Kapitel 17 - Sheila

15 5 2
                                    

Obwohl ihr Vater die Augen starr auf die Straße gerichtet hatte und eine Sonnenbrille trug, konnte Sheila seinen vorwurfsvollen und zugleich besorgten Blick auf sich spüren. 

„Du weißt, was ich darüber denke", sagte er nur, dann drückte er ihr kurz das Knie. 

„Ja, weiß ich. Aber du musst nicht mit ihm reden. Dann denkt er doch, ich hätte dich vorgeschickt, weil ich Angst vor ihm habe", versuchte sie sich zu rechtfertigen. Ihr Vater seufzte. 

„Wenn man sich dein Gesicht ansieht, solltest du vielleicht Angst vor ihm haben. Es ist absolut nicht in Ordnung, dass er dich wieder geschlagen hat. Am liebsten würde ich ihn rausschmeißen", redete er sich in Rage und sie sah, dass sich seine Finger fester ums Lenkrad klammerten. 

Genau das hatte sie eigentlich vermeiden wollen. Dass ihr Vater sich wieder einmischte. Allerdings konnte sie ihm nicht verübeln, dass er ihn rausschmeißen wollte, immerhin wohnten sie in seinem Haus. 

„Ich regel das mit ihm", sagte sie leise, doch ihr Vater schnaubte nur. 

Auf einmal fühlte sie sich wieder wie ein kleines Mädchen, das irgendeine Schnapsidee gehabt hatte und nun beleidigt war, dass sie sie nicht umsetzen durfte. Fast schüchtern betrachtete sie ihren Vater. 

Er trug seine langen, dunklen Haare in einem Zopf unter seiner Baseballkappe, dazu ein schwarz-grau kariertes Hemd und eine schwarze Jeans. Für einen Vater sah er ziemlich cool aus, musste sie sich eingestehen, doch dann schob sie den Gedanken beiseite. Vielleicht hoffte sie ja unterbewusst, dass ihr Vater ihr doch irgendwie half. 

„Wenn du nicht allein mit ihm reden willst, kann ich dabei sein. Dann wird er auf jeden Fall nicht ausflippen", sagte er, doch so sicher war sie sich da nicht. Er konnte ja nicht wissen, wie Ville in den letzten Wochen drauf war und sie würde sich hüten, ihm davon zu erzählen. Das würde alles nur noch viel komplizierter machen. 

„Nein, ich mache das schon allein", sagte sie, dann senkte sie den Blick. Sollte sie ihrem Vater sagen, dass sie sich von Ville trennen wollte? Also endgültig? Bisher hatte er und auch ihr Bruder es nie wirklich ernst genommen, als sie gesagt hatte, sie würde Schluss machen. Doch dieses Mal war es etwas anderes. Sie wusste, dass es blöd klang, doch sie hatte eine Alternative. Würde sie ihn verlassen, wusste sie, dass da jemand war, der ihr über ihren Schmerz hinweghelfen würde. Jemand, der sie auffangen würde. 

„Was geht dir durch den Kopf?", wollte ihr Vater wissen und riss sie damit aus ihren Gedanken. Schnell hob sie den Blick. 

„Du musst die nächste Ausfahrt nehmen", sagte sie, als sie das Autobahnschild erblickte. Ein kurzes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, doch dann wurde er wieder ernst. 

„Sag schon. Ich sehe, wie unglücklich du bist", fuhr er fort, doch noch immer wollten ihr die Worte nicht über die Lippen kommen. Sie seufzte, dann fasste sie sich ein Herz. Was hatte sie denn schon zu verlieren? Noch einmal atmete sie tief durch, dann fing sie an zu sprechen. 

„Ich weiß nicht, wie viel ihr mitbekommen habt, aber... Er hat in den letzten Wochen immer wieder was genommen. Du weißt, wie er dann ist. Ich...", sie brach ab. Wenn sie wollte, dass ihr Vater ihr helfen konnte, dann musste sie ihm alles erzählen. Auch das, was sie lieber für sich behalten wollte. 

„Ich habe angefangen, mit anderen Typen zu schreiben und letzte Woche habe ich mich auch mit einem getroffen", beendete sie ihr kleines Geständnis, dann sah sie gespannt in das Gesicht ihres Vaters, der allerdings zeigte keinerlei Regung. 

„Und er hat es rausgefunden?", fragte er nach. Sheila senkte den Blick. 

„Ich habe es ihm erzählt. Und... er denkt, dass ich ihn für den anderen verlassen will. Deswegen hat er auch meine Autoschlüssel mitgenommen. Ein kläglicher Versuch, mich daran zu hindern, dass ich zu ihm fahre", gestand sie, dann schnaubte sie bei dem Gedanken daran, dass Ville einfach ihre Autoschlüssel mitgenommen hatte. 

„Du weißt, dass ich es nicht okay finde, wie er dich behandelt hat. Und auch, dass er dich zu Hause einschließt, ist schon irgendwie krank. Aber ich kenne ihn seit er 10 Jahre alt ist und ich weiß, dass das nicht wirklich er ist. Und du weißt es auch. Er hat schon viel Mist gebaut und ich bin mir nicht sicher, ob es dir nicht ohne ihn besser ginge, doch er scheint dich wirklich zu lieben."

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, denn jedes Wort stimmte. 

„Vielleicht fällt es mir so schwer, mich von ihm zu lösen, weil ich tief in mir noch hoffe, dass er wieder so wird wie früher", rechtfertigte sie sich. Kurz warf sie einen Blick auf die Straße, dann deutete sie stumm mit dem Finger nach rechts. Augenblicklich setzte ihr Vater den Blinker, dann bogen sie um die Ecke. 

„Ich will dir deine Entscheidung nicht abnehmen, aber vielleicht täte euch eine Auszeit gut. Er kann sich darauf konzentrieren, wieder clean zu werden und du kannst auch mal andere Jungs treffen."

„Papa!", entrüstete sie sich, denn es war ihr mehr als unangenehm, dass ihr Vater mit ihr über andere Männer sprach. 

„Das meine ich ernst. Du warst schon als Kind so fixiert auf ihn, dass kein anderer je eine Chance hatte. Vielleicht gibt es da ja jemanden, der besser zu dir passt als er. Auch wenn es für ihn schwer zu akzeptieren sein wird, irgendwann wird er es verstehen", sagte ihr Vater, doch sie schnaubte nur. 

„Er wird es nicht akzeptieren. Er meinte, es wäre ganz leicht, mich dazu zu bringen, bei ihm zu bleiben", entgegnete sie, doch ihr Vater grinste. 

„Glaub mir, du musst ihm nur genug Zeit lassen, dann wird er es akzeptieren."

Sheila schwieg. Sie war sich da nicht so sicher, doch sie musste einfach darauf hoffen, dass ihr Vater recht hatte. 

„Da vorne an der Tankstelle nach rechts, dann sind wir in der richtigen Straße", sagte sie leise, dann fing sie an, nervös zu werden. 

„Ich würde ihn ja gerne mal kennen lernen", hörte sie ihren Vater fast schon belustigt sagen. Erst war sie wütend, doch dann musste auch sie lächeln. 

„Er ist auch Musiker, genau wie du", sagte sie, dann deutete sie mit dem Kopf auf das Haus, in dem er wohnte. 

„Wenn du willst, kannst du mir ja mal von ihm erzählen", sagte ihr Vater, während er in zweiter Reihe mitten auf der Straße stehen blieb, um sie aussteigen zu lassen. 

„Vielleicht", lachte sie, legte die Hand an den Türgriff, bevor sie innehielt und ihm noch einen Blick zuwarf. 

„Weißt du, wo er heute hinfährt?", fragte sie, doch ihr Vater sah sie entschuldigend an. 

„Nein. Aber ich weiß, dass dein Bruder es weiß. Aber anscheinend hat er geschworen, es niemandem zu sagen und bis jetzt scheint er sich noch daran zu halten", antwortete er. Sheila nickte resigniert. Wenn Matthias versprochen hatte, es niemanden zu sagen, dann würde es niemand von ihm erfahren. 

Ein Hupen ließ sie zusammenzucken. Sie warf noch einen letzten Blick zu ihrem Vater, der sie mit einer Handbewegung nach draußen scheuchte, dann stieg sie schnell aus und knallte die Tür zu. Sie sah ihm noch einen Moment nach, dann warf sie sich den Rucksack über die Schulter und warf einen Blick in den zweiten Stock zu Jonathans Wohnung. Als hätte sie es gewusst, sah sie ihn am Fenster winken. 

Schnell lief sie zur Tür und bevor sie den Finger auf die Klingel legen konnte, hörte sie schon den Türsummer. Als sie die Tür aufdrückte und die Treppe nach oben lief, fühlte sie sich seltsam beschwingt. Vorausgesetzt Jonathan würde sie nicht wieder nach Hause schicken, könnte sie für die nächsten zwei Tage den Kopf frei kriegen und einfach nur die Zeit genießen.

Slice of Life - A New Beginning IOù les histoires vivent. Découvrez maintenant