Kapitel 143 - Sheila

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Sheila war nervöser als sonst, wenn sie zu Johnny und Oskar fuhr. Wenn sie daran dachte, wie Oskar sich fühlen musste, stülpte sich ihr der Magen um. Sie konnte nicht einschätzen, wie viel Johnny wusste, doch er war nicht blöd. Ville machte nicht gerade ein Geheimnis daraus, was ihr Vater ihnen angetan hatte, aber Oskar redete nicht darüber. Niemals. 

Sie umklammerte das Lenkrad so fest, dass sich ihre Finger ganz taub anfühlten, aber das lenkte sie zumindest ein wenig von ihren kreisenden Gedanken ab. Die Fahrt kam ihr heute unendlich lang vor und gleichzeitig wünschte sie sich, sie hätte einfach weiter fahren können. Vielleicht war Oskar ja gar nicht da und sie wäre mit Johnny allein, doch sie bezweifelte, dass er ihn an seinem letzten Tag hier auch nur eine Sekunde allein ließ. 

Sie atmete tief durch, dann warf sie einen Blick auf ihr Handy. Es gab nichts Neues. Sie schob es zurück in ihre Handtasche, dann stieg sie aus und ging mit zitternden Knien zur Haustür. Sie klingelte und warf noch einmal einen kurzen Blick zu ihrem Haus hinüber, doch es sah noch genau so aus wie gestern. 

Fast hätte sie erwartet, dass sich irgendetwas verändert hatte, aber es stand noch genau so da, wie es immer da stand. Äußerlich hatte es sich nicht verändert und doch war so viel darin passiert. Fast so wie bei Menschen, dachte sie sich. Von außen sah man oft ganz und gar gesund und fröhlich aus, während im Innern ein schreckliches Chaos herrschte. 

Sie schluckte, denn sie wusste, dass dieser Vergleich im Moment auf Oskar zutraf. Als die Tür auf einmal schwungvoll geöffnet wurde, erschrak sie. 

„Hey, komm rein", begrüßte Oskar sie und etwas überrumpelt folgte sie einer Einladung. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr die Tür öffnen würde, doch hier stand er vor ihr und sah sie freundlich lächelnd an. Wie er so ganz und gar normal aussah, verhärtete sich in ihr der Verdacht, dass es in ihm toben musste. Er war nur ziemlich gut darin, das zu verstecken. 

Etwas betreten sah sie ihn an, wie er hinter ihr die Tür schloss und sich dann an ihr vorbeischob. Ohne wirklich darüber nachzudenken packte sie ihn am Arm und hielt ihn fest. Er drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an, doch eigentlich wusste sie gar nicht, was sie sagen sollte. 

Panisch durchforstete sie ihr Hirn nach irgendetwas Sinnvollem, doch es wollte ihr einfach nichts einfallen. Stattdessen trat sie einen Schritt näher an ihn heran und umarmte ihn fest. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie gut es manchmal tat, einfach nur gehalten zu werden. Oskar erwiderte die Umarmung, doch nach ein paar Sekunden löste er sich wieder von ihr. Er senkte den Blick und schob die Hände in die Hosentaschen. 

„Johnny ist noch nicht fertig. Er meinte, seine Haare sind eine Katastrophe", sagte er leise und lächelte. Das klang typisch nach Johnny. Sheila lachte leise, doch dann fiel ihr etwas ein, was sie ihm noch sagen wollte. 

„Wenn du mal quatschen willst, wenn er nicht da ist, ich glaube Matthias würde sich freuen, noch mal was mit dir zu machen", sagte sie und stupste ihn am Arm an. Oskar hob den Blick und in seinen Augen lag Qual. 

„Ich weiß nicht. Ich will ihm das mit Jonas nicht kaputt machen. Ich komm schon klar", erwiderte er, doch es klang überhaupt nicht überzeugend. 

„Oder du kannst zu mir kommen", schlug sie weiter vor, aber er sah sie nur entschuldigend an und verzog sich. 

„Er ist oben", hörte sie ihn aus dem Wohnzimmer rufen und sie verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Er wollte allein sein. Oder zumindest nicht mit ihr zusammen. 

Bevor sie zu lange darüber nachdenken konnte, streifte sie sich die Schuhe ab, zog die Jacke aus und lief die Treppe nach oben.

„Johnny?", rief sie leise, woraufhin er den Kopf durch die Tür seines Ankleidezimmers steckte. 

Slice of Life - A New Beginning IWhere stories live. Discover now