71. Kontaktaufnahme

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Miriam salutierte spielerisch vor Spectre und verfiel jetzt in einen ehrlichen, aber auch leicht von ihren körperlichen, unterdrückten Schmerzen, und ihrer absurden Lage geprägten Lachanfall. 

Spectre verstand das überhaupt nicht und saß nur so da. Er schüttelte nur mit dem Kopf und wartete ab bis sie damit fertig war. Gerade als sie sich wieder gefangen hatte und sich einige ihrer Haarsträhnen aus ihrem Gesicht strich, während ihre Augen immer noch von Lachen trieften und Spectre endlich zu seinem Interview ansetzen wollte, mischte Estella sich im Innen ein.

»Du...ich weiß, das hier ist dein Projekt...aber sieh sie dir doch mal an! Die Arme ist total fertig! Ihr sind echt schlimme Sachen passiert! Ich bin dafür, ihr den Rest des Tages frei zu geben!«

»Spinnst du? Wir beherbergen eine Staatsfeindin! Für uns ist das total gefährlich!«

»So gefährlich, wie Kokain zu testen und an verlassenen Orten, an denen kriminelle Handlungen durchgeführt werden, herumzuhängen? So gefährlich, wie in aktives Kriegsgebiet zu fahren nur um neue Daten zu sammeln? Wir wollen dieses Zeug! Niemand zwingt uns!«

Estella genoss die Tatsache eine Feminine um sich zu haben. Als femininer Teil ihres Kollektivs, zusätzlich begünstigt durch das Desinteresse ihrer Maskulinen an irgendetwas Femininem, und der Tatsache, dass Yona eigentlich ihr einziger Kontakt in einem femininem Körper war, kilometerweit entfernt von ihr wohnte, und Silke mittlerweile auch weit weg gezogen war zu ihrem Studium, wollte sie Spectre nicht einfach wieder sein Ding abziehen lassen, bei dem es am Ende nur schlechter werden konnte für Miriam.

Sie hatte immer geschwiegen, wenn Spectre etwas getan hatte, das sie als nicht moralisch richtig empfunden hatte. Es war immerhin auch sein Leben. Dieses Mal bestand sie auf einen Richtungswechsel, für sich und für Miriam gleichermaßen. In diesem Fall gab es wirklich keine Ausrede, warum Miriam sich nicht wirklich eine Auszeit verdient hatte. Spectre konnte instinktiv Estellas erhöhte Priorität bei der Sache spüren. Aber Spectre war nicht leicht abzuwimmeln. 

Estella wusste, dass sie ein Verhandlungsmittel brauchen würde, also schlug sie ihm vor, dass er ihr ja jetzt das Problem mit ihren Haaren erklären könnte, und er sie dann aber für den Rest des Tages in Ruhe lassen sollte. Spectre seufzte. Es stimmte. Estella ließ ihn oft genug Dinge tun von denen sie selbst nicht viel hielt. Er wusste von Kollektiven, bei denen solche Unstimmigkeiten zu Stillstand, oder schlimmer, zu Unterdrückung, statt zu Taten führten. Er wollte unter keinen Umständen riskieren Estellas Gutmütigkeit zu weit auszureizen und einen wesentlich mieseren, innerpolitischen Zustand heraufzubeschwören. Also streckte er Miriam nun ihren Körperhaarschneider vors Gesicht. Besänftigt durch Estellas Wünsche formulierte er seine Worte so undominant wie er es nur vermochte.

»Hier. Ich habe vorhin im Bezirk versucht einige Perücken für dich aufzutreiben, um dein Aussehen so weit weg von deinem Fahndungsfoto zu bringen, wie nur möglich. Leider haben die Läden alle nur billige Verkleidungsaccessoires. Richtig überzeugende Perücken sind für Feminine sehr teuer und es würde dauern sie zu bestellen. Du solltest dir überlegen, dir deine Haare abzuschneiden. Ja, ich weiß, es ist kontraintuitiv. Man sollte meinen, wenn man mehr von deinem Gesicht sieht, würdest du auch mehr auffallen. So sehe ich das Spiel nicht. Die Idee wäre, dich so maskulin wie nur möglich zu machen, da du vorher sehr feminin warst. Das verwirrt die Menschen am meisten. Da brennt bei ihnen eine Sicherung durch und du hast wesentlich bessere Chancen nicht mehr als die, die du warst, wahrgenommen zu werden. Ich zwinge dich zu nichts. Es ist nur ein nett gemeinter Ratschlag.«

Seine Mimik war zwar nicht nett, sondern immer noch fordernd, aber das war das Beste, was Spectre auf dem Gebiet der Fürsorglichkeit zu bieten hatte. Estella wusste das. Miriam hatte den Schneider in Empfang genommen und aufgehört zu grinsen. Sie betrachtete sich den Apparat. Die Schwere dieser Entscheidung lastete nun auf ihr.

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Where stories live. Discover now