Kapitel 124 - Jonathan

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Inzwischen war es halb eins und Jonathan beschloss, sich eine Kleinigkeit zu kochen. Sheila war noch immer nicht zurück, doch anscheinend war alles in Ordnung bei ihr. Trotzdem machte er sich Gedanken, zu was einem Termin sie mit Esra gegangen war. Allerdings war er sich sicher, dass sie es ihm in aller Ausführlichkeit erzählen würde, wenn sie wieder zurück war. Denn obwohl sie noch schüchtern gewesen war, als sie sich kennen gelernt hatte, war sie eine Quatschtante. Nicht, dass sie über alles und jeden lästerte, aber sie plapperte gerne.

Gerade als er das Nudelwasser abgoss, klingelte es. Er beeilte sich, den Topf wieder auf den Herd zu stellen und lief anschließend zur Tür. Er hörte, wie unten die Tür aufging und jemand die Treppe nach oben kam. Es musste Sheila sein, denn sonst besuchte ihn selten jemand und keine Minute später sah er sie mit einer prall gefüllten Einkaufstüte die Treppe hinaufsteigen. 

„Hey", rief sie ein wenig außer Atem, doch dann lächelte sie. Er öffnete die Tür ein Stück weiter, damit sie hereinkommen konnte und nahm ihr die Tüte ab. Noch bevor sie sich ihren Mantel und die Schuhe auszog, küsste sie ihn. 

„Alles okay?", fragte er und sie nickte schnell. Ein wenig zu schnell. 

„Hunger?", fragte er dann und warf unwillkürlich einen Blick auf seine Nudeln. 

„Und wie", sagte sie und folgte ihm ins Wohnzimmer. Jonathan stellte die Einkaufstüte neben den Kühlschrank, dann füllte er die Nudeln und die Soße auf zwei Teller und stellte sie auf den Tisch. Sheila setzte sich, doch sie schloss die Augen und legte sich eine Hand an die Stirn. Skeptisch sah er sie an. Offensichtlich ging ihr etwas durch den Kopf. 

„Und willst du mir von dem Termin erzählen?", fragte er betont lässig, doch es misslang ihm. Sheila nickte, blieb aber stumm. Stattdessen schob sie sich eine Gabel Nudeln in den Mund. Erst als sie fertig gekaut hatte, sah sie ihn an. 

„Ich wollte gerade in den Supermarkt gehen, da hält mich jemand am Arm fest", fing sie an und neugierig beobachtete er sie. 

„Esra?", fragte er nach, woraufhin sie nickte. 

„Sie... sie hat mir erzählt, dass mein Bruder nicht der Vater ihres ungeborenen Kindes ist", fuhr sie fort, doch sie schien nicht so recht mit der Sprache herausrücken zu wollen. Innerlich grinste Jonathan vor sich hin. Er hatte also recht gehabt, dass Matthias nicht fremdgegangen war. 

„Okay, und wo seid ihr dann hingegangen?", hakte er nach, doch Sheila wand sich. Er wartete ab, konnte nicht leugnen, dass er neugierig war. 

„Sie hatte einen Termin in einer Abtreibungsklinik. Sie ist nicht mehr schwanger", sagte sie tonlos und schloss schnell die Augen, doch er bemerkte, dass eine kleine Träne ihre Wange hinunterlief. 

„Hey, was ist los?", fragte er sanft und griff über den Tisch nach ihrem Arm, doch sie entwand sich ihm. Mit einer eiligen Handbewegung wischte sie die Träne weg, aber es folgten nur noch mehr. 

Ohne wirklich darüber nachzudenken sprang er auf und hockte sich neben sie. Er umarmte sie vorsichtig und ein wenig unbeholfen, doch sie weinte immer heftiger. Eine ganze Weile verharrten sie so, bis sie die Arme ebenfalls um ihn legte und sich an ihn schmiegte. 

„Es ist nur... Als ich zum zweiten Mal schwanger war, habe ich mich wirklich drauf gefreut. Wir hatten schon alles vorbereitet. Ein kleines Bettchen gekauft und so was. Und...", sie brach ab und schluchzte. 

Jonathan fühlte sich auf einmal ziemlich beklommen. Er hatte keine Erfahrung auf diesem Gebiet und wusste nicht, wie er sie wieder aufmuntern konnte. Sheila atmete zitternd aus und löste sich von ihm. 

„Es ist nur so unfair, dass manche ihre Kinder wegmachen lassen, nur weil sie nicht in ihr Konzept passen und ich damals...", wieder versagte ihre Stimme, doch er begriff, worauf sie hinaus wollte. Sein Herz zog sich zusammen und er fühlte sich hilflos überfordert. Unfähig, irgendetwas Angemessenes zu sagen strich er ihr über die Wange und hoffte, dass ihr das ein wenig half. Sie schluchzte noch eine ganze Weile, doch dann beruhigte sie sich allmählich wieder. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, hob den Blick und sah ihm direkt in die Augen. 

„Tut mir leid, ich war einfach nur ein bisschen überrumpelt von der ganzen Sache. Es hat mich an meine Vergangenheit erinnert", erklärte sie und versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, was ihr kläglich misslang.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Natürlich ist so etwas schwierig, aber du bist eine starke Frau", sagte er nur, doch es kam ihm selbst vor wie eine Floskel. Sie lachte kurz. 

„Du bist so süß, wie du immer versuchst mich aufzumuntern", sagte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Ein wenig verlegen grinste er, dann zuckte er die Schultern. 

„Hilft es denn ein bisschen?", fragte er unsicher, doch schnell nickte sie. 

„Noch nie ging es mir so gut, wie in den letzten Wochen. Seit ich dich habe", antwortete sie und schenkte ihm nun ein ehrliches Lächeln. Er spürte, wie er rot wurde. 

„Sag so was nicht", gab er verlegen zurück, doch er musste sich selbst eingestehen, dass es ihm selbst nicht anders ging.

Nachdem sie die inzwischen kalten Nudeln gegessen hatten, verabschiedete er sich schweren Herzens wieder ins Studio, doch er versprach, sich zu beeilen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, sie so allein zu lassen, aber er konnte nicht noch mehr freinehmen. 

Allerdings hatte er nun etwas, worauf er sich freuen konnte, wenn er Feierabend machte. Sheila hatte vorhin ihren Vater angerufen und sie hatten sich für den frühen Abend verabredet, um über das Haus zu reden. 

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