Kapitel 7

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Kapitel 7:
"Fangen wir hier vorne an!", grinste Mr Rose breit in die Runde. Man sah ihm regelrecht an, wie begeistert er von seiner eigenen Idee schien. Als würde man ihm eine Auszeichnung für hervorhebendes Engagement verleihen, breitete er seine kurzen Ärmchen aus und nickte einem Blondschopf in der vordersten Ecke entschieden zu. "I-Ich?", fragte der Junge entsetzt. Ihm schien der Gedanke genauso wenig zu gefallen, wie mir selbst. Mit leicht rötlichen Wangen ließ er seinen Blick durch die Klasse schweifen, wobei er niemanden so recht anzusehen schien, und blickte dann auf das Blatt auf seinem Tisch hinunter. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch auf dem meinen Eins lag und wohl auch schon die ganze Zeit dort gelegen haben musste. Die Noten sowie der Text von 'How to save a life' zeichneten sich auf dem ansonsten blanken Papier ab und ließ meinen Atem stocken.

Ich wusste nicht, ob ich mich glücklich schätzen sollte, das Lied wenigstens zu kennen, oder in Panik verfallen sollte, da es nicht mal annähernd meiner Stimmlage schmeichelte; soweit dies überhaupt möglich gewesen wäre.

"Na kommen sie, Mr. Horan!", brummte unser Lehrer inzwischen einwenig entnervt auf. Mein Blick legte sich sofort wieder auf den Mann in der erste Reihe, dessen Kehlkopf sich sichtlich bewegte. "I-Ich weiß nicht, Sir..." Verlegen kratzte er sich mit einer Hand im Nacken, während die andere weiterhin das Blatt so fest umklammert hielt, dass seine Knöchel weiß hervortraten. "Vielleicht kann ich ja anfangen?", schlug sein Sitznachbar breitgrinsend vor. Bisher hatte ich ihm nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch nun, wo mein Blick zum ersten Mal auf ihn fiel, sah ich zum ersten Mal einen Jungen, der weder zu den Nerds noch zu Justin zu gehören schien. Er wirkte normal, als wäre er einfach nur hier, da er es sein musste; nicht um zu den besten zu gehören oder zu rebellieren.

"Ersparen sie uns dies, Mr. Devine!" Abwertend hob der ausgesprochen kleine Mann seine Hände und hielt sie sich schützend vor die Brust, als wolle er jegliches Unheil von sich Fernhalten, dass sein Gegenüber ihm verschaffen könnte. "Kommen Sie, Sie sagten, wir müssten alle ran!", erinnerte die Brünette ihn zwinkert. Ohne auf weiteren Protest zu warten, erhob er sich von seinem Platz und schnappte sich zeitgleich das Blatt, dass der Blonde immer noch vor sich hielt. Mit einem weiteren, knappen Grinsen in die Runde, räusperte er sich schnell und begann dann zu singen, als würde er es tatsächlich ernst meinen.

Die ersten Zeilen von The Fray verließen im brechendem Tonfall seine Lippen und ließen uns alle das Gesicht verziehen; teils vor Lachen und teils vor Ungläubigkeit. Tatsächlich hatte ich noch nie in meinem Leben jemanden dermaßen schlecht singen hören, auch wenn ich viel zu höflich war, dies zuzugeben.

"Das genügt, Mr. Devine!", unterbrach Mr Rose ihn nach nur wenigen Sekunden. "Sie hätten mich wenigstens das Playback anmachen lassen sollen..." Mit einer winzigen, eher halb ernst gemeinten Verbeugung, setzte der Junge sich wieder hin und grinste seinem Freund aufmunternd zu, dem jegliche Nervosität gewichen zu sein schien. Auch mir ging es nicht anders. Mir stand nicht mehr der Panikschweiß auf die Stirn geschrieben, wie einige Sekunden zuvor, denn egal wie schlecht ich sang, es würde dieser Blamage nicht im entferntesten das Wasser reichen können.

Natürlich wäre dies für meine Mum keine Entschuldigung; laut ihr sollte ich mich nicht an anderen messen, sondern nur meine Leistung im Rampenlicht wiegen, doch sie war nicht hier und konnte mir ausnahmsweise mal nicht vorschreiben, was ich zu denken hatte.

Offensichtlich von neuer Mut gepackt erhob der Blonde sich ebenfalls von seinem Platz und wartete geduldig ab, bis Mr Rose das Playback startete, ehe er mit fester Stimme zu singen begann.
Ich denke, ich war nicht die einzige, die Verwundert über das war, was sie da hörte. Anders, als man bei seiner Angst hätte erwarten können, klang seine Stimme ausgesprochen gut und dass ein kleiner Akzent seine Stimme mit jedem Wort verfolgte, verschaffte der Sache noch einen gewissen Scham, welcher sich bemerkbar machte. Auf irgendeine Weise schaffte er es, mich mit seiner Stimme aufzuheitern, obwohl der Text so traurig war.

"Ausgezeichnet Niall!", grinste Mr Rose überglücklich auf, der mit einem Mal zu vergessen schien, dass er uns eigentlich siezen sollte. Er sah mindestens genauso überrascht aus, wie ich mich fühlte, doch in seinen Augen glänzte hierzu noch ein gewisser Stolz. "Genau deswegen zwinge ich euch!", verkündete er triumphierend. "Niemals hättest du dich freiwillig gemeldet, um dem Chor beizutreten, doch in deiner Stimme versteckt sich ein Engel, der bereit ist seine Flügel zu entfalten und ich werde ihm eine Chance hierzu verschaffen!"

Ein verächtliches Schnauben drang in meine Ohren, kaum dass Mr Roses Stimme verklungen war. Es war dermaßen Laut gewesen, dass nicht nur ich, sondern auch alle anderen im Raum, einschließlich eines leicht verunsicherten Nialls, sich umdrehten und mit fragender Miene Zayn anstarrten, der immer noch ungläubig seinen Kopf schüttelte. "Gibt es ein Problem, Mr. Malik?" herausfordernt stemmte der winzige Mann seine Hände in die Hüften, was ihn nur noch mickriger Wirken ließ als ohnehin schon. Den selben Gedanken schien auch Zayn zu haben, denn er musterte den mann vor sich nur noch amüsierter, ehe er mit einem kleinen Grinsen sanft den Kopf schüttelte. "Nein, alles gut.", log er, was für jeden im Raum mehr als offensichtlich schien. Beinah bildete ich mir ein zu hören, wie er seinem braunhaarigen Sitznachbarn etwas zu murmelte, was verdächtig nach 'vielleicht entfaltet sein Engel sich auch mal und schenkt ihm ein paar Zentimeter' klang, doch keiner der beiden verzog eine Miene, sodass ich mir nicht sicher war, ob überhaupt etwas gesagt worden war.

Die nächsten Minuten über konzentrierte ich mich in erster Linie auf den Text vor mir. Zwar hörte ich im Hintergrund so viele wirklich grausame Stimmen, dass ich mir nicht mehr so viel Stress über den Klang der meinen machte, doch ich wollte mich dennoch nicht versprechen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Nur wage nahm ich wahr, wie meine Klassenkameraden nach und nach ihr bestes gaben und ein Mädchen namens Elisabeth, das sichtlich zu überzeugt von sich selbst war, sang, als würde sie ihr Geld damit verdienen, doch das erste Mal, dass ich mich wirklich wieder mit voller Aufmerksamkeit aufrichtete, war, als Mr Rose Zayn aufforderte, sich zu erheben. Ich vermochte nicht ganz zu sagen, wieso, doch irgendwie war ich davon ausgegangen, dass Zayn sich weigern würde und nichts und niemand- einschließlich Jess'- ihn würde zwingen können, doch entgegen dieser Annahme, erhob er sich wortlos, ehe er sich lässig wie eh und je durch die Haare fuhr und zu singen begann, als sei es für ihn das normalste der Welt.

Wenn ich bei Niall überrascht gewesen war, was für ein Talent sich in ihm verbarg, wusste ich bei Zayn gar keine Worte mehr zu finden. Niemals hätte ich gedacht, dass jemand wie er, solch eine sanfte und gefühlvolle Stimme in sich verstecken würde. Doch ob ich es mir nun eingestehen wollte oder nicht, klang das, was ich in diesem Moment zu hören bekam, schöner als jedes Lied, dem ich jemals gelauscht hatte, und gefühlvoller als alles, was ich mir erträumen könnte.

"Wow!", stieß ich vollkommen ungewollt hervor. Grinsend drehte Jess sich zu mir um und lächelte mir wissend zu, als sie meinen erstaunten Blick sah. "Seine Stimme war das erste, was ich an ihm geliebt habe. Ich weiß, was du von ihm denken musst und ich werde ihn nicht verteidigen; er kann ein totales Arschloch sein, doch er kann auch anders. Ob du es glaubst oder nicht, er ist der großherzigste Mensch, dem ich jemals begegnet bin; sobald er seine Fassade mal fallen lässt zumindest." Ich wusste nicht so recht, was ich darauf erwidern sollte. Auch wenn dies eine ganz neue Seite an Zayn war, in der ich tatsächlich so was wie Gefühle in seinen Augen erkennen konnte, die ihn nicht länger so kalt wirken ließen, konnte ich nicht glauben, dass das Wort großherzig zu ihm passte. Zu meinem Glück schien Jess jedoch gar keine Antwort zu erwarten, sondern drehte sich einfach nur wieder in die Richtung ihres Freundes um, um ihn anzustarren, als wäre er das schönste, was sie jemals zu Gesicht bekommen hatte.

Und wieder stellte sich mir diese Frage, wie ausgerechnet sie sich in jemanden wie Zayn verlieben hatte können. Es gab zwar dieses Sprichwort, das Gegensätze sich anziehen würden, doch so groß konnten die Interessenkonflikte doch nun auch nicht sein, oder? Wie Naiv musste sie sich tatsächlich stellen, um ihm glauben zu können, er würde sie nicht nur ausnutzen? Dass er die selben Vorstellungen hatte wie sie und sich eine Zukunft gemeinsam vor ihnen aufbaute.

Ich für meinen Teil würde niemals so dumm sein, das schwor ich mir in diesem Moment zum ersten Mal aus freier Hand. Eine Hand, die nicht durch die Griffe meiner Mutter gelenkt wurden.

Changes~Open Up Our Hearts (Justin Bieber ff) (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt