Kapitel 1

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Kapitel 1:
So präzise, wie die jahrelange Übung es mir beigebracht hatte, zog ich die letzte Locke in meinen Haaren zurecht, ehe ich sie zu den Anderen über meine Schulter fallen ließ. In meinem Hinterkopf schwebte immer wieder der Gedanke daran, was meine Mutter zu meinem gewählten Look sagen würde und auch wenn ich selbst mir wünschte, ich könnte es einfach abstellen, war ich inzwischen so trainiert auf sie zu hören, dass es schlichtweg  unmöglich schien.

Heute würde sie wohl noch strenger sein, als ohnehin schon. Denn heute war nicht irgendein Tag. Es war der erste Tag nach den Sommerferien und somit der erste Tag auf der neuen Schule. Ich persönlich hätte meine alte Schule niemals verlassen. Vielleicht mag mich keiner meiner Freunde wirklich gekannt haben, doch es waren immerhin meine Freunde. Doch nach meiner Meinung fragte meine Mutter nicht. Sobald das erste Gerücht in ihre Ohren drang, es seien Drogen auf dem Schulgelände verkauft worden, hatte sie mich abgemeldet und in die Schule mit dem höchsten Ruf der ganzen Stadt geschickt. Nicht etwa, da sie sich Sorgen um mich machte und Angst bekam, ich könnte in die falschen Kreise geraten; nein, das hatte meine Mutter noch nie sonderlich interessiert. Viel mehr hatte sie Angst, man könnte uns mit einem solchen Umfeld in Verbindung bringen. Ich würde niemals vergessen, wie sie mir an meinem sechzehnten Geburtstag eine Predigt gehalten hatte, da ich mit Freunden reinfeierte. In der Öffentlichkeit und noch dazu vor Menschen, die unsere Familie kannten und womöglich Kunden meines Vaters waren, hatte ich Alkohol getrunken. Ebenfalls etwas, das nicht in das perfekte Bild meiner Mutter passte. Zur Strafe war dieser Geburtstag von mir ausgefallen.

"Ally, na komm schon!" Augenverdrehend schnappte ich mir meine Tasche, die bereits vor mir auf dem Badezimmerboden lag, und widerstand dem Drang noch einmal prüfend in den Spiegel zu sehen, ehe ich unter den strafendem Blick meiner Mutter trat. Eine der nervigsten Eigenschaften meiner Mum war es, stets und überall pünktlich zu sein. Ich musste nicht mal mehr genauer auf die Uhr schauen, um zu wissen, dass ich viel früher in der Schule sein würde, als ansatzweise nötig war.

"Bin ja da", brummte ich missmutig auf, während ich mich aus reiner Routine vor meiner Mutter aufstellte und die Arme breitmachte, damit sie mich begutachten konnte. Ich hatte mich heute für eine schlichte Jeans entschieden, die vorne einige Farbverläufe zwischen Hell und Dunkel aufwies. Dadrüber trug ich eine schneeweiße Bluse, damit meine Mutter mich nicht für fehlende Eleganz zurechtweisen konnte. "Leger", sagte meine Mutter schlicht, ehe sie mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass ich so gehen durfte.

Den Weg hin bis zur Schule verbrachten wir weitgehend still. Nur unser Atem ertönte hin und wieder um die Stille zu durchkreuzen, doch selbst diesen hielt ich so knapp wie möglich. Erst als wir gute zwanzig Minuten später vor einem riesigem Gebäude hielten, indem ich wohl die nächste Zeit lernen würde, ergriff meine Mutter wieder das Wort. "Hast du deine Schulaufgaben des letzten Jahren wiederholt?" Streng warf sie mir von der Seite aus einen giftigen Blick zu, doch ich drehte mich nicht in ihre Richtung um. "Ja Mum..." "Und auch schriftlich Zusammenfassungen über die Themen für deine neuen Lehrer verfasst?" Augenverdrehend gab ich ihr ein knappes Nicken, verschwieg jedoch, dass ich diese niemals abgeben würde. Wer tat so was schon? Meine Lehrer würden früh genug bemerken, was für ein Musterschüler ich war, da musste ich mich nicht auch noch bei ihnen einschleimen.

"Du könntest ruhig einwenig respektvoller zu mir sein, junges Fräulein. Nach allem, was ich für dich und deine Geschwister getan habe, was ich für euch aufgebaut habe!" Erneut kochte die Wut in mir über, doch wieder unterdrückte ich sie einfach nur mit tiefen Atemzügen und einem gehorsamen Nicken. Wie konnte sie es wagen? Zu behaupten, sie habe auch nur irgendwas für uns auf die Beine gestellt. Sie zwang uns zu verleugnen, wer wir waren. Versteckte uns hinter dem Geld, das mein Vater verdiente und nahm meinem Bruder seine gesamte Freiheit. Ich hatte mein ganzes Leben damit verbracht, ihn zu pflegen und zu unterhalten. Ihm Gesellschaft zu leisten und die Liebe zu geben, die seine eigene Mutter nicht für ihn empfand. Und das nur, weil er anders war; nicht so, wie ihr Bild einer perfekten Familie es darstellte.

Changes~Open Up Our Hearts (Justin Bieber ff) (Abgeschlossen)Where stories live. Discover now