Prolog

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PROLOG:
Die Verzweiflung, die mich in diesem Moment durchdrang, war nicht mit Worten aufzuwiegen. Monate lang hatte ich mich vor dieser Situation gefürchtet, stets gewusst, dass sie eines Tages eintreffen würde, und mir doch niemals erträumen können, wie bald dies passieren würde. Er war nicht nur mein Bruder gewesen, er war mein bester Freund. Der einzig richtige Freund, den ich in diesem Alltag zu haben schien.

Verzweifelt ließ ich mich vor das Grab unter mir gleiten, unterdrückte den Drang, immer wieder mit der Faust gegen den Boden zu schlagen und hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, die so dringend meiner Kehle entfliehen wollten. Doch es war mir nicht gestattet zu weinen. Mein Bild, das ich der Öffentlichkeit bot, musste stets perfekt und ausgeglichen sein. Niemand durfte mir Schwäche oder Trauer ansehen. Niemand durfte erfahren, wie es hinter den Mauern meines Hauses wirklich aussah, und um dies zu verhindern, tat meine Mutter wirklich alles.

Vielleicht war das auch der Grund, wieso ich mich so einsam fühlte. Wieso ich das Gefühl hatte, keiner würde mich kennen, obwohl ich theoretisch so viele gute Freunde an meiner Seite hatte. Doch sie alle kannten mich nicht so, wie ich wirklich war. Jeder hielt uns für die perfekte Familie, glaubten zu wissen, dass man uns beneiden konnte und beteten mich an, weil ich ihnen ja ach so überlegen schien.

All dies hatte ich meiner Mutter zu verdanken. Sie war so besessen darauf, ein so gutes Bild vor der Nachbarschaft zu pflegen, dass sie bereit war, ihren eigenen Sohn zu verleugnen. Und so versteckten wir ihn, all die Jahre, hinter den hohen Mauern um unser Gelände ohne jemandem auch nur wissen zu lassen, dass er überhaupt existierte.

Und ich sah einfach dabei zu.

Zehn ganze Jahre spielte ich dieses Spielt mit, setzte eine Maske auf, kaum dass ich das Haus verließ und ließ sie wieder fallen, um für meinen Bruder da zu sein, wenn ich Heim kam.

Wie oft hatte er mich angefleht, mir zu erzählen, wie es in der Schule war. Wie mein Leben ablief und was er sonst alles verpasste. Heute noch kommen mir die Tränen, wenn ich an all die Lügen dachte, die ich ihm auftischte. Doch er kannte kein Leben außerhalb des Hauses; ich hätte ihm alles erzählen und er hätte mir geglaubt. Einzig und alleine, da er mir vertraute.

"Nimm mich mit", hatte er einst gesagt. Ich war gerade auf den Weg zu einem Mittagessen mit Freunden gewesen. Sein flehender Blick hatte regelrecht auf meiner Haut gebrannt, so traurig schaute er drein. Doch ich gab ihm nur dieses Versprechen, das ich ihm immer gab :"Bald mein Schatz. Bald werde ich dich hier rausholen!"

Doch nun war es zu spät, dieses Versprechen einzulösen.
Für ihn war es zu spät.

"Steh auf!", riss die Stimme meiner Mutter mich im zischendem Tonfall aus den Gedanken. Etwas benebelt wandte ich meinen Blick von dem Grabstein vor mir und atmete tief durch, ehe ich mich tatsächlich ohne Widerspruch erhob. Ich brauchte nicht einmal mehr zu meiner Mutter hinüberzusehen, um zu wissen, dass sie mein Outfit mit spitzem Blick begutachtete. Das tat sie immer. Selbst wenn ich nur zum Kiosk an der Ecke ging, um Leo frische Windeln zu kaufen, musste ich perfekt geschminkt und in den hübschesten Kleidern stecken. "Das Kleid hättest du ruhig noch ein Mal bügeln können", gab meine Mum auch schon wie erwartet zu bemängeln. In jedem anderen Moment hätte ich jetzt brav genickt und sie voller Respekt um Verzeihung gebeten, doch heute schaffte ich dies einfach nicht.

Ein letztes Mal sah ich zurück auf den schweren Stein, laß noch ein Mal die Aufschrift und blinzelte die Tränen hinunter, die meine Mutter gar nicht erst sehen durfte. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie sie reagieren würde, wenn ich in der Öffentlichkeit weinte. So herzlos, wie sie sein konnte, würde es mich nicht wundern, wenn sie auch mich für eine Weile im Haus einsperrte.

"Kommst du endlich?" Eindeutig genervt wischte sie mit einer Hand vor meinem Gesicht hin und her, bis ich es endlich schaffte, meinen Blick von dem Namen meines kleinen Bruders abzuwenden. "Verdammt Ally, sieh endlich ein, dass es so besser ist. Es gibt keinen Grund zu trauern! Er sollte nicht leben, das hätte er von Anfang an nicht sollen!", schimpfte sie beim Anblick meines Gesichtes grimmig auf. Sofort kochte die Wut in mir auf, ließ mich Szenarien sehen, in denen ich meiner Mutter auf ihr eigenes Grab spuckte und ihr in die Hölle zurief, dass sie es war, der man das Leben hätte nehmen sollen, doch nach Außen hin blieb ich ruhig und anstatt ihr Widerworte zu geben oder Leo zu verteidigen, nickte ich einfach nur mit gesenktem Kopf und ließ mich von ihr zum Auto führen.

Changes~Open Up Our Hearts (Justin Bieber ff) (Abgeschlossen)Where stories live. Discover now