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Wie in Trance schmeiße ich irgendwelche Sachen in meine große Reisetasche und heule mir dabei die Augen aus. Ich kann nicht fassen, dass Roy mich schon wieder geschlagen hat und ich kann nicht fassen, dass er mich jetzt wirklich in irgendeinem Puff in Amsterdam versauern lassen will.

Während der gesamten zweistündigen Fahrt rede ich kein Wort mit ihm und wenn er mich anspricht, ignoriere ich ihn stur, bis er gut fünfzig Kilometer vor Amsterdam die Beherrschung verliert.

"Antworte mir, wenn ich dich was frage, verdammt", sagt er laut. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wenn ich was falsches sage, schlägst du mir hinterher wieder ins Gesicht", gebe ich patzig zurück, sehe ihn dabei jedoch nicht an.

"Es tut mir leid, okay? Ich habe einfach die Nerven verloren. Du bist so wahnsinnig stur und nach allem was wir miteinander durchgemacht haben kann ich einfach nicht glauben, dass du an meiner Liebe zu dir zweifelst. Hast du denn vergessen, wieso wir das alles hier machen? Wir wollen uns doch was miteinander aufbauen, eine gemeinsame Zukunft. Hast du das vergessen? Hast du unser Ziel aus den Augen verloren?", redet er auf mich ein.

Ich drehe mich abrupt zu ihm um. "Nein, Roy. Ich habe unser Ziel nicht aus den Augen verloren. Ich will genau wie du eine Familie, Kinder, ein Haus. Ich will in Frieden leben. Der Unterschied zwischen uns beiden ist aber, dass ich nicht bereit bin, dafür über Leichen zu gehen und du schon. Siehst du denn nicht, dass es mir mit jedem verschissenen Tag und jedem dieser ekelhaften Kunden schlechter geht? Siehst du denn nicht, dass ich immer dünner und freudloser werde? Siehst du das alles nicht, oder ist es dir einfach nur egal?" Ich rede mit ruhiger Stimme, ich schreie nicht und ich fluche nicht, und trotzdem weiß ich, dass mein Verhalten in seinen Augen wieder ziemlich grenzwertig ist.

Roy legt seine Hand auf meine und streichelt meinen Arm hoch. Seine Berührung lässt mich im ersten Moment erschrocken zusammen zucken, was mir nur zeigt, wie tief meine Angst vor ihm schon sitzt.

"Doch, Malia, ich sehe das. Aber du siehst nicht alles, was ich sehe. Wir müssen jetzt einfach dran bleiben und dürfen nicht aufgeben. Maximal noch bis zum Jahresende, dann kann ich alles abbezahlen, den Laden verkaufen und wir können uns komplett aus dem Milieu zurückziehen und unser neues Leben beginnen. Bitte hab einfach nur noch so lange Geduld und vertrau auf die Pläne, die ich habe, auch wenn ich dir nicht jeden einzelnen Schritt offen legen kann."

"Dann lass mich doch bitte einfach zuhause bleiben. Dreh um und lass uns wieder zurück fahren", bettele ich. "Malia, das funktioniert nicht, meine Fresse, glaub mir das doch! Wir sind jetzt beide im Fokus der Polizei und es wird nicht lange dauern, bis sie dich wieder belabern werden, so lange, bis du nachgibst, und ihnen sagst, was sie hören wollen. Und dann sind Geld oder anschaffen unser kleinstes Problem, denn dann stecken die mich in den Knast und alles was du von mir kriegst ist ein kurzer Brief alle paar Tage. Dann kann ich mich nicht mehr um dich kümmern und für dich sorgen, wie du es gewohnt bist."

"Kannst du auch nicht, wenn ich in Amsterdam bin und du in Düsseldorf", gebe ich renitent zu bedenken.

"Kann ich wohl, weil du dort trotzdem unter meinem Schutz stehst und ich weiß, dass Cream auf dich aufpassen wird, sonst würde ich dich doch niemals dahin schicken", gibt er zurück und führt meine Hand zu seinem Mund, um einen kleinen Kuss darauf zu platzieren. "Babe, du musst mir einfach vertrauen. Ich bitte dich."

Ich schweige. Ich kann ihm nicht mehr vertrauen, er hat mein Vertrauen schon viel zu oft gebrochen und ich glaube ihm auch nicht mehr, was er erzählt. Ich glaube ihm mittlerweile nicht mehr, dass sein Ziel ist, eine Familie mit mir zu gründen. Ich kann ihm langsam kein einziges Wort mehr glauben, das seinen Mund verlässt, aber ich schweige, weil ich keine Kraft mehr habe, diesen aussichtslosen Kampf zu führen. Es führt ja doch zu nichts, es raubt mir nur noch mehr Energie.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt