Kapitel 85 - Jonathan

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Als Jonathan die Augen aufschlug, blinzelte er in die helle Sonne, die genau durch das Dachfenster in sein Gesicht schien. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich an das helle Licht gewöhnt hatte, dann streckte er suchend die Hand nach Sheila aus. 

Bei dem Gedanken an ihren ersten richtigen Streit letzte Nacht wurde ihm mulmig zumute. Sie hatte gewirkt, als wollte sie sich streiten, doch gleichzeitig schien sie wirklich verletzt zu sein. Er würde wohl noch einige Wochen brauchen, bis er sie richtig einschätzen konnte, denn sie wirkte manchmal, als würde sie ihn nur an ihrer Oberfläche kratzen lassen und er nur ganz selten bis in ihren inneren Kern vordringen konnte. 

Gestern hatte anscheinend kurz ihr Innerstes hervorgeschaut, doch er würde versuchen, öfter ihre Fassade zu durchdringen. Auch wenn es schmerzhaft werden würde, er wollte alles von ihr wissen und ihr engster Vertrauter werden. 

Er streckte sich, dann lauschte er einen Moment, ob er sie vielleicht im Bad oder in der Küche hörte, doch es herrschte nichts als eine schreckliche Stille. Panisch sprang er auf und rannte die Treppe nach unten. Sie war doch nicht etwa abgehauen? Sein Herz hämmerte ihm gegen die Brust, doch da sah er etwas kleines gelbes auf dem Boden liegen. Schnell hob er es auf. Es war ein kleiner Post-It, auf den sie etwas geschrieben hatte. 

„Ich bin joggen, bin gleich zurück", las er, dann ballte er die Faust um den Zettel. Er musste lachen, dass er so panisch aufgesprungen war und beinahe erwartet hatte, dass sie weggelaufen war. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie weg sein würde, doch er beschloss, sich erst einmal unter die Dusche zu stellen. Sollte sie dann noch nicht da sein, könnte er kurz bei seinen Eltern Bescheid sagen, dass er mit ihr hier war.

Fünf Minuten später ließ er sich vom heißen Wasser berieseln und spürte förmlich, wie der Stress der letzten Tage von ihm abfiel. Wie froh er sein würde, wenn dieser verdammte Prozess vorbei war und er endlich mit ihr zusammen unbeschwert leben konnte. Wenn sie nicht mehr einen Gedanken an ihn verschwendete. 

Er stellte die Dusche ab, trocknete sich schnell ab und zog sich etwas Bequemes an. Gerade als er das Bad verließ, klopfte es an der Tür. Durch das milchige Glas erkannte er eindeutig ihre pinken Haare. Schnell öffnete er ihr und strahlte sie an. 

„Da bist du ja wieder", sagte er und trat einen Schritt beiseite, damit sie hereinkommen konnte. Sie schien ziemlich aus der Puste zu sein und ihre Wangen leuchteten rot. Sie schnaubte, dann drängte sie sich an ihm vorbei in die Küche und trank gierig einige Schlucke aus dem Wasserhahn. Erst als sie sich mit dem Handrücken den Mund abwischte, sah sie ihn richtig an. 

„Ich bin etwas aus der Übung", keuchte sie, wobei sie sich den Schweiß aus der Stirn wischte. 

„Wie lange warst du denn unterwegs?", fragte er, woraufhin sie einen Blick auf die Wanduhr im Wohnzimmer warf. 

„Vielleicht eine Stunde", sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Seine wanderten ebenfalls nach oben. 

„Das nennst du aus der Übung? Ich schaffe noch nicht einmal zwanzig Minuten", staunte er, dann streckte er die Hand nach ihr aus. 

„Ich schwitze", gab sie zurück, doch er zog sie trotzdem kurz in die Arme. 

„Früher war ich öfter mit Johnny und Jonas laufen. Wobei Johnny und ich ziemlich alt aussehen", lachte sie, dann machte sie sich auf den Weg in Richtung Schlafzimmer. 

„Jonas wirkte ziemlich sportlich", erinnerte er sich. 

„Er läuft Marathon, der Verrückte", rief sie von oben zu ihm herunter, dann hörte er sie den Reißverschluss ihrer Tasche aufziehen. Er lehnte sich lässig gegen den Türrahmen im Wohnzimmer und wartete, bis sie wieder nach unten kam. 

„Eigentlich lustig, denn mein Bruder schafft noch nicht einmal eine Liegestütze", lachte sie, anschließend kam sie wieder nach unten. In den Händen hielt sie ein Bündel frische Kleidung, dann küsste sie ihn schnell auf den Mund. 

„Ich gehe schnell duschen", sagte sie und schob sich an ihm vorbei. 

„Ich rufe kurz meine Eltern an. Sie sollten vielleicht doch mal erfahren, dass wir hier sind", sagte er und sah, dass sie nickte. 

Als er das Wasser der Dusche plätschern hörte, setzte er sich genau wie vergangene Nacht auf das Sofa und griff nach seinem Handy auf dem Tisch. 

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