Kapitel 165 - Sheila

5 1 0
                                    

Schon nach einer halben Stunden wurden ihre Arme und Beine schwer, obwohl eigentlich die anderen beiden die schwere Arbeit übernahmen. Oskar ließ die schweren Kisten und alten Möbel langsam zu Jonathan die Leister hinunter rutschen, wo er sie annahm und in das alte Schlafzimmer von ihr und Ville brachte. Sie schob so gut es ging das ganze Zeug zu Oskar an die Luke, der ebenfalls ganz schön aus der Puste war. 

„Wie geht's deinem Bruder?", fragte er nachdem sie sich stumm darauf geeinigt hatten, nur noch leichte Teile nach unten zu bringen. Sheila wusste nicht recht, was sie darauf antworten sollte, denn sie konnte im Moment keine ehrliche Antwort geben. 

„Ich weiß nicht genau. Ich glaube er und Jonas haben sich gestritten, aber er ist irgendwie komisch. Er wollte nicht wirklich mit mir reden und vorhin war ich noch bei meinem Vater, der meinte, dass Lisa bei ihm wäre", berichtete sie schulterzuckend, während sie Tüten mit alten Klamotten nach unten warf. Warum hatten sie diese ganze Zeug nur aufbewahrt? Oskar musterte sie abschätzend, doch dann wandte er den Blick auf die Kiste, die er gerade in der Hand hielt. 

„Meinst du, sie vertragen sich wieder?", wollte er wissen, doch wieder zuckte sie nur die Schultern. 

„Hoffentlich", gab sie zurück und er murmelte irgendetwas Unverständliches. 

„Er hat dir nicht gesagt, was los ist?", fragte sie ihn, denn er schien irgendetwas zu wissen. 

„Nein, eigentlich nicht. Aber ich habe da so eine Ahnung", fing er an, doch er wollte anscheinend nicht mit der Sprache herausrücken. Neugierig trat sie einen Schritt näher an ihn heran. 

„Was weißt du?", fragte sie ihn, doch er schien sich zu winden, bis er nach ein paar Sekunden seufzte und sie ansah. 

„Das hast du nicht von mir, klar?", fragte er und zeigte mit dem Finger auf sie. Schnell nickte sie, denn sie wollte wissen, was er wusste. Immerhin waren Matthias und Oskar schon seit der ersten Klasse unzertrennlich. 

„Matthias hat ihn doch gefragt, ob er bei ihm einziehen will", fing er an und schnell nickte sie. Kurz senkte Oskar den Blick, doch dann straffte er die Schultern und sah sie wieder an. 

„Eigentlich ist es bescheuert, aber du weißt ja, was die beiden sich manchmal ausdenken, anstatt miteinander zu reden", fuhr er fort und wieder machte er eine Pause. Sheila ahnte Schreckliches. 

„Sagen wir es so: Matthias hat den nicht unbegründeten Verdacht, dass Jonas nicht treu ist. Er hat sich überlegt, dass er ablehnen würde, mit ihm zusammenzuziehen, wenn er seine... Affäre oder seinen Liebhaber oder was auch immer geheim halten will", sagte er in einem Guss und schloss kurz die Augen. 

„Was?", brachte Sheila nur heraus und sie versuchte, die Informationen zu verarbeiten. Oskar reichte noch eine Tüte nach unten, dann kratzte er sich am Kopf. 

„Sag ihm nicht, dass ich dir das erzählt habe. Aber Jonas hat Kontakt mit seinem Ex aus Saarlouis. Matthias ist der Meinung, dass Jonas ihn zu sich in seine Wohnung einlädt, da es auffallen würde, wenn er so oft dorthin fahren würde", erklärte er weiter, doch noch immer begriff sie nicht ganz, was das ganze Theater sollte. 

„Was heißt denn er hat Kontakt?", hakte sie nach, doch Oskar tat so, als würde er seinen Mund mit einem Schlüssel verschließen und diesen dann über die Schulter werfen. 

„Mehr sage ich nicht. Das musst du ihn selbst fragen", sagte er, dann arbeitete er weiter. Sheilas Hirn malte sich die verrücktesten Dinge aus, denn es war einfach nur unvorstellbar, dass Jonas untreu war. Immerhin war er selbst ziemlich eifersüchtig und ließ Matthias kaum alleine vor die Tür. 

„Ich glaube nicht, dass Jonas was gemacht hat", sagte sie mehr zu sich selbst, doch Oskars Blick verriet ihn. Er wusste, dass er irgendetwas gemacht hatte, aber anscheinend hatte er Matthias versprochen, es für sich zu behalten. Ungläubig sah Sheila ihn an, denn es schien ihr so absurd, allerdings würde es erklären, warum Matthias nicht mit ihr geredet hatte. Auf einmal fühlte sie sich schlecht, denn eigentlich mochte sie Jonas und glaubte nicht wirklich, dass er vielleicht sogar fremdgegangen war. 

„Wie sieht es da oben aus?", hörte sie Jonathan von unten rufen und sie sah sich einmal um. Tatsächlich sah man einen Unterschied zu vorher, doch sie hatten vielleicht gerade einmal ein Drittel geschafft. 

„Besser", sagte sie und suchte noch einmal Oskars Blick, doch er wich ihr aus. Keine zehn Sekunden später kam Jonathan nach oben geklettert und sah sich ebenfalls um. Er lächelte. 

„Ich würde sagen, wir haben für heute genug gemacht, oder? Ich spüre meine Arme kaum noch", sagte er und Oskar nickte. 

„Auf jeden Fall. Man sieht doch schon Fortschritte", antwortete er ihm, dann stieg Jonathan wieder nach unten und Oskar folgte ihm. 

„Danke noch mal", hörte sie Jonathan sagen, dann machte auch sie sich auf den Weg nach unten. 

„Ich habe diese Woche noch frei, ab Montag habe ich eine Woche Nachtschicht, aber ein bisschen Zeit hätte ich", sagte Oskar und sah abwechselnd Sheila und Jonathan an. 

„Ich meld mich, wenn wir Hilfe brauchen", sagte sie und spürte auf einmal das drängende Verlangen nach einer heißen Dusche und einem weichen Bett. 

„Okay, ich hau dann mal ab", sagte Oskar, hob die Hand zum Abschied und verschwand die Treppe nach unten. Sheila sah ihm nach, dann lehnte sie sich gegen Jonathan, der die Arme um sie legte. 

„Wir haben doch schon viel geschafft", sagte er und zog sie ohne die Arme herunterzunehmen ins Schlafzimmer. Er hatte alles fein säuberlich gestapelt und zur Balkontür einen schmalen Weg freigelassen. 

„Hast du gehört, was Oskar über Jonas erzählt hat?", fragte sie ihn, denn sie wollte seine Meinung dazu hören. Nicht nur, weil es ihren Bruder betraf und sie sich ein wenig Sorgen um ihn machte, sondern weil sie wissen wollte, wie er generell darüber dachte. Er verstärkte seine Umarmung und bejahte. 

„Wir sollten uns da nicht einmischen. Die beiden müssen das selbst klären", fügte er an, doch Sheila sah das anders. Immerhin war er doch ihr Bruder. 

„Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Jonas irgendetwas gemacht hat, aber irgendwann wird es rauskommen", sagte sie, doch Jonathan wand sich. 

„Denkst du, dass man jemandem verzeihen kann, wenn man fremdgegangen ist?", fragte sie und spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Sie hatte zwar nicht das geringste Interesse daran, Jonathan zu betrügen, doch es interessierte sie, wie er darüber dachte. Anscheinend wollte er nicht wirklich antworten, denn er atmete tief durch, ohne etwas dazu zu sagen. Mit sanftem Druck schob er sie in Richtung Treppe und sie gingen nach draußen zu seinem Auto. 

Slice of Life - A New Beginning IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt