14. Moral

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»Oh, keine Angst«, versuchte ihn seine Vermittlungskraft zu beruhigen, »das erfordert eigentlich gar nichts von dir. Sei einfach du. Woran die Fans zu glauben haben, das ist unsere Aufgabe. Ein paar richtig fabrizierte Plakate, ein paar gut getimte Werbespots und ein ausgebuchter Auftritt in den angesagtesten Musiksendungen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schnell die Leute plötzlich an etwas glauben können! Außerdem, vergiss das nicht!«

Sie hatte den unterschriebenen Vertrag aufgerufen, der sich nun über den riesigen Besprechungsraum projizierte, und sich als zweidimensionales Stück Wortbrei um seine eigene Achse drehte; unaufhörlich. Die Vermittlungskraft stand auf und verließ den Saal. LANCE saß noch eine Weile dort und driftete in einen seiner pluralen Zustände hinein.

Estella klebte einen ihrer neuen LANCE-B Sticker in ihr glitzerndes LANCE-Stickeralbum. Die Gerechtigkeitskämpfenden waren von ihrer Erstplatzierung unter ihren Besessenheiten abgelöst worden. Nun war sie unsterblich verliebt in LANCE-B, den Tough Guy der Gruppe. Den LANCE, der für sie die ultimative Maskulinität verkörperte. Er hatte sich mit den anderen LANCEs öffentlich auf der Bühne darum gestritten, warum er keine Totenkopftätowierungen über seiner Brust haben durfte. Er war beschuldigt worden, den Anderen ein Drogenproblem aufgezwungen zu haben, und einmal stand in der »Glitter« sogar, dass er sich eine Schlägerei mit einem Paparazzi geliefert hatte.

»Hach, B! Du bist der einzig wahre LANCE für mich«, schmalzte Estella, als sie dem Sticker einen dicken Kuss aufdrückte. Estellas geteilter Körper war mittlerweile schon zwölf Jahre alt. Für sie war ihre Verliebtheit in LANCE-B die reinste Rebellion.

Thomas und Tsubame konnten nichts von alledem nachvollziehen. Sie waren ihr dauernd auf den Fersen damit, warum sie unbedingt Geld für diesen Quatsch brauchte. Es kam zu einem ausgewachsenen Streit zwischen Estella und ihren Eltern, als sie einmal zwanzig PW, »Plurale Währung«, für Sticker am Bezirkskiosk ausgegeben hatte.

Da sie noch nicht ihr eigenes Taschengeld erhielten waren Star, trotz Spectre, noch nicht wirklich in der Lage den Wert von Geld abzuschätzen. Tsubame hatte Estella unter einem seiner theatralischsten, rhetorischen Auswürfe erklärt wie sinnlos es wäre sich für teures Geld ein billiges Pappheft zu kaufen, nur um kleine Bildchen darin einzukleben. Wenn es denn schon die Sticker sein müssten, dann doch wenigstens nur die dämlichen Sticker!

Estella verstand das, und kaufte sich von dem ganzen Schein, den sie von Tsubame erhalten hatte, Sticker. Dass das Stickeralbum zwei PW fünfzig gekostet hätte, und sie gerade zwanzig für einen gigantischen Haufen Sticker ausgab, verstand weder sie, noch die Anderen in ihrem Innern.

Als Estella zuhause ankam mit einer ganzen Tasche voller wahlloser, nach Glücksprinzip ausgewählter Klebebilder, fuhr Tsubame selbstverständlich völlig aus seiner Haut. Es gab mal wieder Hausarrest und Estella fühlte sich nicht nur ungerecht behandelt, sondern auch zusätzlich unterdrückt.

»Aber warum hast du mich denn nicht gewarnt?« befragte sie Spectre während sie weggesperrt in ihrem Zimmer mit den Gerechtigkeitskämpfenden spielte.

»Ich habe wohl einen Fehler gemacht in der Prioritätenzuordnung des einzelnen Währungswertes. Ich habe aber schon eine neue Berechnungsformel hinzugefügt. Mach dir keine Sorgen, das kommt nicht mehr vor«, waren Spectres Worte.

Estella war immer noch beleidigt. Auch später - viel später - würde sie immer noch das Bestrafungsmaß als ungerecht empfinden, da Spectres Bewertung vom Geldwert nach diesem Ereignis auch wieder zurückgenommen werden musste, als sie herausfanden, dass zwanzig PW eigentlich doch gar nicht so viel Geld gewesen waren.

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz