sympathisch, weil ihr die Autorität des Chemielehrers offensichtlich egal war. Ihm war ja auch alles egal. Nina selbst war bekennende Kranke. Sie lebte ihre Krankheit mehr als Lifestyle und Dartagno sah unbewusst darin wohl eine Chance auch seine eigene Krankheit vielleicht irgendwann umwandeln zu können, zu etwas, das etwas gesünder war, und ihn nicht vor ein unausweichlich frühes Ableben unter Schmerzen stellte. Es war zwar ganz cool, dass er mit Sicherheit einige Polizisten mit in den Tod reißen würde, aber er selbst hatte noch nie einen Arm abgerissen bekommen oder war von mehreren Kugeln durchlöchert worden. Dass das vermutlich nicht so angenehm war, war ihm durchaus bewusst, aber es war auch nicht so, als ob er wirklich eine andere Option auf dem Tisch liegen hatte.

Nina hatte zusätzlich noch einen anderen Vorteil: Sie kannte eine Menge Kaputtis. Schwache, sabbernde, drogenversiffte Kaputtis. Ein wunderbarer Pool, der sie gemeinsam zu dieser Demonstration geführt hatte. Wie bereits erwähnt, ging es hier angeblich um die Rechte von Transsexuellen, aber eigentlich, wenn man mal durchzählte, gab es hier vielleicht zehn tatsächliche Transsexuelle und der Rest bestand aus fehlgeleiteten Schabraken an Existenzen, die hier nur entweder deshalb waren, weil sie hofften, auf so einer Veranstaltung irgendjemanden zu finden der bereitwillig ihre Außenseitereigenschaften - soll also heißen: Starke Akne, zerschnittene Vorarme, Gothicschminke, breite Hüften...all sowas eben - zu akzeptieren, darüber hinwegzusehen und trotzdem mit ihnen zu kopulieren; oder, naja, eben psychische Kaputtis, die von irgendeiner Substanzabhängigkeit nicht weg kamen.

Dementsprechend liefen auch alle Konversationen an diesem Tag genau gleich ab. Die Wichtigste von ihnen lief allerdings zwischen Nina und Dartagno. Sie hatte sich ein Paradeoutfit um ihren unfassbar traditionell attraktiven Körper gewebt, welches jedes ihrer »Löcher« ausdrucksstark hervorhob, als ob sie die stilvollste Pornodarstellerin auf dem ganzen Planeten wäre. Genau deshalb wurde die Hauptkonversation auch stetig von Fremden unterbrochen, die Dartagno dann ganz genau auf ihre potentiellen Opfereigenschaften analysieren konnte.

»Hey!«

»Hey!«

Dartagno wusste nie, ob Nina einen der Fremden wirklich kannte, oder nur so offen damit war jeden anzulächeln, als Dankeschön dafür, dass er ein Kaputti war. Nina hasste andere Frauen, und andere Frauen hassten Nina für ihren Körper. Deshalb waren es auch meist Männer, die länger als unterhaltsame Begleiterscheinung zu ihrer Konversation hinzustießen.

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Where stories live. Discover now