Kapitel 123 - Sheila

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Esra umklammerte Sheilas Hand den ganzen Weg über so fest, dass sie sie am liebsten abgeschüttelt hätte. Nach einer gefühlten Ewigkeit standen sie vor einem gelben Gebäude, das von außen gar nicht wie eine Klinik aussah. Es wirkte eher wie ein ganz normales Wohnhaus, doch das Schild neben der Tür wies es eindeutig als gynäkologische Klinik aus. 

Sheila hatte gar nicht gewusst, dass hier ein Arzt war, der Abtreibungen durchführte. Sie hatte sich immer vorgestellt, dass es nur eine Handvoll Ärzte gab, die so etwas machten, doch anscheinend hatte sie sich geirrt. 

„Hier ist es", hörte sie Esra neben sich sagen und schnell warf sie ihr einen Blick zu. 

„Bist du dir sicher, dass du das machen willst?", fragte sie vorsichtig, doch sie nickte selbstsicherer, als erwartet. 

„Okay", erwiderte sie, dann gingen sie hinein.

Drinnen sah es aus, wie eine ganz normale Arztpraxis und doch herrschte eine angespannte Stimmung. Esra ließ ihre Hand erst los, als sie aus ihrer Tasche einen kleinen Zettel kramte. 

„Hallo, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?", fragte eine freundliche Stimme von der Rezeption aus, die noch einige Schritte entfernt lag. Ein wenig unsicher ging Esra näher heran, Sheila folgte ihr. Sie legte den Zettel, den sie aus ihrer Handtasche geholt hatte, auf den Tresen und räusperte sich. 

„Ich habe einen Termin", sagte sie leise und die Frau nahm den Zettel und betrachtete ihn. Sie hatte braune Haare, die sie als Bob trug und ziemlich markante Gesichtszüge. Sie tippte irgendetwas in ihren Computer, dann wandte sie sich wieder Esra zu.

„In Ordnung, nehmen Sie noch einen Moment im Wartezimmer Platz, Frau Demirci", sagte sie schließlich und setzte ein Lächeln auf. 

„Kann meine Freundin mitkommen?", fragte sie noch und warf Sheila einen schnellen Blick zu. 

„Natürlich. Allerdings müssten Sie während des Eingriffs im Wartebereich bleiben", antwortete sie an Sheila gerichtet und schnell nickte sie. 

„Danke", hörte sie Esra sagen, dann gingen sie durch eine Glastür mit der Aufschrift „Wartebereich". Außer ihnen war nur ein anderes Mädchen hier. Sheila schätzte sie auf knapp 16 und als sie sie bemerkte, hob sie für eine Sekunde schüchtern den Blick. Sheila lächelte ihr zu, doch das Mädchen beachtete sie nicht weiter. 

Sie setzten sich in die andere Ecke des Zimmers, das einfach nur ein quadratischer Raum mit Stühlen an den Wänden war. Die Wand, die zur Rezeption lag, war über den Stühlen aus Glas. In der Mitte des Raums stand ein kleiner Glastisch, auf dem eine Reihe von Zeitschriften lag. 

Sheila versuchte nicht daran zu denken, was das hier für eine Klinik war. Sie wollte nicht daran denken, dass sie selbst zweifache Mutter hätte sein können. 

„Danke, dass du mitkommst. Erst wollte ich Matthias fragen, aber... das schien mir irgendwie unpassend. Er hat doch im Moment selbst so viele Probleme", hörte sie Esra auf einmal neben sich sagen. 

„Schon okay, solange ich dir ein wenig helfen kann", antwortete sie mit festerer Stimme, als sie selbst erwartet hatte. 

„Ich hoffe nur, dass Jonas ihm glaubt", fuhr Esra dann fort und seufzte resigniert. „Ich auch", stimmte Sheila ihr zu, doch sie glaubte noch nicht wirklich daran. „Tut mir übrigens leid, was dir passiert ist", setzte sie nach, doch Sheila zuckte nur die Schultern. Es war klar, dass sie die Sache mit Ville meinte, doch daran wollte sie im Moment nicht denken. 

„Ich versuche eigentlich, nicht mehr an ihn zu denken. Auch wenn es mir manchmal noch schwer fällt", gestand sie und spürte auf einmal eine Hand auf ihrem Arm. Ein wenig erschrocken sah sie Esra an. Ihre braunen Augen wirkten ehrlich mitfühlend und Sheila staunte nicht zum ersten Mal darüber wie hübsch sie doch war. 

Slice of Life - A New Beginning IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt