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Es ist Lion, zusammen mit Jonah und einem weiteren jungen Mann, der mir nicht bekannt vorkommt, die laut lachend und quatschend durch die Straße ziehen.

Sein Lachen klingt wie Musik in meinen Ohren und zwingt mich, immer wieder zu ihm zu sehen. Er sieht so schön aus, wie er über das ganze Gesicht strahlt, so unbeschwert und glücklich.

"Bitte lass ihn mich nicht entdecken", murmele ich leise. "Bitte nicht, nicht jetzt." Ich sage es auf wie ein Mantra, immer und immer wieder.

Ich will nicht, dass er mich in diesem Zustand sieht, und ich will seine gute Laune nicht zerstören. Er hat schon genug gelitten wegen mir.

Die kleine Dreiergruppe kommt immer näher und so sehr ich es auch versuche, ich kann meinen Blick nicht von Lion abwenden.

Wer weiß, wann ich ihn das nächste Mal sehe..

Als er dann plötzlich beiläufig zu mir herüberschaut und sein Blick den meinen trifft, durchfährt es mich wie ein Blitzschlag.

Lion stockt einen Moment, verharrt dann in seiner Bewegung und starrt mich ungläubig an. Von seinem Lachen und seiner Leichtigkeit ist in dem Bruchteil einer Sekunde keine Spur mehr vorhanden. Abrupt drehe ich mich weg. Ich weiß mir einfach nicht anders zu helfen.

Von wegen "Soll doch jeder sehen, was passiert ist" - in diesem Moment wünsche ich mir eine Burka mit Gesichtsschleier, die jeden Millimeter meines Körpers verhüllt.

"Wartet kurz hier auf mich Jungs, ich bin sofort wieder da", ertönt Lions schöne Stimme durch die Stille der Nacht.

Er kommt doch jetzt nicht wirklich zu mir rüber, oder?

Doch entgegen meiner letzten Hoffnung höre ich Lions Schritte zielstrebig auf mich zukommen.

"Malia?", fragt er leise und legt sanft seine Hand auf meinen Oberarm.

Ich bewege mich nicht.

Ich kann ihm nicht in die Augen sehen.

Lion legt behutsam seine Hand an mein Kinn und dreht mein Gesicht zu sich.

"Scheiße, wie siehst du denn aus?", entfährt es ihm erschrocken. "Schau mich an, Malia", befiehlt er nun in ungewöhnlich strengem Tonfall.

Lion riecht ein wenig nach Alkohol und Gras, was auch erklären würde, wieso er zu Fuß unterwegs ist.

Unsicher hebe ich meinen Blick und sehe in zwei schöne grüne Augen, die mich schockiert anstarren.

"War er das Malia? War das Roy?", fragt er mich aufgebracht. Sein ganzer Körper wirkt angespannt und sein markanter Kiefer steht noch deutlicher hervor als sonst eh schon.

Ich antworte ihm nicht. Es ist nicht mal so, dass ich nicht will - ich kann nicht.

"Malia, rede mit mir verdammt. War das Roy? Hat er dich so zugerichtet?" Lion nimmt nacheinander erst meine linke und dann meine rechte Hand und dreht sie hin und her, um meine Arme zu begutachten, die ebenfalls von zahlreichen Hämatomen übersät sind.

Lion rauft sich seufzend durch die dichten dunklen Haare und lacht dann verzweifelt auf. "Das reicht jetzt, Malia. Ich nehme dich jetzt mit zu mir, ich habe mir das alles schon viel zu lange tatenlos mit angeschaut", knurrt er und will nach meiner Hand greifen, doch ich ziehe sie zurück.

"Lass mich einfach, Lion", flüstere ich leise, fast tonlos.

Er hat keine Ahnung, was ich durchgemacht habe. Er weiß nicht, wie tief ich gesunken bin. Und er ist sich nicht annähernd dessen bewusst, wie gefährlich es für uns beide ist, dass wir nur miteinander reden.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt