Kapitel 111 - Jonathan

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Jonathan fühlte sich unwohl bei dem Gedanken daran, wie schwer es für Sheila werden würde. Nicht nur, dass sie mit seinen dagelassenen Sachen konfrontiert werden würde, sondern sie musste auch den Raum betreten, in dem er sie gewürgt hatte. Zusätzlich musste sie die Vorstellung aushalten, dass er alles mit Benzin übergossen hatte. 

Ihm lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Obwohl sie so enthusiastisch erzählt hatte, wie sie das Haus neu gestalten wollte, befürchtete er, dass ihr Vater recht haben könnte, dass sie heute Abend ziemlich fertig sein würde. Doch selbst wenn es so sein sollte, würde er für sie da sein und ihr zeigen, dass sie keinen Grund hatte, traurig zu sein.

Er konnte sich nur schwer aufs Fahren konzentrieren, doch irgendwie schaffte er es, unbeschadet anzukommen. Wieder parkte er seinen Wagen am Straßenrand direkt vor dem Haus und er stieg aus. 

Erinnerungsfetzen an jenen Abend schossen ihm durchs Hirn und schnell schüttelte er den Kopf, um sie zu vertreiben. Er sah sich suchend um, doch das Auto ihres Vaters konnte er noch nicht entdecken. Schnell warf er einen Blick auf sein Handy, doch sie hatte sich nicht gemeldet, also ging er davon aus, dass sie gleich ankommen würden. 

Sein Blick wanderte zum Haus. Als erstes fiel ihm auf, dass die Gardine im Wohnzimmer verschwunden war und man ziemlich gut hineinsehen konnte. Ohne es wirklich zu wollen setzten sich seine Füße in Bewegung und marschierten zum Fenster. Er legte die Hand über die Augen, um die Spiegelung abzuhalten und sah hinein. Das Wohnzimmer wirkte wie ein Rohbau. Alle Möbel waren herausgeräumt, die Tapete abgerissen und der Boden herausgerissen worden. In der Mitte des Raumes standen mehrere riesige Lüfter, wie man sie auch bei Wasserschäden zu Trocknung verwendet. 

Sein Herz pochte unangenehm. Hoffentlich war nicht das komplette Haus so sehr zerstört worden. Ein Motorengeräusch ließ ihn herumfahren, doch es waren nicht Sheila und ihr Vater, sondern nur ein vorbeifahrendes Auto. 

Er löste seinen Blick vom Wohnzimmer, oder eher dem, was einmal das Wohnzimmer gewesen war und lief zu dem anderen Fenster rechts von der Haustür. Wieder sah er hinein, doch hier schien noch alles normal zu sein. Es war ein kleines Gästezimmer, zumindest stand dort ein Bett und eine Kommode. Allerdings war es ziemlich unordentlich, die Schubladen waren aufgerissen und allerlei Krimskram lag auf dem Boden verstreut. 

Noch immer geschockt von dem Ausmaß des Schadens im Wohnzimmer ging er wieder zurück zu seinem Auto. Er hatte das dringende Gefühl, sich kurz setzen zu müssen, also setzte er sich wieder in sein Auto, ließ jedoch die Tür offen stehen, damit Luft herein kam. 

Obwohl Darren gesagt hatte, dass es ziemlich schlimm war, traf es ihn doch irgendwie unerwartet. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sogar die Böden und Tapeten hatten herausgerissen werden müssen. 

Nach einer Weile hatte sich sein Herzschlag wieder beruhigt, doch er zitterte noch immer. Es würde ganz schön viel Arbeit werden, das alles wieder bewohnbar zu machen, wenn noch mehr Räume so aussahen. 

„Hey", hörte er eine Stimme neben sich und er fuhr zusammen. Sheila lachte. 

„Wir sind es doch nur. Alles okay?", fragte sie und endlich schaffte er es, ihr ins Gesicht zu sehen. Eilig stieg er aus und schloss die Autotür hinter sich. 

„Ich war nur in Gedanken. Wie geht es dir? Wie war das Gespräch?", fragte er sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie winkte ab. 

„Eigentlich nicht so schlimm, aber ich bin ziemlich aufgeregt, wie es da drin aussieht", gestand sie und griff nach seiner Hand. Er schluckte. Sollte er sie schon einmal darauf vorbereiten, wie es im Wohnzimmer aussah? Doch bevor er sich entscheiden konnte, sah er im Augenwinkel einen Schatten. Er drehte sich um und blickte in die Gesichter von Darren und Matthias, die gerade neben ihnen aufgetaucht waren. 

„Die beiden sind nicht so schnell zu Fuß", lachte Sheila, doch ihr Lachen wirkte angespannt, so als versuchte sie dadurch, ihre Nervosität zu verdrängen. 

„Ich hole Oskar", sagte sie dann und löste sich von ihm, anschließend lief sie zum Nachbarhaus. Etwas verunsichert warf er Darren einen Blick zu. 

„Sieht schlimm aus, zumindest das Wohnzimmer", sagte er mit gedämpfter Stimme und sah, wie Matthias ruckartig den Kopf herumriss. Darren nickte und seufzte. 

„Ich war erst einmal drin. Unten war er nur im Wohnzimmer, aber oben ist es schlimmer", sagte er mit gerunzelter Stirn. Jonathan biss die Kiefer aufeinander. Seine Wut auf Ville stieg ins Unermessliche. 

Er ließ den Blick zu Sheila wandern, die vor der Haustür stand und sich offensichtlich mit jemandem unterhielt. Sie warf ab und zu einen nervösen Blick zu ihnen herüber, so als wollte sie sich entschuldigen, dass sie sie warten ließ. Noch knapp eine Minute blieb sie dort stehen, doch dann drehte sie sich um und kam, gefolgt von Oskar und zu seiner Überraschung auch Johnny, wieder zu ihnen. 

„Johnny musste sich noch umziehen", lachte sie, während Oskar und Matthias sich abklatschten. Johnny winkte ihm kurz zu und er erwiderte den Gruß. Darren verdrehte die Augen, dann ging er voran zum Haus. Sie alle folgten ihm im Gänsemarsch, wobei Sheila seine Hand so fest umklammerte, dass es ein wenig wehtat. Offensichtlich hatte sie Angst. Sanft strich er ihr mit dem Daumen über den Handrücken, in der Hoffnung, das würde ihr zumindest ein wenig Mut machen. Darren schloss die Tür auf und sie betraten den Flur. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now