Kapitel 108 - Sheila

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Als auf ihr Klopfen an die Zimmertür nicht geantwortet wurde, öffnete Sheila langsam die Tür und warf vorsichtig einen Blick ins Zimmer. Sie wusste, dass ihr Bruder immer sehr litt, wenn er Liebeskummer hatte, also machte sie sich auf alles gefasst. 

Matthias lag unter einem Berg von Decken und Kissen, nur sein Kopf guckte heraus. Sie schloss die Tür hinter sich, doch er reagierte nicht auf sie, sondern starrte in die Leere. Sie seufzte. Er war absolut noch nicht einmal im Ansatz bereit, Jonas zu vergessen. 

„Hey", sagte sie und ging langsam auf ihn zu. Noch immer kam keine Reaktion von ihm. Sie ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden genau neben seinen Kopf nieder und erst da schien er sie zu bemerken. Er blinzelte ein paar Mal, dann klärte sich sein Blick. Er sah sie einfach nur an, bis eine einzelne Träne über seine Wange lief. 

„Willst du reden?", fragte sie behutsam, doch Matthias drehte sich auf die andere Seite und wandte den Blick von ihr ab. Das war offensichtlich ein Nein, aber sie würde so schnell nicht aufgeben. Sie streckte die Hand aus und stupste ihn am Rücken an, erst einmal und dann immer wieder, bis er sich mit einem genervten Seufzer wieder zu ihr herumdrehte. 

„Komm schon, drüber reden hilft", versuchte sie es weiter, doch wieder seufzte er nur. Allerdings erkannte sie an seinem Blick, dass er gerade dabei war, sich die Worte zusammenzulegen. Schon nach ein paar Sekunden knickte er ein, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schniefte einmal. 

„Ich verstehe einfach nicht warum", sagte er mit heiserer Stimme und verzog schmerzlich das Gesicht. 

„Hat er sich noch mal bei dir gemeldet?", fragte sie nach, doch er schüttelte den Kopf. 

„Ich habe ihm jeden Abend eine Gute-Nacht-Nachricht geschickt, aber er hat nicht geantwortet", antwortete er und sie sah, wie er einen Kloß hinunterschluckte. 

„Ich wollte eigentlich zu ihm fahren, aber ich habe es nicht geschafft. Ich habe Angst, dass er einfach nicht die Tür aufmacht", fuhr er fort. 

„Versuch es einfach. Du könntest ihm sagen, dass du seine Entscheidung akzeptierst und nur wissen willst, warum", schlug sie vor, doch er reagierte mit einem ärgerlichen Schnauben. 

„Ich akzeptiere seine Entscheidung aber nicht!", rief er aus und legte sich eine Hand an die Stirn, wie um sie zu kühlen. 

„Okay", sagte sie schnell, doch seine Lippe zitterte. 

„Kannst du mich einfach allein lassen?", flüsterte er mit bebender Stimme, doch sie würde nicht locker lassen. Sie wusste, dass er allein nicht wieder aus seinem Loch herauskommen würde. So war es damals gewesen, als seine erste Freundin ihn verlassen hatte und so war es auch gewesen, als Oskar ihm sein Herz gebrochen hatte. 

„Soll ich versuchen mit ihm zu reden?", fragte sie vorsichtig, doch prompt sah er sie so böse an, dass sie abwehrend die Hände hob. 

„Schon gut. Aber du kannst nicht wieder wochenlang nur rumliegen und mit niemandem sprechen", erklärte sie ihm, doch er zog nur leidend die Augenbrauen zusammen. 

„Was heißt denn wieder?", fragte er trotzig, doch sie wusste, dass auch er wusste, was sie meinte. Trotzdem lachte sie kurz. 

„Komm schon, du weißt, wie sehr du so was immer überdramatisierst. Schreib ihm, dass du wissen willst, warum er diese Entscheidung getroffen hat. Zumindest das sollte er dir erklären", sagte sie betont locker, allerdings warf Matthias ihr nur einen skeptischen Blick zu. 

„Mach schon. Ruf ihn an", schlug sie vor und griff nach seinem Handy, das auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett lag und hielt es ihm hin. 

„Jetzt?", fragte er ungläubig, doch sie sah ihn nur mit herausfordernder Miene an. Ein paar Sekunden zögerte er, dann nahm er das Handy in die Hand. 

„Er wird nicht drangehen", seufzte er und wollte das Handy schon wieder auf die Seite legen, doch sie hielt seine Hand fest. 

„Probier es. Wenn er nicht drangeht schreib ihm. Wenn er bis übermorgen nicht reagiert hat, fährst du hin", sagte sie so bestimmt, dass er sie leicht verunsichert ansah. 

„Meinst du wirklich?", fragte er zweifelnd, doch sie warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen ließ. Sie sah ihn so lange und so eindringlich an, bis er schließlich die Bettdecke ein wenig zurückschlug und sich ein wenig aufrechter hinsetzte. Sie beobachtete, wie er auf dem Handy herumtippte und es sich dann ans Ohr hielt. Sie hörte das Tuten und gespannt wartete sie einige Sekunden, doch dann kam eine Bandansage, dass der gewünschte Teilnehmer nicht zu erreichen ist. 

Mit einem „Habe-ich-es-dir-nicht-gesagt-Blick sah er sie an, doch sie forderte ihn mit einer Handbewegung auf, Teil zwei ihres Vorschlages umzusetzen. 

„Schreib ihm", befahl sie und er gehorchte. Eine Weile tippte er, doch dann legte er das Handy wieder weg und rieb sich mit einem ziemlich verzweifelt klingenden Seufzer über die Augen. 

„Kommst du mit nach unten?", durchbrach sie schließlich die Stille, doch Matthias sah sie gequält an. 

„Papa dreht schon durch", lachte sie schließlich, aber auch das entlockte ihm noch nicht einmal ein Grinsen. 

Bei dem Gedanken daran, wie oft sie ihren Vater schon in die Verzweiflung getrieben hatte, bekam sie beinahe ein schlechtes Gewissen. Am nächsten am Durchdrehen war er wohl gewesen, als erst Esra und kurze Zeit später sie selbst schwanger geworden waren. Doch schnell verdrängte sie den Gedanken, denn er hatte zweifelsfrei mit Ville zu tun und den wollte sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis löschen. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now