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Montagmorgen erreiche ich meine Schule erst relativ spät. Ich bin ziemlich schlecht aus dem Bett gekommen, nachdem ich meinen Wecker mehrmals auf schlummern gestellt habe und habe dann auch noch rumgetrödelt, weshalb ich jetzt gehetzt über den leeren Flur renne. Die anderen Schüler sind wohl alle schon im Unterricht.

Ich bin ganz froh, dass ich heute wieder Schule habe und mich so von den Gedanken rund um Lion ablenken kann. Die Begegnung mit ihm im Mirage hat mir das ganze Wochenende noch nachgehangen und ich musste immer wieder an seinen schockierten Gesichtsausdruck denken.

Gedankenverloren stoße ich mit einem anderen Schüler aus meiner Stufe zusammen, den ich nur flüchtig kenne.

"Sorry, Lukas, ich habe dich nicht kommen sehen", entschuldige ich mich laut bei dem großen blonden Jungen, während ich schon langsam weiter laufe.

"Kein Problem, bist bestimmt noch müde vom Wochenende was?", gibt er grinsend zurück.

"Ja voll", antworte ich lachend und will mich gerade von ihm wegdrehen, als er erwidert: "Glaube ich dir. In so 'nem Nachtclub muss man ja bestimmt immer lange arbeiten."

Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich fahre geschockt zu ihm herum. "Was meinst du?", frage ich panisch.

"Ich habe gehört, dass du in diesem Club auf der Lambertusstraße arbeitest. Ménage oder so."

"Mirage", korrigiere ich ihn aus Reflex und könnt mich dafür selbst ohrfeigen. "Ich kellnere da", schiebe ich schnell hinterher.

"Ja ja", sagt er bloß und zwinkert mir wissend zu, bevor er in einen der Klassenräume verschwindet.

Ich hoffe, dass ihm sein dreckiges Grinsen im Hals stecken bleibt.

Der Flurfunk scheint ja wieder rasend schnell zu funktionieren. Sofort schießt mir eine Frage in den Kopf: Wer hat das rumerzählt?

Diese Information kommt doch nicht etwa wirklich von Lion, oder?

War er es, der gepetzt hat?

Eigentlich traue ich ihm sowas nicht zu, andererseits habe ich ihn in den letzten Wochen des öfteren ziemlich verletzt und es könnte ja sein, dass er auf diesem Weg Rache nehmen will.

Ich meine - wer sollte es auch sonst gewesen sein?

Ich versuche mich an die anderen Typen zu erinnern, die an diesem Abend ebenfalls zu der Geburtstagsgesellschaft gehörten, aber außer Lions Gesicht habe ich keins mehr vor Augen. Er hat mich einfach so aus dem Konzept gebracht, dass ich auf keinen anderen mehr achten konnte.

Es könnte schon sein, dass dort noch andere Mitschüler oder ehemalige Mitschüler von mir waren, aber wissen tue ich es nicht. Der Einzige, den ich definitiv erkannt habe, ist Lion.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken, dass er mich mittlerweile so sehr hassen könnte, dass er mir derart schaden wollte.

Mit schweren Schritten laufe ich zu dem Klassenzimmer, in dem mein jetziger Biologieunterricht vermutlich schon in vollem Gange ist.

Wie viele wissen es noch?

Wie weit hat sich schon herum gesprochen, dass Malia, die damalige graue Maus, jetzt strippt?

Langsam klopfe ich an die Tür. Ich würde am liebsten postwendend kehrt machen und nachhause flüchten, aber meine Vernunft siegt mal wieder.

"Herein", ertönt es dumpf von drinnen. Ich atme noch einmal tief durch und öffne dann mit unwohlem Gefühl die Tür.

Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Manchen sehe ich direkt auf den ersten Blick an, dass das Getratsche sie auch bereits erreicht hat. Andere wissen noch nicht Bescheid oder geben sich zumindest mehr Mühe, es zu verbergen.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt