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Meine Mutter steht nicht wie erwartet vor der Tür, sondern auf dem schmalen Weg, welcher vom Haus zum Parkplatz führt. Die quadratischen Steinplatten, die eben diesen Weg pflastern, sind alt und abgenutzt und die Fugen von Gras und Unkraut durchwachsen.

Mit schnellen Schritten laufe ich auf meine Mutter zu, die lautstark und unaufhörlich pöbelt: "Verzieh dich hier, Junge und hör auf dich an die kleinen Mädchen ranzumachen, hasse gehört? Ekliger Schmierlappen!"

Ich verdrehe die Augen. Ist das ihr Ernst? Das muss sie ja nun wirklich gerade sagen. Manchmal frage ich mich wirklich, woher ihre verschobene Wahrnehmung in Bezug auf Detlef herkommt. Sieht sie einfach nicht, wie er wirklich ist?

"Bis bestimmt auch einer von diesen Zuhältern, wa! Siehs' schon aus wie einer!", schimpft sie weiter und zieht an einer ihrer gestopften Zigaretten.

Ich würde lieber aufhören zu rauchen, bevor ich solche Dinger anfassen würde.

"Mama!", zische ich, doch sie ist so in Fahrt, dass sie mich gar nicht wahrnimmt, im Gegensatz zu einigen Nachbarn, die sich schon schaulustig und sensationsgeil an ihren Fenstern oder auf den Balkonen versammelt haben und unser kleines Schauspiel hier unten amüsiert beobachten.

"Mama!", rufe ich nun deutlich lauter und sie fährt zu mir herum. "Malia!", raunzt sie garstig zurück und kneift ihre kleinen grünen Augen zusammen.

"Was bitte machst du hier?", frage ich sie entgeistert. Ich sehe es zwar, doch ich kann es nicht fassen, wie tief sie mittlerweile gesunken ist.

"Das sollte ich dich ma lieber fragen, Frollein! Was machse denn in so ner Proletenkarre? Und überhaupt, was hasse denn mit sonne Kerle zu schaffen? Tuhse für den anschaffen oder was?"

Das hat sie jetzt nicht gerade wirklich gesagt, oder?

Ich merke, wie mir alle Gesichtszüge entgleisen und mir die Kinnlade runter fällt.

"Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen? Vielleicht solltest du mal weniger saufen", fahre ich sie empört an. Es ist das erste Mal, dass ich so klar und deutlich, aber auch so respektlos mit ihr spreche.

Nun wirkt sie fassungslos: "So redes du nich mit mir, du Früchtchen!"

Direkt falle ich ihr ins Wort und baue mich vor ihr auf. Ich bin sowieso ein gutes Stück größer als sie, doch nun stelle ich mich gerade hin, drücke den Rücken durch und die Brust raus.

Ich sehe ihr direkt in die Augen und sage: "Nein, Mama, so redest du nicht mit mir. Ich bin es leid, mich von dir wie Dreck behandeln zu lassen! Merkst du eigentlich noch was? Wie du dich hier gerade aufführst, in deiner einzigen Jogginghose und mit deinem Hackenporsche voller Bierpullen ist einfach nur peinlich."

Dann kehre ich ihr den Rücken und laufe an ihr vorbei und auf Roys Wagen zu, ohne mich zu verabschieden.

Ich werfe Roy einen kurzen Blick zu, der mich scheinbar die ganze Zeit über im Auge behalten hat. Sein Blick ist leer und sein Gesicht verrät mal wieder nichts über seine Gefühlslage.

Lautlos seufze ich auf. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich für dieses Theater hier schäme und am liebsten würde ich nun sehr sehr weit weg rennen, aber meine Mutter hat mir gerade einen weiteren Grund gegeben, nie mehr nachhause kommen zu wollen.

Alles ist besser als dort. Auch mich jetzt Roy stellen zu müssen.

Zielstrebig öffne ich die Autotür und lasse mich auf den Beifahrersitz gleiten.

Ich werfe meine Mutter noch einen kurzen Blick zu, die dort wie angewurzelt steht und mir schockiert nachstarrt.

Fast tut sie mir schon wieder leid. Aber auch nur fast.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt