Kapitel 24

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Kapitel 24:
Für den Rest des Weges verweilten wir so und ich wurde Sekunde um Sekunde dankbarer, dass ich mich am vergangenem Tag doch noch von Alexa weg und neben ihn gesetzt hatte. Louis mag auf den ersten Moment merkwürdig wirken, doch sobald er auftaute, war er ein wirklich liebevoller junger Mann, in dem ich jetzt schon einen guten Freund sah. Auch wenn es komisch war, sich einem Menschen so schnell so nah zu fühlen, er war einfach anders; als würde er mich verstehen, ohne wirklich auf dem Stand der Dinge zu sein.

"Da hinten, das weiße Haus", erklärte ich ihm schließlich, als wir meiner Heimat immer näher kamen. Anders als jeder andere Mensch empfand ich jedoch keinen Frieden, wenn ich auf die hohen Wände blickte, in denen ich lebte. Im Gegenteil; es war wie eine Hölle, in die ich freiwillig zurückkehrte. "Wow, da lebst du?" Das Erstaunen schwang hörbar in Louis'Stimme mit und auf irgendeine Weise schmeichelte mir dies. Es bewies zumindest, dass ich nicht wie das Reicheschnöselkind rüberkam, als das Justin mich dargestellt hat. "Glaub mir, ich würde all das eintauschen, wenn ich dafür eine liebevollere Familie hätte", murmelte ich vollkommen ehrlich. Es war das erste Mal, dass ich dies laut zu einer anderen Person aussprach. Niemals hatte ich mich zuvor dazu getraut, niemals! Doch nur zwei tage in einer vollkommen anderen Umgebung, in der ich mich überhaupt nicht dem Teil der Gesellschaft anpasste, zu dem ich gehen sollte, hatten mich bereits geöffnet.

"Hast du eigentlich Geschwister?", fragte Louis, den Blick immer noch auf unser Haus gerichtet. Alleine bei der Erwähnung dessen hatte ich das Gefühl, ich müsse innerlich zerbrechen. Es brannte noch immer so sehr, dass ich den Schmerz kaum aushielt. "Ja, einen Bruder." Und da war sie wieder, die Lüge, unter der sich seit Jahren lebte. "Er ist wundervoll, mein ganzes Leben." Lächelnd wandte ich mich wieder dem Boden zu und versuchte mich schnell an positive Momente mit Adrian zu erinnern, statt an Leo zu denken. Leo und wie gerne ich mich um ihn gekümmert hatte. "Das ist die Hauptsache. Geschwister sind das wichtigste auf der Welt.", stimmte Louis meinen stillen Gedanken zu. Dass wir erst jetzt so etwas von einander erfuhren bewies, wie wenig wir eigentlich voneinander wussten, doch woher auch?

"Wie viele hast du?", fragte ich, dankbar um die Ablenkung. Lachend kam Louis vor unserem Eingangstor zum Stehen und wartete geduldig ab, bis ich es öffnete, ehe er mir schließlich antwortete. "Sechs, beinah alle sind Schwestern." Wie vom Donner gerührt blieb ich mit einem Mal stehen und sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Sechs Geschwister? Das waren mehr Münder zum Füttern, als die meisten Tiere es hatten. "Deine arme Mum!", war alles, was ich herausbrachte. Sofort begann Louis wieder lautstark zu lachen und auf irgendeine Weise war ich stolz, dass er dies in meiner Gegenwart so oft tat, doch andererseits war es auch traurig, dass Lachen für ihn nicht selbstverständlich schien. Genau wie für Justin. "Sie liebt uns und jetzt komm." Auffordernd deutet er auf das Tor und weckte mich somit aus meiner Schockstarre.

Ohne weitere Worte gewährte ich uns beiden Einlass ins Innere unseres Grundstückes und lief vergleichsweise schnell auch zur Haustür hoch. Durch die Fenster an der vorderen Hauswand schienen wenige Lichter, was mir das gewohnte Gefühl von Sicherheit darüber gab, dass Adrian wenigstens heil Daheim war. Ihm ging es gut, das war alles, was zählte.

"Süßer?", rief ich mit dem ersten Schritt ins Haus laut aus, das leicht belustigte Schnauben von Louis nur mit einem knappen Blick quittierend. Sofort ertönten die Laute von kleinen Füßen, die im eiligen Tempo über die Fließen schritten und immer näher kamen. Adrians kleine Gestalt tauchte am Ende der großen Lavendel Treppe auf und blickte neugierig auf uns hinunter. "Wer ist das denn?", fragte er mit einem leicht skeptischen Unterton in der Stimme. Schnell warf ich Louis einen entschuldigenden Blick zu, doch diesen schien das zu meiner großen Überraschung einfach nur zu amüsieren. "Ich bin Louis", erklärte er mit einem freundlichen Lächeln. Adrian erwiderte seinen Blick immer noch mit Skepsis, doch wirkte dabei wenigstens nicht mehr abweisend.

"Weiß Mama dass er hier ist?" Seine Stimme war nun nicht mehr einfach nur skeptisch oder neugierig, sie klang viel mehr besorgt. Er wusste genauso gut wie ich, wie Mum auf Besucher regierte, doch jetzt, wo wir Leo nicht mehr verheimlichen mussten, hatte ich eigentlich Hoffnung, das würde sich bessern. "Noch nicht, aber Louis hier hilft mir bei Schularbeiten, das wird sie verstehen. Und jetzt komm runter und sag anständig Hallo!" Den letzten Teil fügte ich ein wenig strenger hinzu, was Adrian unauffällig verdeutlichen sollte, dass er das Thema Mum und ihre Erziehungsmethoden nicht weiter ausbauen sollte.

Der kleine Junge schien sofort verstanden zu haben und sprang in nur drei Sätzen die gesamte Treppe hinab. Für einen Moment zuckte Louis leicht nach vorne, als wolle er Acht geben, dass Adrian nicht hinflog und sich verletzte, entspannte sich aber sofort wieder, als der kleine Junge sicher auf beiden Beinen zum Stehen kam. "Hallo!", grinste er mit einem so breiten Lächeln, dass er Louis alle seine kleinen Zahnlücken präsentierte, die er noch immer im Mund vorzuweisen hatte. Ich konnte zum ersten Mal so etwas wie Glück in Louis Augen sehen, als er ein wenig belustigt über die Geste, Adrians ausgestreckte Hand entgegen nahm und sie sanft schüttelte. "Du bist dann wohl Adrian.", stellte Louis immer noch lächelnd fest, die kleine Hand des Jungen langsam loslassend. Ehrlich gesagt konnte ich mich gar nicht daran erinnern, ihm den Namen meines Bruders genannt zu haben, doch vielleicht hatte er auch einfach nur das Schild rechts neben der Klingel gesehen, auf dem all unsere Namen samt Nachnamen abgebildet waren. Alle, bis auf Leo's.

Statt einer Antwort begann Adrian Louis von Oben bis Unten zu mustern, als wolle er den Älteren auf die Probe stellen. Immer wieder glitt sein Blick über seinen dicken Pullover, den er wie immer bis über die Handgelenke nach unten gezogen hatte. So riesig, wie der Stoff an ihm saß, könnte man beinah behaupten, es sei nicht mal seiner. "Komm, lass uns gehen.", murmelte ich schnell, ehe Adrian noch etwas darüber hätte sagen können, dass unsere Mum seinen Kleidungsstil nicht gutheißen würde. Mit einer Hand griff ich nach meiner Tasche, die ich zum Ausziehen meiner Schuhe auf den Boden gelegt hatte, und sah dabei zu, wie auch Louis sich die Schuhe auszog und sorgfältig in die Reihe stellte. Erstaunlicher Weise hatte er wohl auf den ersten  Blick erkannt, wie viel Wert meine Mum auf Ordentlichkeit legte.

Da ich ganz genau wusste, dass meine Mum ausrasten würde, wenn ich mit einem Jungen in mein Zimmer ging, wählte ich unauffällig und doch voller Absicht den Weg in die Küche, den Adrian uns wie selbstverständlich folgte. "Willst du was essen?", fragte ich etwas beiläufig. Im ersten Moment schien Louis sich gar nichts angesprochen zu fühlen, doch dann schüttelte er doch noch seinen Kopf. "Ich aber!", erklang Adrians aufgeregte Stimme hinter uns. Augenverdrehend wandte ich mich wieder nach Vorne und öffnete uns allen die Tür in die viel zu weiß eingerichtete Küche. "Bist du dir sicher? Wir könnten uns noch was kochen.", schlug ich vor. Etwas ungewöhnlich fand ich es schon, dass er nach einem langen Schultag nichts zu Mittag haben wollte, doch vielleicht hatte er auch nur Angst, Umstände zu machen. "Ähm...nein, danke. Ich bin versorgt.", wiederholte er sich, dieses mal mit einem ganz anderen Ton in der Stimme, den ich nicht definieren konnte.

Ich dagegen hatte wirklich ziemlichen Hunger, doch wenn ich mich an mein Spiegelbild heute Morgen vor Sport erinnerte, würde es wohl nicht schaden, wenn ich das Mittagessen mal ausließ.

Changes~Open Up Our Hearts (Justin Bieber ff) (Abgeschlossen)Where stories live. Discover now