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Ich öffne mit Schwung die Haustür und erschrecke mich fast zu Tode, als Roy direkt vor mir steht und mich mit seinem typischen grimmigen Blick anstarrt.

"Hey", begrüße ich ihn vorsichtig. Irgendwie habe ich Angst vor seiner Reaktion. "Hi", erwidert er kühl.

Kein Kuss, keine Umarmung, stattdessen mustert er mich irritiert.

"Willst du joggen gehen?", fragt er nüchtern. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

"Ne, ganz bestimmt nicht. Also, das war so: Ich.. Müssen wir hier in der Haustür stehen? Können wir uns vielleicht kurz ins Auto setzen?", plappere ich aufgeregt vor mich hin.

Roy verzieht immer noch keine Miene. Er nickt kurz und läuft dann einfach zu seinem Wagen. Anstatt mir jedoch wie sonst immer die Tür aufzuhalten steigt er einfach ein.

Okay, er ist also sauer. Gut, dass wir das auch schon mal geklärt haben.

Schnell tue ich es ihm gleich und lasse mich auf dem Beifahrersitz nieder.

Roy guckt mich grimmig an. Seine Augen haben wieder diesen eiskalten Ausdruck, dass es mich fröstelt.

"Es tut mir leid. Alles. Ich bin gerade erst wach geworden, als ich dir geschrieben habe. Ich wollte dir noch antworten, dass ich 13.30 Uhr nicht schaffe, aber dann ist mein Handy einfach ausgegangen und es geht auch nicht mehr an." Zum Beweis reiche ich ihm mein iPhone.

Roy zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich skeptisch einen Moment lang. Ich werfe ihm einen entschuldigenden Blick zu. Daraufhin senkt er seinen Blick und widmet sich meinem iPhone. Er drückt ein paar Knöpfe in verschiedenen Variationen und murmelt: "Ich wusste gar nicht, dass es noch Exemplare des ersten iPhone gibt."

Augenverdrehend antworte ich: "Das ist ein iPhone 7!"

Er stößt einen anerkennenden Pfiff aus und erwidert ironisch: "Oh, iPhone 7 sogar." Dann schmeißt er mir mein Handy zurück und schaut mich ernst an.

"Das Ding ist hinüber. Wahrscheinlich einfach Materialermüdung oder so. Passiert schon mal, wenn die Dinger zu alt sind. Die sind mittlerweile darauf ausgelegt, dass die Leute sich sowieso alle zwei Jahre ein neues kaufen."

Würde ich ja auch gerne. Kann ich bloß nicht.

Traurig schaue ich ihn an. Er hat mir gerade die Bestätigung für das gegeben, was ich schon befürchtet habe. Bye bye, Außenwelt.

"Erklärst du mir auch noch, was es mit deinem legeren Outfit auf sich hat?", fragt er nun mit einem missbilligenden Blick auf meine ausgeblichene Jogginghose. Die Art, wie er mir die Worte entgegen spuckt hat etwas abwertendes.

"Ich habe es nicht mehr geschafft mich umzuziehen. Ich habe dein Auto gehört und bin schnell runter gekommen um dir Bescheid zu sagen, da ich dich ja nicht erreichen konnte", erkläre ich daher beschämt.

Roy scheint einen Moment zu überlegen und antwortet dann: "Pass auf. Du gehst jetzt schnell hoch und ziehst dir was Vernünftiges an und dann kümmern wir uns um dein Handy-Problem, okay? Ich gebe dir zehn Minuten, na los."

Dankbar grinse ich ihn an und steige aus seinem Wagen. Ich will gerade die Tür schließen, als mein Name ertönt.

"Malia?", ruft eine kratzige Stimme ungläubig. Ich brauche mich nicht umzudrehen um zu wissen, wem sie gehört; ich kannte diese Stimme schließlich schon bevor ich das Licht der Welt erblickt habe.

Meine Mutter.

Das kann doch jetzt nicht wahr sein.

Panisch werfe ich einen Blick in den Wagen und registriere, die halb offenen Fenster und Roys aufmerksamen Blick, der auf mir liegt.

Schnell knalle ich die Autotür zu und laufe den kleinen Weg zu unserer Eingangstür entlang.

"Malia!", ruft sie erneut.

Ich verharre in meiner Bewegung und schaue nach links, wo die Stimme herkommt. Tatsächlich kommt sie gerade angewatschelt, allerdings immerhin alleine. Es ist also nur eine Katastrophe, kein Supergau.

In ihrer rechten Hand hält sie eine Zigarette und in ihrer linken einen verdreckten Einkaufstrolley, dessen Inhalt durch die klirrenden Geräusche bei jedem Schritt leicht zu erraten ist.

Ihre kurzen dunkelroten Haare hängen strähnig herunter. Sie trägt eine fleckige quietschbunte Trainigsjacke aus den Achtzigern und eine ausgebeulte Jeanshose, dazu türkise Clogs mit weißen Tennissocken.

Wenn man sie so sieht, würde man denken, sie ist eine Obdachlose auf der Suche nach Pfandflaschen.

Sie schließt zu mir auf und fragt lautstark: "Was ist das denn da für 'ne Prollkarre aus der du aussteigst?"

Oh. Mein. Gott.

Boden, tu dich auf und verschling mich im Ganzen!

Ich werfe einen schnellen Blick zu Roy, der die ganze Szene wachsam betrachtet und mich nicht aus den Augen lässt.

"Und überhaupt - wer is'n der Kerl da? Is das dein neuer Macker oder was?", legt sie pöbelnd nach.

Auch wenn es vielleicht gemein klingt, aber ich schäme mich gerade  unfassbar für meine Mutter. Nicht nur wegen ihrer verwahrlosten Optik, sondern auch wegen ihrem asozialen und respektlosen Verhalten.

Als sei das nicht genug, kotzt sie weiter ab: "So ein aufgeblasener Fatzke. Was gibse dich denn mit so einem ab? Das is ja nun wirklich nich unser Stil, ne!"

Tränen schießen mir in die Augen.

Nein, das ist nicht unser Stil. Leider nicht. Unser Stil ist anscheinend eher ein ganzer Kerl wie dein Detlef. Arbeitslos, pädophil, übergriffig und auf ganzer Linie widerlich.

Doch ich spreche meine Gedanken nicht aus. Ich will die ganze Situation nicht noch peinlicher machen, als sie eh schon ist. Deshalb lasse ich sie einfach stehen. Ich stoße die Haustür auf und lasse sie gleich hinter mir ins Schloss fallen.

Während ich die Treppen hinauf sprinte, höre ich meine Mutter mir noch hinterherbölken: "Ey! Helf mir wenigstens ma mit die Pullen! Na sowas! Da setzt man Kinder in die Welt und das is der Dank. Lassen die schön die alte Mutter noch alles alleine schleppen!"

Ich blende ihre Stimme aus und stürme in die Wohnung. Im Eiltempo streife ich meinen Jogginganzug ab und quetsche mich in eine enge dunkelblaue Jeans. Ich ziehe mir ein enges weißes Tanktop an, welches meine Figur ziemlich betont, und darüber meine beige Lederimitat-Jacke.

Schnell sprühe ich mich erneut mit Parfum ein, tusche einmal über meine Wimpern und ziehe achtlos mein Haargummi aus den Haaren. Ich lasse meine natürlich gewellten Haare, die ich sonst immer glätte, ausnahmsweise mal offen und greife nach meinem Wundermittel: roter Lippenstift! Geht schnell und macht unheimlich viel her.

Akkurat ziehe ich mir die Lippen nach, stecke mir den Lippenstift für alle Fälle in die Jackentasche und springe schon wieder aus der Wohnung.

Im Hausflur jedoch höre ich überraschenderweise keine Schritte. Müsste meine Mutter nicht auf dem Weg nach oben sein?

Sie wird doch nicht..

Mir schwant Böses..

Ich nehme nur noch jede dritte Stufe und hechte die Treppen in einem solchen Affenzahn runter, dass ich aufpassen muss, nicht vor lauter Hektik zu stolpern und mir das Genick zu brechen.

Während ich noch darüber nachdenke, was für ein erbärmlicher Tod das wäre, stoße ich atemlos die Haustür auf und traue meinen Augen nicht.

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Meine Lieben,

Habt ihr ein paar Worte zu Malias Mutter?

Und was wird sie wohl sehen, dass sie ihren Augen nicht traut?

A.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt