101. Marsch!

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Shane hatte Chamelle gebeten Jackson unter keinen Umständen aus der Holzbarracke rauszulassen, egal wie sehr der sich auch dagegen wehrte. Die Unbrechbaren waren gerade erst zur Ruhe gekommen und hier draußen herrschte jetzt Krieg.

»Was für ein Blödsinn«, musste Shane sich selbst kurz darauf eingestehen.

Chamelle würde niemals tatenlos rumsitzen können bei diesem Anblick. Shanes mächtige Schultern wippten im Marsch seines Ganges. Er und Oslo waren auf dem Weg zurück zu den 55ern. Die Perspektive, die sich ihnen bot, war einfach grauenhaft.

Immer wieder streiften Familien auf der Flucht an ihnen vorbei und warfen ihre Körper und Geister ins Ungleichgewicht. Kurz darauf stürzten Familienmitglieder in die entgegengesetzte Richtung an ihnen vorbei. Die, die jetzt noch keine Verletzten hatten, flüchteten.

Sie flüchteten entweder an einen Ort, an dem sie sofort als Singlets enttarnt werden würden und ins Gefängnis gesteckt werden würden, oder sie flüchteten in die Armeen der radikalen Splittergruppen hinein. Der Rest von ihnen hatte Verletzte. Oder schlimmeres. Jetzt. Hier. Irgendwo in diesem zersprengten Inferno. Das Wellblech stank fürchterlich beim Schmoren. Plötzlich tauche Benazir aus Dunst und Elend auf.

»Shane! Was ist hier passiert?«

Sie fügte noch einige Satzteile auf Arabisch hinzu, mit denen Shane nicht viel anzufangen wusste. Shane wurde am Tanktopkragen gepackt und verzweifelt gerüttelt. »Hast du Maya gesehen?« Maya war Benazirs einzige und beste Freundin hier in der grauen Hölle. Shane schüttelte schwer mit der Glatze. Benazir schien seine Verletzung bemerkt zu haben und, obwohl sie sonst bei solchen Dingen genauso fürsorglich war wie Chamelle, schien ihr dieser Gedanke sofort wieder zu entgleiten. »Oslo! Maya! Hast du Maya gesehen?«

Oslo legte kurz die Hand auf Benazirs rechte Schulter ab, schob sie aber auch behutsam damit ein wenig aus dem Weg.

»Nein, Benazir. Wir müssen weiter.«

Shane floss in Oslos Bewegung mit ein und Benazirs Körperhaltung verkrampfte sich.

»Sie muss hier irgendwo sein!«

Krach! Ein improvisiertes Holzregal voller Blechtöpfe und Kochutensilien war durch die Mauer eines der umliegenden Steinbehausungen gekracht. Das beige Seidentuch, das zusammengeflickt aus Einzelteilen mal jemandem Sichtschutz geboten hatte, durchtrennte Shanes Blick auf Benazirs angsterfüllten Körper. Shane ging weiter.

Viele der Menschen um ihn herum kannte er. Keiner von ihnen war Bandenmitglied. Deshalb hatten sie sich auf den Weg gemacht. Wenn man hier so lange gelebt und konkurriert hat, dann konnte man auch zu einem gewissen Teil spüren, wie die Anderen jetzt reagieren würden. Ausgesprochen war das hier Bandengebiet. Tödlich, hasserfüllt und umkämpft. Unausgesprochen war das hier Bandengebiet, und der scheiß verfickte Plurale Rat und die scheiß, verfickten, arabischen Emirate, und die beschissene UF, und kein scheiß einzelner, verfickter Soldat hatte hier jemals irgendetwas zu melden gehabt. Diese Welt gehörte ihnen und wenn sie angegriffen worden war, dann waren sie alle gleichzeitig angegriffen worden.

Das größte Problem waren jetzt Phlatsch. Vermutlich das einzige Ding in diesem Schutt, das so nicht fühlen würde. Das so überhaupt nicht fühlen konnte, da war Shane sich absolut sicher. Er packte sich an den Gurt. Je tiefer die beiden Körper vordrangen, umso mehr wurde das wahre Ausmaß des Angriffs deutlich. Körper mit verbrannten Gesichtshälften, Körper, die unter Steinen begraben lagen, Körper, die wütend und verzweifelt schrien; irritiert von dem schnellen Einbruch des Desasters. Völlig hilflos. So viele Bandagen, Kompressen und Anästhetika hatte Chamelles ganzes Krankenhaus vermutlich nicht auf Lager.

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Where stories live. Discover now