Kapitel 193 - Sheila

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Sheila fühlte sich ein wenig wie eine Spionin, doch es würde ihr guttun, sich abzulenken. Obwohl sie Jonathan und eigentlich auch Oskar vertraute, hatte sie ein wenig Panik davor, dass die beiden sich unter vier Augen unterhielten. 

Obwohl heute Sonntag war, wollte sie ein wenig weiter im Haus machen. Oskar würde sich nicht beschweren und ihre Nachbarin auf der anderen Seite war eine alte, schwerhörige Dame, die ihnen als sie Kinder gewesen waren immer Süßigkeiten gegeben hatte.

Sie saß neben Jonathan im Auto und musste unweigerlich daran denken, was sie letztens auf dem Feldweg in diesem Auto getan hatten. Sofort wurde ihr heiß und sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Jonathan sah zu ihr herüber und wirkte belustigt. 

„Was ist los?", fragte er und ein wenig verlegen erwiderte sie seinen Blick. 

„Ich muss immer daran denken, was wir in diesem Auto schon gemacht haben", gab sie zu und ein dämliches Grinsen legte sich auf sein Gesicht. 

„Das war ziemlich überraschend. Aber heiß", sagte er, was sie zum Kichern brachte. Offensichtlich hatte es ihm genau so gut gefallen wie ihr. 

„Du bist heiß", kommentierte sie, doch er winkte ab. 

„Wenn hier einer heiß ist, dann bist du das", widersprach er und legte seine Hand auf ihr Knie. 

„Pass auf, dass du nirgendwo gegen fährst", sagte sie ernst, aber sie genoss seine Berührung. 

„Keine Sorge", erwiderte er und warf ihr immer wieder Blicke zu. Sie legte ihre Hand auf seine, was seine Phantasie offensichtlich weiter anheizte, denn er fing an, unruhig auf seinem Sitz hin und her zu rutschen. 

„An was denkst du?", neckte sie ihn, denn sie hörte es gern, wenn er ihr Komplimente machte. Jonathan gluckste verlegen, dann drückte er ihr Knie fester. Doch eine Antwort bekam sie nicht. 

„Sag schon", forderte sie ihn auf, woraufhin er ihr mit glühenden Wangen einen langen Blick zuwarf. 

„Das weißt du ganz genau", wand er sich und Sheila grinste in sich hinein. Es machte Spaß, ihn in Verlegenheit zu bringen. 

„Hör schon auf damit", protestierte er und erst wollte sie ihm noch eine Bemerkung an den Kopf werfen, doch sie ließ es bleiben. Sie wollte nicht, dass die gute Stimmung zwischen ihnen um schwang, nur weil sie ihre Klappe nicht halten konnte. 

„Na gut", sagte sie nur noch, dann fuhr er den restlichen Weg zu ihrem Haus.

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Obwohl sie sich eigentlich mit Arbeit hatte ablenken wollen, hatte sie schon fünf Minuten nachdem sie angekommen waren, Kopfhörer in die Ohren gesteckt und ihren Bruder angerufen. Sie wusste eigentlich gar nicht so recht, was sie ihm erzählen wollte, doch es würde ihr guttun, seine Stimme zu hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit meldete er sich endlich und klang gehetzt. 

„Hey, störe ich?", fragte sie, was Matthias verneinte. 

„Ich war nur gerade auf dem stillen Örtchen", lachte er und sie stieß ein angewidertes Geräusch aus. 

„So genau wollte ich es nicht wissen. Gibt es was neues von Jonas?", fragte sie ihn, doch als Antwort bekam sie nur ein Stöhnen. 

„Er hat sich nicht gemeldet heute?", bohrte sie weiter, aber es dauerte noch ein paar Sekunden, bis er sein Schweigen brach. 

„Nein, hat er nicht. Und ich will ihm nicht schreiben, auch wenn ich schon gefühlt hundert Mal eine Nachricht an ihn getippt habe. Aber ich habe mich einfach nicht getraut, auf Senden zu klicken. Hinterher fühlt er sich bedrängt oder so", plapperte er dann drauf los und Sheila spürte seine Verzweiflung. 

„Er wird sich melden. Da bin ich mir ziemlich sicher. Ihr hattet doch am Freitag einen schönen Abend", versuchte sie ihn aufzumuntern, doch es gelang ihr nicht wirklich. 

„Ich versuche, mich irgendwie zusammenzureißen, aber es ist schwer. Ich weiß, dass ich es nur noch ein paar Tage aushalte, dann muss ich einfach zu ihm fahren", seufzte er und sie hörte, wie er monoton immer wieder gegen irgendetwas schlug. 

„Lenk dich doch irgendwie ab. Triff dich mit Louisa, zum Beispiel", schlug sie vor, doch er brummte nur etwas Unverständliches. Obwohl Louisa einige Jahre jünger war als er selbst und er sie durch seine Arbeit mit obdachlosen Jugendlichen kennengelernt hatte, waren sie ziemlich gut befreundet. Louisa war inzwischen nicht mehr obdachlos und sie hatte ihr Leben im Griff. 

Plötzlich spürte sie, wie sich ein tonnenschweres Gewicht auf ihre Schultern legte. Obwohl sie Louisa nicht wirklich kannte, war sie eifersüchtig auf dieses kleine, zierliche Mädchen mit den blonden Locken. Ville mochte sie auch, doch nicht so, wie Matthias sie mochte. Die paar Male, an denen die beiden sich gesehen hatten, war zwischen ihnen unverkennbar eine Anziehungskraft da gewesen. Sheila hatte damals gedacht, dass er mit ihr etwas anfangen würde, obwohl sie damals gerade erst 18 geworden war, doch so weit sie wusste, hatte er sich zusammengerissen. 

„Schlechte Idee", sagte er grimmig und sofort wurde sie hellhörig. 

„Wieso? Habt ihr euch gestritten?", fragte sie, doch Matthias stieß einen verächtlichen Laut aus. 

„Sag schon", drängte sie doch ihr Bruder druckste herum. 

„Das sage ich dir nur, wenn du bei Jonathan bist", sagte er und schien es todernst zu meinen. Sheila sackte in sich zusammen. Wenn er so ein Drama daraus machte, konnte es nur eins bedeuten. 

„Sag nicht, dass Ville bei ihr ist und ihr schöne Augen macht!", schrie sie ihn beinahe an, allerdings war sein Schweigen Antwort genug. Sheila spürte, wie Wut in ihr hochkochte. Sie war doch noch so jung! Sie sollte sich ihr Leben nicht von ihm kaputtmachen lassen, nur weil er seine Finger nicht bei sich behalten konnte. 

„Sie hat mir gestern geschrieben, dass er bei ihr vor der Tür stand. Er wollte nur bis heute bei ihr bleiben, aber sie antwortet mir nicht mehr, also gehe ich mal davon aus, dass er noch immer bei ihr ist. Sheila stiegen Tränen in die Augen. Am meisten störte es sie, dass dieser unsägliche Kerl von einer Tussi zur nächsten wanderte und ihr Vorwürfe machte, dass sie mit Jonathan geschlafen hatte. Sie schloss für einen Moment die Augen, um die Tränen daran zu hindern, ihr über die Wangen zu laufen. Langsam beruhigte sich der Sturm in ihr und ihre Gedanken klärten sich. 

„Meinst du...", fing sie an, doch sie konnte diesen Satz nicht aussprechen. Es schmerzte noch zu sehr. 

„Nein, ich denke nicht. Louisa mag ihn zwar – warum auch immer – aber sie würde sich nicht auf ihn einlassen. Sie weiß, was er getan hat. Außerdem ist er viel zu alt für sie", antwortete Matthias auf ihren Gedanken und sie betete, dass er recht behielt. 

„Na gut. Hoffen wir, dass sie ihm widerstehen kann", sagte sie noch, dann stemmte sie die Hände in die Hüften und betrachtete ihr gestriges Werk. 

„Ich denke schon", gab Matthias zurück, dann schwiegen sie eine Weile. Offensichtlich spürte er, dass sie ihm eigentlich schon die ganze Zeit unterbewusst von dem Gespräch zwischen Oskar und Jonathan erzählen wollte. 

„Rate mal, wo ich gerade bin", fing sie an, doch noch bevor ihr Bruder antworten konnte, plapperte sie drauf los und erzählte ihm, wie Oskar Jonathan diese Nachricht geschrieben und ihn um ein Treffen gebeten hatte. Matthias hörte ihr die ganze Zeit zu, wofür sie mehr als dankbar war. Es tat gut, einfach mal alles los zu werden, was ihr so durch den Kopf geisterte. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now