98. Welle

1 1 0
                                    


~Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇--|✧|--Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇Δ∇~


»Shane«, Spectre hatte seine Hand auf Shanes Schulter abgelegt um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen, »es ist verdächtig ruhig. Schon zu lange. Zu ruhig.«

Shane mochte es nicht besonders, dass Spectre immer zu denken schien, dass er in allem mehr Überblick hatte, als Leute, die wesentlich mehr Erfahrung in solchen Dingen hatten, aber da seine Gedanken tatsächlich gerade für einen eventuell zu ausgiebigen Moment in Richtung Rikas geschweift waren, spitzte er nun seine Ohren, um dieser Analyse nachzugehen. Shane konnte ein entferntes, schweres Geräusch herannahen hören und das gefiel ihm gar nicht. Er kannte dieses entfernte Grollen.

»Versteckt euch und haltet auf jeden Fall die Schnauze!« gab er den Befehl an seine Leute, worauf sich sofort alles in eine achtsame Duckstellung begab. Tatsächlich schwoll das Grollen zu einer Kaskade aus Marschschritten an, gekoppelt an das Donnern eines gepanzerten Kettenfahrzeuges, welches den staubigen Boden der Kleinstadt mit jedem Millimeter zu hartem Diamant presste.

Die große Toa machte keine Spielchen mehr mit. Was da nahte war ein ganzes Spezialkommando der LAL, ein Sammelsurium der tödlichsten Kampfkollektive, die der Plurale Rat nur entsenden konnte. Eigentlich stand LAL für Landesabwehrlegion, aber wer die guten Späße unter Wehrkräften kannte, der wusste, dass die Typen sich nur als die »Lock and Load«-Kompanie verstanden. Die waren nicht hier, um irgendwelche Verhandlungen mit irgendwem zu führen. Shane schätzte, dass sie noch circa fünf Minuten hatten, bevor hier kein einziger Al‑Saarikh mehr am Leben sein würde.

Kung Cha hatte sich mittlerweile mit einem gekonnten Schwung in Miriams Gefangenschaftsraum bugsiert. »Ssssschhh«, signalisierte er einer Miriam, die gar nicht vorgehabt hatte irgendwelche unnötigen Laute von sich zu geben. Wer war nur dieser seltsame Typ auf den sie da dauernd während dieser schrecklichen Phase ihres Lebens stieß? War das so eine Art von kosmischer Witz? Eine Art Punchline Gottes, der mit aller Gewalt versuchte ihren Verstand in die totale Absurdität zu stoßen?

Der schwarze Ninja durchschnitt Miriams Fesseln mit einem Wurfstern, wobei er ihr einen leichten Kratzer am Handgelenk verpasste. Miriam war sehr froh über den Schmerz, den ihr diese neue Wunde bereitete. Als sie über den Fenstersims auf das verwinkelte Vordach stiegen, sah sie zum ersten Mal den Horizont. Metaphorisch, natürlich. Sie sah den Horizont, und in ihrem Geist manifestierte sich das fließende, prächtige Ölgemälde eines Adlers, der unter schwersten Verletzungen dennoch emporstieg.

Kung Cha nahm Miriams Hand und bedeutete ihr, dass sie würden springen müssen. Zum Glück gab es direkt unter ihnen einen weiteren, mittigen Vorsprung, der ihnen dazu dienen sollte ihre länglich ausgesteckten, fallenden Körper kurz mit den Händen abfangen zu können, bevor sie auf letzter Etappe ganz loslassen, und auf der sandigen Erde landen würden.

Kung Cha führte Miriam sanft und leise weiter an der Fassade entlang, bis sie plötzlich laute Laufschritte aus allen Richtungen der umliegenden Fenster herannahen hörten. Kung Cha war mehr als nur irritiert. War er etwa zu laut gewesen? Hatte er doch die Mission verbockt? Aber...die Feinde...ihr Übermut...Kung Cha verstand es nicht!

Miriam schaltete schnell und zog diesmal Kung Chas Hand entlang, mit einer Wucht dahinter, die beide Körper rücklings durch eines der Erdgeschossfenster krachen ließ. Zersplitterndes Klirren. Miriam presste ihre blutige, mit Glas gespickte Hand auf Kung Chas Mund. Sie würde hier rauskommen! Egal, wie! Sie würde fliegen!

Die LAL hatte mittlerweile das Gebäude umstellt. Ihre Anführenden hatten sich vor dem Haupteingang aufgebaut. Ein bildlicheres Gegenstück zu Phlatsch konnte es wohl kaum geben. So viele Muskeln auf so kleinem Raum sollten eigentlich für eine einzige, biologische Einheit verboten sein.

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora