61. Ankunft

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»Willst du auch mal?«

»Auch mal was?«

»An den Knüppel!«

Sie wusste nicht so recht, wie sie nun darauf antworten sollte, ohne den dicken Mann zu verärgern, der vor ihr im Cockpit saß und sich ihnen als der Blaue Baron vorgestellt hatte, sich nun aber in einer viel höheren, kindlicheren Stimme mit ihr unterhielt.

»Ach, nein. Das ist schon in Ordnung! Ich weiß nicht, wie man fliegt!« rief sie ihm über das ohrenbetäubende Rattern des Propellers hinweg zu, während sie versuchte, so gut es ging, ihre Nervosität zu unterdrücken.

»Ich auch nicht!« grinste der Dicke und äffte daraufhin blubbernd die Motorengeräusche nach. So waren sie also - die Pluralen. Ein Gefühl von Sicherheit gab ihr dieser Pilot ja nicht gerade. In ihrer Welt würde dieser Typ sofort in die Klapse eingewiesen werden und niemand würde freiwillig mit ihm fliegen wollen.

»Sei unbesorgt«, fuhr der Dicke, jetzt wieder in der Stimmlage mit dem dramatischen Unterton eines alten Kriegshelden, fort. Er hatte eine Vintage-Fliegerbrille auf seiner Stirn festgezurrt, die sein inneres Kind immer wieder nach oben schob, die der Baron jedoch eigentlich trug, um besser sehen zu können.

»Ich lass den Kleinen nur manchmal so tun als ob. Das macht ihm echt Spaß!«

»Gut! Das ist wirklich sehr nett von Ihnen!« versuchte sie immer noch ihre Angst zu überspielen.

Auf was hatte sie sich da nur eingelassen? Ihr digitales Tonbandgerät, das sie mehrere hundert Euro gekostet hatte, bei dem sie selbst zwar keinerlei Unterschied in der Audioqualität, verglichen mit ihrem Smartphone, ausmachen konnte, bei dem ihr allerdings sämtliche Experten versichert hatten, dass das zur nötigen Grundausrüstung einer Journalistin dazugehörte, lief zwar die ganze Zeit schon mit, die Absurdität dieser Lage würde es jedoch nur bedingt wiedergeben können.

Sie saß auf einer schmalen Rückbank. Parallel gegenüber von ihr waren noch zwei andere Journalisten geparkt worden, sowie einen, den sie direkt neben ihr platziert hatten. Sie waren alle von Ratskanzlerin Derhilff zu einem Pressetermin in ihr Land eingeladen worden. Hatte sie diesen Piloten und dieses klapprige, alte Flugzeug absichtlich gewählt um ihnen irgendeine erste Botschaft zu senden?

Gestartet waren sie von einer staubigen Landebahn, weit draußen im Nirgendwo von Saudi-Arabien aus. Das Ganze war nur halb legal. Es gab zwar eine Flugerlaubnis, aber keine für eine Maschine, die Journalisten nach Pluralistan flog, die alle aus, mit Saudi-Arabien im Krieg befindlichen Nationen stammten. Eigentlich waren sie für das arabische Königshaus bloß eine Ladung Bananen.

Wenn man sie auf frischer Tat ertappen würde, dann würden sie wahrscheinlich in einem Kerker landen und müssten auf eine möglichst baldige, diplomatische Befreiungsaktion hoffen. Sie war sich aktuell einfach nur noch unsicher, ob das hier wirklich die bessere Alternative war. Sie flog immerhin gerade schnurstracks in ein ganzes Land voller indoktrinierter Geisteskranker, die sich für Achtjährige und Blaue Barone hielten.

Es war nun mal die Geschichte des Jahrhunderts, wenn sie es richtig anstellen würde. Mitglieder der internationalen Presse wurden noch nie zuvor eingeladen. Vereinzelt gab es Berichte von draufgängerischen Underdogs, die sich selbst ins Land geschmuggelt hatten, und deren abstruse Erzählungen auf großes Interesse in ihrer jeweiligen Heimat gestoßen waren.

Sie wusste, dass die Pluralen sich das Gebiet des ehemaligen Jemens und des Omans in einzelne Bezirke eingeteilt hatten, dass die Bevölkerung dort, unter einer unglaublich ausgetüftelten Scharade, im Glauben gelassen wurde, sie würden den Krieg gegen die sogenannten Singlets gewinnen, und dass sie angeblich bereits eine Fläche in der Größenordnung von ganz Euroasien eingenommen hätten.

Plurale Welt (Gesamtausgabe, wattpad-friendly)Where stories live. Discover now