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"Direkt hier im Flur oder willst du wenigstens erst mal reinkommen?", frage ich sie und versuche mit diesem kleinen Witz meine Unsicherheit zu überspielen.

Ihr Blick und ihre angespannte Stimmung machen mir Angst. Das ist heute wirklich nicht der Tag, an dem ich auch noch schlechte Nachrichten ertragen kann.

Doch wenn Joana so ernst ist und mir extra einen Besuch abstattet, muss das einen triftigen Grund haben.

Joana betritt den kleinen Flur und schließt die weiße Wohnungstür hinter sich. Fahrig streift sie ihre Sneakers von den Füßen, die sie auch trotz der warmen Temperaturen trägt.

In ihrem engen schwarzen Jeansrock und dem rosanen T-Shirt mit aufgedruckten Schriftzug läuft sie zielstrebig zu meinem kleinen Wohnzimmer und nimmt auf der Couch Platz.

"Du musst jetzt sehr stark sein, okay?", beginnt sie und sieht mich dabei ernst an.

Ich habe nicht das Gefühl als hätte ich auch nur noch ein Fünkchen Stärke in mir, im Gegenteil: ich fühle mich völlig ausgelaugt und leer.

Doch ich sage Joana nichts davon, sondern setze stattdessen ein gespieltes Lächeln auf und nicke überzeugend.

Je weniger ich an gestern denke und davon rede, desto weniger real ist das ganze.

"Wir werden uns bald nicht mehr so oft sehen", beginnt sie sanft. In ihrem Gesicht liegt Bedauern und ihre Augen sind traurig und müde. Es fällt schwer, noch etwas von ihrer einstigen Lebensfreude in ihrem Gesicht zu erkennen.

Ganz wie bei mir.

"Was? Wieso? Du gehst doch nicht etwa zurück nach Rumänien, oder?", frage ich sie überrascht.

Entschieden schüttelt sie den Kopf. "Nein, das kann ich momentan noch nicht. Aber ich werde nicht mehr im Mirage arbeiten", erklärt sie.

Ich nehme eine der beiden Kaffeetassen und werfe einen Zuckerwürfel hinein.

"Wieso nicht? Macht dir das Tanzen keinen Spaß mehr?", frage ich betrübt und schütte parallel den heißen Kaffee in die weißen kleinen Tassen.

"Doch, natürlich macht mir das noch Spaß, ich liebe das Tanzen genauso wie du", antwortet sie und nimmt mir dankbar eine der Tassen aus der Hand.

"Woran liegt es dann? Hast du einen neuen Job gefunden?", hake ich nach.

Ich kann mir einfach keinen Reim darauf bilden, dass sie scheinbar von heute auf morgen gekündigt hat.

Ob sie Stress mit Roy oder Joker hatte?

Aber hätte Roy mir dann nicht davon berichtet?

"Sozusagen", antwortet sie schwammig und tunkt einen der Schokoladenkekse in ihre Tasse.

Ich habe das Gefühl, dass sie mir gerne mehr erzählen würde, als sie kann - oder darf. Ich bin neugierig, will ihr aber auch nicht zu nah treten.

"Ich werde ab jetzt oben arbeiten", bringt sie kleinlaut Licht ins Dunkel.

"Oben? IM ROUGE?", frage ich entsetzt. Das kann sie doch nicht ernst meinen.

Nach dem gestrigen Tag kann ich diesem Puff und der Prostitution noch weniger abgewinnen als je zuvor.

Ich will mir nicht vorstellen, dass meine liebgewonnene Freundin auch an einen solchen Psychopathen wie David gerät.

Joana nickt nur und beißt beherzt in den runden Keks.

"Joana, das ist doch bitte nicht dein Ernst", entfährt es mir aufgebracht. "Du verdienst doch gutes Geld mit dem Tanzen, das hast du mir selbst immer gesagt, und wenn du mehr willst, kannst du ab und an mit Kunden ins Séparée gehen. Aber wenn du oben arbeitest, dann machst du ja nichts anderes mehr als mit den Typen zu schlafen."

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt