59. Kapitel, Part 4

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Ich war am Boden zerstört und meine Eltern wollten mir helfen, aber ich ließ sie nicht an mich heran. Ich hatte damals das Gefühl, sie würden nicht um meinen Bruder trauern. Erst viel später erkannte ich, dass sie dachten, sie müssen für mich stark bleiben und dass sie nur im Stillen um ihn weinten.

Aber es war nicht nur, dass mein Bruder tot war und ich mich immer häufiger mit meinen Eltern stritt, das Mädchen, welches er in seinem Brief erwähnt hatte, vertraute sich ihrer Familie an und somit kamen auch noch die Vorwürfe ihrer Eltern und ihres Bruders hinzu, welche mich fertig machten.

Täglich landeten Schmähbriefe in unserem Briefkasten, wir hätten nicht richtig auf ihn aufgepasst, ihn nicht richtig erzogen, oder noch schlimmer, wir hätten ihn so erzogen, dass klar war etwas derartiges würde eines Tages passieren. Auch sagte sie, wir würden ihn, feige wie wir wären, verstecken und seinen Selbstmord nur vorgetäuscht haben und das tat mir am meisten weh. Ich trauerte immer noch und anstatt das halbwegs zu verstehen und versuchen zu akzeptieren, machten sie es noch schlimmer als es schon war. Vielleicht stimmte es, dass es ihrer Tochter nicht gut ging, aber immerhin lebte sie noch.

Jeden Morgen leerte ich den Briefkasten und sortierte diese Briefe aus. Irgendwann traute ich mich nicht einmal mehr, sie zu öffnen und verbrannte sie, sobald ich einen in der Hand hielt. Die Anschuldigungen wurden immer schlimmer und die Schimpfworte immer extremer.

Ich hatte Angst davor, dass sie zu uns kommen würden und uns zur Rede stellen würde, aber der Tag kam nicht.

Wochen verstrichen und immer öfter flüchtete ich von zu Hause zu meinem Freund, um nicht an ihn erinnert zu werden. Mein Verhältnis zu meinen Eltern war schlechter, als je zuvor, obwohl sie eigentlich nichts dafür konnten. Sie versuchten, mich auf zu muntern und mein Leben weiter zu leben, aber sie schafften es nicht. Niemand schaffte es. Nur bei meinem Freund konnte ich ein wenig vergessen, aber sobald ich ihn wieder verließ waren die Erinnerungen wieder da. Sie verblassten nicht. Sie sind immer noch nicht verblasst und sie werden mich ewig verfolgen.

Eines Tages flüchtete ich wieder einmal vor meinen Eltern. Wir hatten uns wieder einmal gestritten und ich weiß nicht einmal mehr genau, worüber. Ich glaube, es ging darum, dass ich versuchen solle weiter zu leben. In der Schule mehr auf zu passen. Oder zumindest hin zu gehen.

Ich hörte ihnen nicht einmal richtig zu und rannte aus dem Haus. Im Treppenhaus kam mir ein Junge entgegen, komplett in schwarz gekleidet und mit Mundschutz, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Ich rannte ihn fast um und war bald darauf in unserem kleinen Vorgarten.

Ich blieb kurz stehen, um Luft zu holen und hörte zwei kurz hintereinander folgende Schüsse aus einem der offenen Fenster im fünften Stock. Es war meine Schuld, dass sie tot waren. Ich versuchte davon zu rennen, aber es würde mich ewig verfolgen.

I'm the Couchman | Kostory FFWhere stories live. Discover now