Kapitel 82 - Sheila

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Sheila hatte sich so vollgestopft, wie schon lange nicht mehr, denn es hatte wirklich gut geschmeckt. Jonathan hatte Nudeln mit Hackbällchen in Tomatensoße gekocht und für sie beide einen Schokopudding zum Nachtisch gekauft. 

Inzwischen war es dunkel draußen und sie lagen auf dem frisch bezogenen Bett und starrten auf den Himmel. Doch zu ihrer Enttäuschung war der Himmel wolkenverhangen und kein einziger Stern zeigte sich. 

„Alles okay?", fragte er nach einer Weile, woraufhin sie den Kopf zu ihm herumdrehte. Er spielte mit einer Strähne ihres Haares und musterte sie aufmerksam. 

„Ja. Ziemlich viel passiert heute. Aber hier fühle ich mich, als wäre das alles ganz weit weg", antwortete sie wahrheitsgemäß und drehte sich genau wie er auf die Seite und betrachtete ihn. Obwohl es dunkel im Zimmer war, konnte sie noch seine Umrisse erkennen. 

„Das ist gut. Wir machen uns hier in paar schöne Tage und dann sieht die Welt zu Hause schon wieder ganz anders aus", versprach er und sie hoffte, dass er recht hatte. 

„Wie lange können wir eigentlich hier bleiben?", fragte sie und erinnerte sich, dass ihr Vater sie am Telefon danach gefragt hatte. 

„Du kannst so lange bleiben, wie du willst. Vielleicht muss ich zwischendurch zurück wegen der Arbeit, aber meine Eltern werden nichts dagegen haben, wenn du hier allein bist", antwortete er, doch sofort spürte sie, dass sie am liebsten gar nicht allein sein wollte. 

„Wissen deine Eltern, dass wir hier sind?", fragte sie schnell, doch er sah sie nur an, was eindeutig Nein bedeutete. 

„Ich dachte, dass es besser ist, wenn so wenig Leute wie möglich davon wissen. Ich sage es ihnen in ein paar Tagen. Aber mach dir da keine Gedanken, ich kann immer hierhin kommen, wenn ich will", beruhigte er sie, doch so ganz wohl fühlte sie sich dabei nicht. 

„Na gut", gab sie zurück, dann fiel ihr plötzlich ein, dass er sich heute Mittag vor ihrer Befragung zu seinem bisherigen Beziehungsleben gedrückt hatte. Sie grinste, denn offensichtlich war es ihm unangenehm. Trotzdem interessierte es sie brennend und es würde sie zumindest ablenken. 

„Sag mal, du hast mir noch gar nicht erzählt, wie das nun mit deiner letzten Freundin war", stichelte sie und sofort lachte und stöhnte er gleichzeitig. 

„Verdammt, ich dachte, das hättest du vergessen", erwiderte er, doch langsam schüttelte sie den Kopf. 

„Nun erzähl schon. Schlimmer als bei mir kann es ja wohl nicht sein", sagte sie mit einem bitteren Unterton, aber schnell schob sie den aufkeimenden Gedanken an Ville weg. Sie beobachtete ihn eine Weile, in der er zuerst den Blick senkte, dann bitter lachte und ihr anschließend wieder in die Augen sah. 

„Es ist schon lange her", sagte er, doch Sheila spürte, dass er sich trotzdem genau daran erinnerte. 

„Wie lange warst du schon Single, bevor du mich kennen gelernt hast?", fragte sie und er schien kurz zu überlegen. 

„Etwas mehr als fünf Jahre. Anscheinend wirke ich nicht sehr anziehend auf Frauen", antwortete er, wobei in seinen Augen so etwas wie Wehmut aufblitzte. Das war wirklich eine ziemlich lange Zeit. Für sie war es kaum vorstellbar, denn seit sie sich für Jungs interessierte, war sie mit Ville zusammen gewesen. 

„Also ich finde dich ziemlich anziehend", widersprach sie ihm lächelnd und stupste ihn leicht gegen die Brust. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben, als würde es ihm gefallen, was er hörte. 

„Wart ihr lange zusammen?", bohrte sie weiter, als er keine Anstalten machte, weiter zu erzählen. Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu und kurz erschreckte sie sich. 

„Eigentlich nicht. Vielleicht anderthalb Jahre, ich weiß es gar nicht mehr so genau. Wenn du jetzt wissen willst, wie es auseinander gegangen ist... Sie hat Schluss gemacht. Sie meinte, sie liebt mich einfach nicht mehr. Hat mich ziemlich unerwartet getroffen, aber danach habe ich einfach keine mehr gefunden, mit der es etwas Ernstes war", erzählte er dann doch und klang dabei ziemlich traurig. 

Sheila schluckte. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass er keine Freundin gefunden hatte in den letzten fünf Jahren. Immerhin sah er gut aus, er war Musiker (was ihrer Meinung nach ziemlich attraktiv war) und er war der netteste und fürsorglichste Mensch, den sie kannte. 

„Jetzt hast du ja mich", sagte sie betont lässig und rutschte näher an ihn heran. Er lachte kurz, doch dann wurde seine Miene wieder ernst. 

„Du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin", erwiderte er und legte die Arme um sie. Sheila fand es noch immer merkwürdig, dass jemand sie so sehr mochte, doch wenn sie bedachte, was er schon alles für sie getan hatte, war es offensichtlich, dass er sie mochte. Gleichzeitig er wirkte zwischendurch genau so unsicher, wie sie selbst. 

„Ich bin auch froh, dass ich dich habe. Ich will mir gar nicht vorstellen, wo ich ohne dich wäre", sagte sie und ohne es zu wollen schlich Ville sich wieder in ihren Kopf. 

„Darüber musst du dir auf jeden Fall keine Gedanken mehr machen", beschwichtigte er sie und versuchte, ihren Blick festzuhalten. Doch sie konnte ihn nicht länger ansehen, so lange sie an Ville dachte. Sie konnte noch immer nicht glauben, was er heute getan hatte und sie konnte förmlich den intensiven Geruch nach Benzin riechen.

„Hey, was ist?", fragte er, legte ihr einen Finger unters Kinn und hob ihr Gesicht an. Sie wusste nicht, ob sie die gerade noch so romantische Stimmung zerstören und ihm von ihren Gedanken erzählen sollte oder ob sie einfach nur die Schultern zucken und ihn anlügen sollte. 

„Denkst du an ihn?", hakte er nach und nahm ihr so die Entscheidung ab. Sie seufzte und sah ihm wieder in die Augen. 

„Ich will nicht, dass du glaubst, ich würde die ganze Zeit an ihn denken. Denn das ist nicht so. Trotzdem schleicht er sich immer wieder in meinen Kopf", gab sie zu und erwartete beinahe, dass er sich von ihr abwenden würde, weil sie schon wieder von ihm angefangen hatte. Sein Blick wurde beinahe mitleidig. 

„Natürlich würde ich mir wünschen, dass du ihn lieber gestern als heute einfach vergisst. Aber mir ist klar, dass das nicht geht. Vor allem bei dem, was er im Moment mit dir abzieht. Ich bin nicht wütend auf dich, wenn du dir Gedanken machst, was mit deinen Sachen zu Hause passiert ist. Ich bin nur wütend auf ihn, dass er dich nicht einfach in Ruhe lässt", sagte er mit ziemlich fester und eindringlicher Stimme, doch es konnte sie nur ein kleines bisschen beruhigen. 

„Bist du sicher? Ich... tatsächlich habe ich gerade kurz gedacht, ich rieche Benzin", erwiderte sie und spürte seine Hand um ihre. 

„Das muss ziemlich schlimm für dich sein. Aber bald, wenn er weg ist, kaufen wir dir einfach neue Sachen. Ist dann wie ein Neuanfang", sagte er und setzte ein Lächeln auf, das sie sofort zum Schmunzeln brachte. 

„Na gut", seufzte sie und versuchte möglichst unbekümmert zu wirken. 

„Versuch nicht mehr an ihn zu denken", flüsterte er leise, dann spürte sie, wie er seine Decke über sie legte, sie auf den Rücken drehte und sich über sie beugte. 

„Ich hätte da eine Idee, was dich auf jeden Fall ablenkt", hauchte er, dann küsste er sie so sanft, dass ihr Herz anfing zu flattern. Obwohl sie die Berührungen von Jonathan genoss, blitzte ihr immer wieder das Bild vor Augen auf, wie Ville wie ein Wahnsinniger durch ihr Haus rannte und alles mit Benzin übergoss. Krampfhaft versuchte sie, sich wieder in die Gegenwart zurückzuholen, doch so richtig wollte es ihr nicht gelingen. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now