Kapitel 121 - Sheila

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Sheila saß in Jonathans Auto und fuhr in Richtung Supermarkt. Bevor er in sein Studio verschwunden war, hatte er erwähnt, dass er heute Nachmittag einkaufen wollte und sie hatte vorgeschlagen, dass sie das doch übernehmen konnte. Sie hatte sowieso nichts zu tun, außer nachher ihren Bruder anzurufen, wie es gestern Abend bei Jonas war. Dass er sich noch nicht von sich aus gemeldet hatte konnte entweder gut oder schlecht sein. Doch sie müsste sich gedulden, bis er Feierabend hatte.

Schneller als erwartet fuhr sie den Wagen auf den Parkplatz des Supermarkts und kramte die Einkaufliste, die sie gemeinsam geschrieben hatten, aus ihrer Handtasche. Dann ging sie zu den Einkaufswagen und holte einen aus dem kleinen Häuschen, in dem sie immer standen. 

Gerade als sie den Einkaufswagen umdrehte und in Richtung Eingang gehen wollte, wurde sie an der Schulter festgehalten. Erschrocken wandte sie sich um und blickte in das Gesicht von Esra. 

„Hey", sagte sie ein wenig überrascht, sie hier zu sehen. Normalerweise arbeitete sie vormittags in einer Zahnarztpraxis. Esra erwiderte ihren Gruß nicht, sondern hakte sich bei ihr unter und führte sie ein paar Meter weg, an den Rand des Parkplatzes. Sheila war nicht sicher, was sie davon halten sollte, doch sie ging wortlos mit ihr mit. 

„Kann ich mal mit dir reden?", fragte sie schließlich und blieb stehen. Überrascht sah Sheila sie an, denn sie waren nicht wirklich befreundet. 

„Okay", sagte sie ein wenig skeptisch, doch sie sah Esra aufmerksam an. 

„Ich... bin ziemlich froh dich hier zu treffen", gestand sie und lachte unsicher. Sie atmete tief durch, anschließend sah sie ihr tief in die Augen. Sheila wurde ein wenig unwohl, denn es schien ihr wirklich wichtig zu sein. Trotzdem schlich sich das Bild von ihr und ihrem Bruder in ihr Hirn, wie sie Jonas hintergangen hatten. 

„Vielleicht sollten wir irgendwo hingehen, wo wir ungestört reden können", schlug Esra vor und Sheila nickte. Sie würde auch noch später einkaufen können. 

„Ich bringe den Wagen weg, dann können wir hingehen, wo du willst", sagte sie und setzte sich in Bewegung. 

Esra wartete auf sie und als sie wieder zurück zu ihr kam, stand sie noch immer ziemlich unsicher da. Die Hände hatte sie in die Jackentaschen geschoben, doch selbst dadurch konnte sie das Zittern ihrer Hände nicht verbergen. Allmählich machte sie sich Sorgen. 

„Willst du dich irgendwo hinsetzen?", fragte sie, aber Esra schüttelte den Kopf. 

„Hast du noch was dringendes vor heute Vormittag?", stellte sie die Gegenfrage. Sheila überlegte fieberhaft, was sie vorhaben könnte, doch sie hatte nicht den blassesten Schimmer. 

„Nein", sagte sie vorsichtig, woraufhin Esra kurz eine Grimasse zog, dann straffte sie die Schultern und sah sie wieder so direkt an, dass sie sich unwohl fühlte. 

„Ich weiß, dass du es inzwischen weißt. Aber... es ist nicht so, wie ihr alle denkt", sagte sie und Sheila spürte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Sprach sie davon, dass sie mit ihrem Bruder geschlafen hatte, oder dass sie schwanger war? Sie warf ihr einen verunsicherten Blick zu, doch Esra lachte bitter. 

„Ich glaube, ich sollte dieses Missverständnis aufklären, aber zuerst muss ich zu einem Termin, den ich allein nicht durchstehe", fuhr sie fort. Sheila war nun vollkommen verwirrt, was Esra ihr anscheinend auch ansah. 

„Also gut. Ich bin schwanger. Aber nicht von Matthias. Ich habe nicht mit ihm geschlafen und er hat Jonas nicht betrogen. Jonas denkt das nur, weil er mich zufällig getroffen hat, als ich vom Frauenarzt kam und das Ultraschallbild noch in der Hand hatte. Ich habe nicht schnell genug geschaltet, um es ihm zu erklären", seufzte sie und augenblicklich bekam Sheila ein schlechtes Gewissen, dass sie ihrem Bruder nicht geglaubt hatte. 

„Oh", brachte sie nur hervor und kam sich dabei ziemlich bescheuert vor. 

„Und zu was für einem Termin musst du?", fragte sie nach, denn offensichtlich wollte sie, dass sie mit ihr kam. 

„Ich lasse es wegmachen.", sagte sie nur, doch Sheila fühlte sie, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen werden.

Es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder gefangen hatte. Krampfhaft versuchte sie, die Bilder ihrer eigenen Fehlgeburten aus ihrem Kopf zu verbannen, doch es gelang ihr nicht wirklich. 

Sie spürte, wie Esra sie am Arm festhielt, aber sie fühlte sich ganz weit weg. Sie sagte irgendetwas zu ihr, doch ihre Stimme drang nicht bis zu ihr durch. Sheila schloss für einen Moment die Augen, dann klärten sich ihre Sinne wieder. Das alles war Vergangenheit, sagte sie sich immer wieder, bis sie eine gefühlte Ewigkeit später sie Augen wieder öffnen konnte. Eine Weile blickte sie Esra an, dann hörte sie ihre eigene Stimme. 

„Wer ist der Vater?", fragte sie, doch Esra presste die Kiefer aufeinander. 

„Max", antwortete sie nur, doch dann schlang sie die Arme um sich, als würde sie sonst zerbrechen. Sheila nickte. Max war ihr Ex-Freund. Nachdem Matthias sie damals sitzen gelassen hatte, als sie mit Duygu schwanger war, hatte sie ihn kennengelernt. Doch etwa ein Jahr, bevor sie wieder schwanger geworden war, hatten sie sich getrennt. 

„Weiß er davon?", wollte sie wissen, aber als Antwort bekam sie nur ein verächtliches Schnauben. 

„Es war seine Idee, dass ich abtreibe", sagte sie verbittert, dann bedeutete sie ihr mit einer Kopfbewegung, dass es Zeit wurde, sich auf den Weg zu machen. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now