Kapitel 91 - Jonathan

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Obwohl er gar nicht auf die Toilette musste, verzog Jonathan sich ins Bad. Seine Hände zitterten und am liebsten hätte er all seinen Frust und seinen Ärger hinausgeschrien, doch er musste sich für sie zusammenreißen. Zwar sagte sie, dass sie einen Plan hatte, doch er bezweifelte es. Sie wirkte so unsicher und wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken, sodass er das Gefühl hatte, dass sie improvisieren wollte. Vielleicht dachte sie, dass sie ihn so besser täuschen konnte. Allerdings gefiel es ihm ganz und gar nicht, dass sie allein mit ihm sprechen wollte und er sich irgendwo verstecken und zuhören sollte. 

Er atmete ein paar Mal tief durch, dann drehte er den Wasserhahn am Waschbecken auf und spritzte sich eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht. Zwar fühlte er sich noch nicht wirklich besser, doch er war zumindest für eine Sekunde abgelenkt. Er wischte sich das Gesicht an einem Handtuch trocken, dann ging er wieder zurück ins Wohnzimmer. 

Sheila saß noch immer auf ihrem Platz am Esstisch, die Hände auf dem Tisch verkrampft und den Blick starr darauf gerichtet. Der Kommissar war inzwischen wieder hereingekommen und hatte sich wieder zu ihr gesetzt. 

Als Jonathan näher kam, erkannte er eine kleine technische Apparatur, die auf dem Tisch lag. Es war eine kleine Kamera und ein Mikrofon. Skeptisch beäugte er die Kamera, dann setzte er sich ebenfalls wieder an den Tisch. Die beiden anderen beachteten ihn nicht, doch der Kommissar schob die Kamera ein Stück näher zu ihr. 

„So wäre es noch unauffälliger. Wir sind nicht weit weg und können jederzeit eingreifen", sagte er zu ihr, doch sie presste nur die Kiefer aufeinander und sagte keinen Ton. Jonathan warf abwechselnd ihm und ihr abschätzende Blicke zu. 

„Sie haben aber nicht vor, sie mit ihm allein zu lassen und alles nur über eine Kamera zu beobachten, oder?", fragte er entsetzt, als bei ihm endlich der Groschen fiel. Es behagte ihm ganz und gar nicht, dass der Kommissar sie in Gefahr bringen wollte. Dieser wandte ihm langsam den Kopf zu und sein Blick ließ ihn zusammenzucken. Seine Miene war todernst und es war klar, dass er kein Interesse an einer Diskussion hatte. 

„Wir werden diese Kamera und das Mikrofon so platzieren, dass wir alles im Blick haben. Sie wird mit ihm sprechen und er wird sie angreifen. Bevor er ihr etwas tun kann, kommen wir herein und lösen die Situation auf", sagte er kühl und bestimmt, dann wandte er den Blick wieder Sheila zu. 

„Okay", sagte sie und hob endlich den Blick und sah ihm geradewegs in die Augen. Jonathans Herz setzte aus, denn ihr Blick war so leer, dass sie wie eine Hülle wirkte. Auf seinen Armen breitete sich eine Gänsehaut aus, doch er versuchte, sie mit seinem Blick zu beruhigen und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde. 

„Gut. Versuchen Sie, mit ihm im Wohnzimmer zu bleiben. Wir sollten uns irgendeinen Code überlegen. Wenn Sie diesen sagen, kommen wir sofort rein. Allerdings wäre es gut, wenn Sie mir von Ihrem Plan erzählen", sagte der Kommissar dann in einem etwas sanfteren Ton, doch Sheila nickte nur abwesend. 

Er wünschte sich, dass er ihre Gedanken hätte lesen können, ob sie wollte, dass er zu ihr kam oder ob sie lieber in Ruhe gelassen werden wollte. 

„Okay", wiederholte sie, dann streckte sie die Hand nach der Kamera aus und tippte sie einmal an. 

„Ich werde ihn erst einmal reden lassen. Er wird sich entschuldigen und mir sagen, dass er mich liebt. Ich versuche dann, zunächst abweisend zu sein, aber dann tue ich so, als ob ich weich werde und...", begann sie, doch sie brach ab. 

Schnell huschte ihr Blick zu ihm und er versuchte, ihn festzuhalten. Doch es gelang ihm nicht. Sie richtete ihren Blick wieder auf die Kamera. 

„Ich werde zulassen, dass er mich küsst. Er wird mehr wollen, doch ich werde ihn abweisen. Ich weiß, dass er dann wütend wird", fuhr sie fort, schien aber absichtlich einige Details auszulassen. Trotzdem war ihm der entscheidende Teil nicht entgangen.

„Du willst ihn küssen?", fragte er entsetzt und spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte. Ihm war klar, dass es zu dem Plan gehörte und sie es nur tun würde, um ihn in die Falle zu locken, doch er wollte das nicht. Wieso konnte sie es nicht irgendwie anders machen? 

„Muss das sein? Ich meine... kannst du dich nicht irgendwie einfach so mit ihm streiten?", fragte er und spürte, dass seine Wangen heiß wurden. 

„Es ist doch nur gespielt", sagte sie leise, doch ihr Blick wanderte kurz zur Seite. Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch es verriet sie. Sie log. 

Jonathan ballte die Fäuste unter dem Tisch zusammen, denn er hasste es, dass sie noch solche Gefühle für ihn hatte. 

„Machen Sie es nicht mit Ihrer pubertären Eifersucht kaputt. Denken Sie doch mal weiter", mahnte der Kommissar ihn, doch er war sich sicher, dass ihm ihr kurzer Blick zu Seite ebenfalls nicht entgangen war. 

Jonathan atmete zitternd aus, doch dann riss er sich zusammen. Er hatte ja recht. Sobald Ville heute verhaftet worden war, konnte er endlich Zeit allein mit ihr verbringen. Sie würde nicht ständig Angst haben, dass er sie kontaktierte. Es würde ihr und ihrer Beziehung guttun. 

„Okay, machen wir es so", sagte er leise, doch er konnte das Zittern seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. 

„Gut. Also, überlegen Sie sich ein Codewort oder einen Satz. Wenn Sie diesen Satz sagen, kommen wir rein", hörte er den Kommissar mit unangemessen fröhlicher Stimme sagen, doch Sheila antwortete sofort. 

„Du liebst Carolin", sagte sie ohne zu zögern. Ruckartig richtete er den Blick wieder auf sie und zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sie dieses Mal diejenige war, die seinen Blick festhalten wollte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Kommissar sich den Satz auf einem Zettel notierte. 

„Clever", sagte dieser dann und schob erneut seinen Stuhl zurück und stand auf. 

„Ich lasse Sie ein wenig allein. Sprechen Sie sich aus, damit Sie sich nachher voll und ganz konzentrieren können. Ich komme in einer Stunde noch einmal wieder, damit wir die Kamera platzieren können. Mal schauen, wie weit meine Kollegen mit seiner Handyortung sind", sagte er dann und verschwand ohne ein weiteres Wort aus der Haustür. 

Eine ganze Weile saßen sie noch schweigend und sich tief in die Augen sehend da, doch schließlich unterbrach sie den Blickkontakt. Fast schon verlegen senkte sie den Kopf, woraufhin er schnell die Hand nach ihr ausstreckte. Ohne zu zögern legte sie ihre Hand hinein, dann hob sie wieder den Blick. 

„Es tut mir leid. Ich muss ihn küssen, sonst funktioniert es nicht", sagte sie leise, doch er schnalzte mit der Zunge. 

„Schon okay", erwiderte er, denn er wollte nicht allzu genau darüber nachdenken. Sie nickte nur, dann umklammerte sie fester seine Hand. 

„Du weißt, dass ich dich liebe und ich das nur tue, damit er mich endlich in Ruhe lässt", erklärte sie, doch dieses Mal nickte er. 

„Ich liebe dich auch. Wir schaffen das gemeinsam. Heute Abend liegen wir da oben und schauen in den Sternenhimmel und lassen ihn endlich hinter uns", sagte er sanft und machte eine Kopfbewegung nach oben. Ein Lächeln zuckte über ihre Lippen, bevor sie wieder ernst wurde. 

„Ich kann noch nicht so wirklich begreifen, dass du das alles für mich tust", flüsterte sie, doch er legte nur den Kopf schief. 

„Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben, von daher ist es ganz normal, dass ich dir helfe", erklärte er und spürte, dass seine Wangen schon wieder rot wurden. Doch es war die Wahrheit. Er war schon viel zu lange allein gewesen und vielleicht stürzte er sich viel zu schnell in diese doch sehr intensive Beziehung, doch es fühlte sich einfach nur richtig an. 

„Du bist so süß", hauchte sie, löste ihre Hand aus seiner, stand auf und kam zu ihm um den Tisch herum. Sie quetschte sich auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung und spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. 

„Du bist wunderbar. Daran musst du immer denken. Egal was er dir sagt, du bist perfekt. Zumindest für mich", flüsterte er ihr ins Ohr, dann spürte er ihren Kuss auf seinen Lippen. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now