Kapitel 10

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Kapitel 10:
Auch wenn ich die Stärkere von uns beiden hätte sein müssen, konnte ich mich nach dem Gespräch mit Adrian nicht ein einziges Mal wieder von dem Herd wegdrehen. Während er in meinem Rücken seine Hausaufgaben vollendete, stocherte ich in den Pfannen rum und versuchte mich auf das zu konzentrieren, was ich dort machte, doch es wollte mir einfach nicht gelingen. All diese Dinge noch mal auszusprechen und über ihn zu reden, hatte mich fertig gemacht. Es tat so unendlich weh, mir auch von einer anderen Person außer mir selbst anhören zu müssen, was wir falsch gemacht hatten und zu wie vielen Dingen wir die Chance längst verpassten.

Ein paar Stunden später, als die Lasagne bereits ihre Zeit im Ofen abgesessen hatte und ich währenddessen stillschweigend am Tisch Platz genommen hatte, ohne irgendwas zu machen, hatte ich schließlich den Tisch gedeckt, Adrian versprochen, ihm sobald Mum im Bett war bei Mathe zu helfen, und meinen Vater begrüßt, der schlecht gelaunt wie immer polternd durch die Tür trat und sich sofort von meiner Mum bedienen ließ. Jede andere Frau würde sich diskriminiert fühlen, wenn sie in ihrer Ehe so behandelt werden würde wie meine Mum; vielleicht sogar verletzt, doch meine Mum bestand regelrecht darauf. Es hatte lange gedauert, bis ich eingesehen hatte, dass meine Eltern sich nicht liebten, vermutlich auch niemals geliebt haben, doch inzwischen hatte ich sie soweit durchblickt, dass ich verstanden hatte, wieso sie dennoch geheiratet haben.

"Kriege ich noch ein Bier dazu?", brummte mein Vater mit hochgezogenen Augenbrauen, als wir schließlich alle am Tisch Platz genommen hatten und das Essen vor uns ausgebreitet lag. Schnell erhob ich mich wieder und schnappte mir eine der Flaschen, die neben dem Tresen untergebracht waren. Seit Jahren hatte ich nicht vergessen, meinem Vater sein Trinken mit auf den Tisch zu stellen. Zwar waren meine Eltern lockerer, wenn wir unter uns waren und machten sich nicht so viele Gedanken darüber, was die Nachbarn denken könnten, doch wir mussten uns dennoch perfekt verhalten. Einzig und alleine, damit wir nicht in Gefahr liefen, uns außerhalb des Hauses ausversehen anders zu benehmen, als gewollt. Wir mussten funktionieren wie Maschinen. Maschinen, die niemals abgestellt wurden.

Mit einem entschuldigendem Lächeln stellte ich die Falsche mitsamt eines passendem Glases vor meinen Vater auf den Tisch, ehe ich mich selbst wieder hinsetzte. "Du wirkst momentan unkonzentriert Allison...", stellte mein Vater mit angestrengtem Blick fest. Ich hasste es, wenn er meinen vollständigen Namen verwendete. Normal taten meine Eltern dies nicht, doch wenn sie ernster wirken wollten, gab es so etwas wie Kosenamen nicht in ihrer Welt. "Verzeihung", erwiderte ich mit gesenktem Kopf. Ich hatte mich noch nie getraut, meinem Vater zu widersprechen. Meine Mutter war ätzend, ja, doch mein Vater war regelrecht furchterregend; auch wenn er mir noch nie körperlich etwas angetan hatte. Ich bezweifelte auch, dass er dies tun würde. Doch der Entzug von jeglicher Zuneigung und Worte schärfer als Messerstiche konnten schlimmer sein, als jeder Schlag ins Gesicht.

"Weißt du, in den Ferien ist dies wohl mal erlaubt, doch heute hat die Schule wieder angefangen. Ich erwarte, dass du dich auch dementsprechend benimmst, junge Frau!" Schnell, um ihn nicht noch mehr zu verärgern, nickte ich und nahm dann schnell einen Schluck von meinem Wasser, um beschäftigt zu wirken. Dabei fiel mein Blick auf Adrian, der eine lange Grimasse zog und mit seinem Arm so neben sich herumfuchtelte, wie Soldaten es taten. Sofort musste ich mir ein Lachen verkneifen und hoffte inständig, dass meine Mutter dies nicht gesehen hatte.

Manchmal wusste ich wirklich nicht, was ich ohne den kleinen Schwarzhaarigen machen würde. Es war schwer, in diesem Haushalt zu leben, doch wir beide fanden immer einen Weg uns gegenseitig aufzumuntern. Das alleine zeigte, wie sehr der Erziehungsversuch unserer Eltern schief gelaufen war.

"Wie war die Arbeit, Jörg?", unterbrach meine Mutter schließlich die Stille, als wir alle bereits Essen auf den Tellern hatten und viel zu vornehm davon nahmen. "Anstrengend wie immer!" Mein Vater leitete eine Autowerkstatt, die zeitgleich als Verkaufsstelle fungierte. In den meisten Fällen kümmerten sie sich nur um die teuren Fahrzeuge, die meine Eltern auch selber fuhren. Je vernarrter der Kunde in sein Auto war, desto williger war er, viel Geld in die Reparaturen oder auch den Kauf selbst zu stecken. Dies machte mein Vater sich zu nutzen und es funktionierte; inzwischen saßen wir auf einem Haufen von Geld, doch ich würde jeden einzelnen Cent gegen eine normale Familie eintauschen, die liebevoll miteinander umging.

"Ich finde immer noch keinen Weg meinen neusten Mitarbeiter zu kündigen, ohne mich wegen Diskriminierung strafbar zu machen. Das belastet mich wohl immer noch am meisten! Gesetze, die solche Menschen auch noch schützen, sollte es wirklich nicht geben...", fuhr mein Vater nach einer vergleichsweise langen Pause fort. Anhand seines Blickes konnte ich erkennen, dass er die ganze Zeit über tief in Gedanken versunken gewesen war. "Wieso? Ist er schwarz?" Bei den Worten meines kleinen Bruders rutschte mir beinah die Gabel aus der Hand, doch ich konnte mich gerade noch so zusammenreißen, mir nichts anmerken zu lassen. Wenn es eins gab, dass meine Mutter schlimmer finden würde, als dieser Kommentar, dann, wenn ich mich selbst nicht unter Kontrolle hielt.

"Nein, und es heißt nicht Schwarz, Adrian!", ermahnte Jörg seinen Sohn sofort mit strengem Blick. "Er hat ein gewisses äußerliches Auftreten, welches ich nicht gut heiße. Es zeugt von keiner sonderlichen Intelligenz, sich Tätowierungen auf die Haut zeichnen zu lassen, die dein ganzes Leben lang zu sehen sein werden. Außerdem tun dies nur Kriminelle. Ich möchte nicht, dass so jemand in meiner Firma zu sehen ist, das verjagt mir die Kunden!" Angestrengt rümpfte er seine breiten Nasenflügel und schüttelte immer wieder den Kopf hin und her, als könnte er somit das Bild, das sich zweifellos vor seinem Inneren Auge abspiegelte, wieder vertreiben.

"Macht er denn seine Arbeit gut?", mischte ich mich etwas schärfer als zunächst beabsichtigt in das Gespräch ein. Sofort lagen alle drei Augenpaar erstaunt auf mir, wobei ich mir sicher war, das Adrians Verwunderung einen ganz anderen Ursprung hatte, als die meiner Eltern. "Ich meine, das sollte doch das wichtigste sein, oder? Dass er seine Aufgabe möglichst gut erfüllt..." Ich wusste gar nicht wieso, doch irgendwie hatte ich das Bedürfnis, diesen Fremden vor meinen Eltern zu verteidigen. Sie waren oftmals viel zu arrogant gegenüber ihren Mitmenschen. "Zugegeben, er ist wohl mit Abstand mein bester Angestellter. Repariert Dinge, die andere bereits aufgeben würden, hat erstaunlich viel Ahnung von dem, was er tut, und überzeugt mehr unschlüssige Kunden zum Kauf, als jeder anderer, doch das ändert nichts daran, dass ich ihn loswerden muss, ehe er mich noch beklaut oder Kunden abspringen, weil sie meinen Laden für unseriös halten!" Aufgebracht schlug er mit seiner Hand auf den Tisch, wodurch die Gläser vor uns leicht ins Wanken gerieten. Doch ich ließ mich schon lange nicht mehr von so was einschüchtern. "Bisher ist dein Umsatz doch durch ihn hochgegangen, oder nicht? Lass ihn doch einfach sein Leben leben..."

Ich brauchte den Satz nicht mal zu Ende sprechen, um zu bemerken, dass ich eine Grenze überschritten hatte, in dem ich die Ansichten meines Vaters in Frage stellte. Zum ersten Mal schien auch meine Mutter Angst zu haben, das ganze könnte aus dem Ruder laufen, und warf mir flüchtig einen warnenden Blick zu, ehe sie nach der Hand ihren Mannes griff und ihn mit Worten, die ich nicht recht verstand, zu beruhigen versuchte. Auch Adrian warf mir einen nun gar nicht mehr belustigten Augenschlag zu und dies war es auch, was mich schlussendlich aufspringen ließ. Meinetwegen war es mir egal, wenn mein Vater mich anzugreifen zu versuchte, doch vor meinem kleinen Bruder, duldete ich dies nicht. Nicht heute und auch nicht, wenn wir beide längst erwachsen waren.

Wenigstens einen meiner Brüder, wollte ich noch bei mir halten dürfen.

Changes~Open Up Our Hearts (Justin Bieber ff) (Abgeschlossen)Where stories live. Discover now